„Es könnten fünf sehr dunkle Monate werden“
Frank Golischewski, Kulturbeauftragter der Stadt, zur Lage der Kultur in Trossingen nach zweitem Teil-Lockdown
TROSSINGEN - Eine Musikstadt ohne Musik? Gerade kulturell lebendige Städte wie Trossingen leiden unter dem neuerlichen Teil-Lockdown wegen der Pandemie. Was bedeutet es für den Status einer „Musikstadt“, wenn monatelang Konzerte ausfallen müssen? Und wie leiden die Künstler unter der Krise? Redakteur Michael Hochheuser sprach mit dem Kulturbeauftragten der Stadt Trossingen, Frank Golischewski.
Welche Meinung haben Sie zum zweiten Teil-Lockdown, der ja auch das vorläufige Aus für zum Beispiel Konzerte bedeutet?
Man kommt sich ausgeschaltet vor. Trotz aller Erklärungsversuche seitens der Politik kann ich es nicht wirklich nachvollziehen, warum man ausgerechnet einen Bereich wieder runterfährt, in dem wir größtenteils ausgesprochen gut mit den Hygieneregeln umgehen können, auch wenn wir natürlich immer noch dazulernen. Bis heute ist bei Veranstaltungen – nicht nur bei uns – nachweislich niemand zu Schaden gekommen durch eine Ansteckung. Bei den neun Sonntags-Veranstaltungen im Sommer waren bis zu 75 Besucher da – es hat mit wenigen Ausnahmen gut geklappt, etwa in puncto Einhaltung der Abstandsregeln. Aber auch hier arbeiten wir noch an Verbesserungen. Aus der Erfahrung heraus haben wir das Konzept auch für das Konzerthaus umgesetzt. Es ist geplant, dass alle Konzerte zwei Mal gespielt werden, mit drei Stunden Pause, in denen das Konzerthaus desinfiziert wird. Für mich ist es deshalb nicht nachvollziehbar, warum Kulturveranstaltungen bis vorläufig Ende November nicht stattfinden dürfen, Kirchen aber, wo es das gleiche Hygienekonzept gibt, offen bleiben können.
Was bedeutet es für das Image einer Musikstadt, wenn Konzerte über einen längeren Zeitraum untersagt bleiben?
In Trossingen sind wir natürlich besonders unter dem Brennglas. Die Stadt lebt, wie vielleicht keine andere in Baden-Württemberg, von Kultur und Kulturvermittlung. Deshalb treffen die jüngsten Entwicklungen Trossingen besonders hart. Den Stameine tus sehe ich zwar noch nicht gefährdet: Trossingen ist robust genug, um zum Beispiel ein halbes Jahr ohne kulturelle Veranstaltungen zu überleben. Die Lehre an den Instituten, Hochschule, Akademie, Konservatorium oder Musikschule, geht ja weiter. Trotzdem ist es unverständlich: Bisher ist noch kein einziges Theater in Deutschland als Hotspot aufgefallen. Es ist ein Rieseneinbruch für alle, die in der Kreativwirtschaft tätig sind und nun aufs Abstellgleis geschoben werden. Es gibt einen ganzen Rattenschwanz negativer Folgen – nicht nur für die Künstler selbst, auch für alle anderen Mitwirkenden, von den Veranstaltungstechnikern über Werbegraphiker bis hin zum Plakatierer.
Welche Auswirkungen hat die Krise auf die hiesigen Kulturschaffenden?
Es gibt einige, die den Beruf wechseln. Freiberufler hängen komplett durch. Sie übernehmen zusätzlich Jobs, weil sie sonst nicht überleben. Ein Freund von mir aus Trossingen geht jetzt morgens um sechs in die Fabrik, um Sanitärprodukte usw. einzupacken. Ein anderer, ehemaliger Trossinger Musiker, der früher
Produktionen in Trossingen und Mainz arrangiert hat, lebt jetzt von Hartz IV.
