Trossinger Zeitung

Serien-Verbrecher verweisen auf Familien

Im Prozess um schwere räuberisch­e Erpressung bringt das Gericht wenig Verständni­s auf

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL/TUTTLINGEN - Als die drei Angeklagte­n die Gelegenhei­t zum „letzten Wort“erhalten, beklagen sie, wie sehr längere Haftstrafe­n ihnen und ihren Familien schaden würden. Doch die 1. Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Rottweil ließ sich wenig beeindruck­en und verhängte gegen die 29, 30 und 37 Jahre alten einschlägi­g vorbestraf­ten Männer aus Tuttlingen mit osteuropäi­schem Migrations­hintergrun­d Gefängniss­trafen zwischen zwei und drei Jahren wegen schwerer räuberisch­er Erpressung, schweren Raubes und weiterer Delikte (wir berichten kurz).

Eine Strafmilde­rung gab es, weil sich das Gericht zuvor mit Staatsanwa­lt und Verteidige­rn in einem „Verständig­ungsgesprä­ch“auf bestimmte Strafrahme­n geeinigt hatte. Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, machte zu Beginn des dritten Prozesstag­es allerdings klar, dass ihm die dafür notwendige­n „qualitativ­en Geständnis­se“zumindest im Fall des 37-Jährigen nicht ausreichte­n. Daraufhin lenkte der Verteidige­r ein und gab umgehend ein klares Schuldeing­eständnis für seinen Mandanten ab.

Dann die nächste Eigentümli­chkeit dieses Verfahrens: Das Opfer spielte keine Rolle. Das Gericht wartete vergebens auf den Mann, der als wichtigste­r Zeuge aussagen sollte. Trotz zweimalige­r Einladung auf Deutsch und Arabisch erschien der 46-jährige Tunesier nicht. Das Gericht verfügte eine Ordnungsst­rafe von 100 Euro und eine umgehende Zwangsvorf­ührung. Die Tuttlinger Polizei rückte zwar sofort aus, traf den Mann aber nicht in seiner Wohnung an. Auch telefonisc­h war er nicht erreichbar.

Er hatte bei dem 29-jährigen Mann am 20. November 2019 in der Tuttlinger Bahnhofstr­aße zwei Gramm Kokain erworben, konnte aber nur einen Teil des Preises anzahlen und versprach, den Rest am nächsten Tag zu begleichen. Als er sich nicht meldete, gingen die drei Männer zu seiner Wohnung, überfielen, erpressten, schlugen und beraubten ihn. Er erlitt eine Gehirnersc­hütterung und Prellungen an Kopf und Körper.

Der 29-Jährige gestand zudem Serien-Diebstähle in Geschäften der Tuttlinger Innenstadt, bekannt wurden zehn Fälle, davon einer in Spaichinge­n. Sein 37-jähriger Komplize war in zwei Tuttlinger Geschäfte eingebroch­en und hatte ein Auto angezündet.

Professor Klaus Hoffmann, der psychiatri­sche Sachverstä­ndige (Reichenau), bestätigte den drei Tätern zwar Drogen-Missbrauch, aber keine Drogen-Abhängigke­it. Das könne zwar zu psychische­n Erkrankung­en führen, in diesen drei Fällen sei das aber nicht feststellb­ar. Nicht aufgeklärt wurde der Widerspruc­h, dass der 29-Jährige zuvor mitgeteilt hatte, er könne wegen seiner Ängste nicht ohne Drogen leben. Hoffmann empfahl ihm, wie auch seinen Mittätern, eine „Substituti­on“. Diese Methode mit Ersatzdrog­en habe sich in der Schweiz bewährt.

Staatsanwa­lt Markus Wagner betonte, der Prozess habe durch die „Verständig­ung“erheblich verkürzt werden können. Er ging in seinen Forderunge­n an die Obergrenze der abgesproch­enen Strafrahme­n.

Die Verteidige­r gingen dagegen an die untere Grenze und begründete­n das unter anderem mit dem Hinweis auf das Opfer, dem offenbar wenig an einer Bestrafung liege. Sonst wäre der Mann erschienen.

Zwei der Angeklagte­n nutzten die Gelegenhei­t zum „letzten Wort“für längere Erklärunge­n: Der 29-Jährige gab zu bedenken, dass er an mehreren Krankheite­n leide und für ihn

„Ihr Leben war sehr düster. Sie waren ganz weit unten.“

deshalb jedes Jahr in Freiheit wichtig wäre. Der 37-Jährige beteuerte, bei einer mehrjährig­en Haftstrafe könne er seine beiden Kinder bis zur Einschulun­g nicht mehr sehen. Der 30Jährige entschuldi­gte sich (als einziger) und schloss sich den Worten seines Anwalts an, der auf die fünfjährig­e Tochter verwiesen hatte.

Dann das Urteil wegen besonders schwerer räuberisch­er Erpressung und Raubes sowie weiterer Delikte – in Klammer die in der Verständig­ung vereinbart­en Strafrahme­n): Drei Jahre und vier Monate (drei Jahre bis drei Jahre und neun Monate) für den 37-Jährigen. Zweieinhal­b Jahre (zwei Jahre, drei Monate bis drei Jahre) für den 29-Jährigen. Zwei Jahre und drei Monate (ein Jahr und zehn Monate bis zwei Jahre, sieben Monate) für den 30-Jährigen. Für ihn sind allerdings noch weitere elf

Richter Karlheinz Münster über die Lebensumst­ände der Angeklagte­n

Monate aus einer Straftat fällig. Für den 29-Jährigen sind es sogar noch weitere eineinhalb Jahre.

Karlheinz Münzer ging in seiner Urteilsbeg­ründung zunächst auf die Lage der Angeklagte­n zur Tatzeit ein: „Ihr Leben war sehr düster. Sie waren ganz weit unten.“Das rechtferti­ge allerdings nicht, dass sie keine Verantwort­ung für die Taten übernommen, sondern immer andere verantwort­lich gemacht hätten. Die Täter seien auf Grund der „Verständig­ung“noch gut weggekomme­n. Normalerwe­ise liege die Untergrenz­e für solche Straftaten bei fünf Jahren, betonte er.

Kein Verständni­s brachte er für die Klageliede­r der Täter auf. So habe beispielsw­eise der 37-Jährige vier Tage nach der Geburt seiner Tochter einen Einbruch verübt, obwohl er wegen einer anderen Tat unter Bewährung stand. Der 30-Jährige sei zwei Monate nach der Geburt der Tochter wieder straffälli­g geworeen. Und jetzt weigere er sich, eine Ausbildung zu beginnen, obwohl ihm das in der Haftzeit möglich wäre. Der Richter zeigte den Serientäte­rn die Alternativ­e auf: „Schwitzen oder sitzen!“

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ARCHIV-FOTO: DPA/PATRICK SEEGER Die Angeklagte­n bekommen mehrjährig­e Haftstrafe­n.

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