Haben Sie Solidarität festgestellt in der Bevölkerung?
Die Abonnenten fürs Trossinger Kulturprogramm haben ihre Karten dankenswerterweise nicht zurückgegeben. Sie warten ab. Ein Ehepaar hat sogar das Eintrittsgeld gespendet, damit die Kultur überleben kann.
Was wollen Sie tun, um 2021 Kultur in Trossingen zu ermöglichen, so die Krise andauert?
Christian Fischer, der Rektor der
Musikhochschule, und ich tauschen uns regelmäßig aus. Er hat die Idee einer durchgehenden Open-AirBühne vor dem Trossinger Rathaus von Mai bis September. Ich habe das bereits bei der Stadt angemeldet. Wir wollen möglichst vieles nach draußen verlegen, wo die Infektionsgefahr geringer ist. Die Leute kommen lieber ins Konzert, wenn sie wissen, dass sie draußen sitzen können. Vor dem Rathaus habe ich schließlich bis 2013 bereits vier Produktionen organisiert – die Erfahrungen sind also da. Nebenan ist die Musikhochschule mit Garderoben und Toiletten, der Platz ist perfekt.
Welche Veranstaltungen in den kommenden Wochen und Monaten sind gecancelt beziehungsweise gefährdet?
Der für den 12. November geplante Auftritt des Sinfonieorchesters der Hochschule mit Sebastian Tewinkel im Konzerthaus fällt aus. Er soll im Dezember nachgeholt werden, aber wir warten erst auf neue Anordnungen. Bei Trossinger Produktionen können wir leichter verschieben, meine für das Jahresende geplante Loriot-Produktion zum Beispiel. Noch offen ist, ob am 17. Dezember das Stockholm Chamber Brass Quintet in Trossingen spielen kann, weil unklar ist, ob die Musiker aus Schweden anreisen können. Falls nicht, könnten wir das Konzert eventuell im Frühjahr oder Sommer nachholen. Nicht zu verschieben wäre hingegen das Neujahrskonzert am 6. Januar als Abschluss der Probenphase an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung. Zudem ist für die Adventswochenenden eine Kleinkunstreihe im Kesselhaus geplant, bei der unter anderem Margit Sponheimer, Matthias Anton und Hans-Günther Kölz sowie Anika Neipp und ich auftreten wollen – bis jetzt alles mit Vorbehalt.
Die Proben dafür könnten ja umsonst gewesen sein, wenn der TeilLockdown über November hinaus verlängert wird...
Das ist sehr frustrierend. Eigentlich wäre ich derzeit auf Tournee mit einem Gutenberg-Musical, Start wäre am 22. Oktober in Mainz gewesen. Aber die Tournee ist gekippt. Wir hatten angefangen zu proben, Plakate und 5000 Flyer gedruckt. Das hat ein paar tausend Euro gekostet, es wurde viel Arbeit und Geld investiert. Die Produktion fällt ins Wasser und man bleibt auf den Kosten sitzen.
Der Staat hat Künstlern doch finanzielle Unterstützung zugesagt von bis zu 75 Prozent der Einnahmen im Vergleich zum November des Vorjahres...
Bei mir greift das, weil ich seit 1993 meine Agentur als Gewerbe habe. Ich habe beim ersten Teil-Lockdown Coronahilfe bekommen und nun wieder beantragt. Aber was ist mit Solokünstlern, die nur ein Telefon daheim haben und ein Auto, mit dem sie zu Auftritten fahren? Für die ist es sehr schwer, Bilanzen darüber nachzuweisen, wie viel finanziell schlechter es ihnen nun geht im Vergleich zum November 2019. Und manche Solo-Künstler haben erst frisch angefangen, die fallen durchs Raster. Für uns sind November bis März Monate mit Hauptumsätzen. Der Staat muss nachjustieren – sonst bleiben viele auf der Strecke. Es könnten fünf sehr dunkle Monate werden.