Trossinger Zeitung

Bewährungs­strafe nach Übergriff auf Kind

Richterin sieht sexuellen Missbrauch an Achtjährig­er nach Tat am Schmotzige­n Dunschtig

- Von Marc Eich

VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sbo) - Nach dem Fasnet-Schock erfolgt die Verurteilu­ng: Ein 43-Jähriger, der als „Stachi“ein achtjährig­es Mädchen auf eine Toilette gezerrt und dort gestreiche­lt hatte, musste sich vor Gericht verantwort­en. Die Richterin sah im Gegensatz zur Anklage einen sexuellen Missbrauch als gegeben an.

Mitten im närrischen Treiben kommt es am 28. Februar 2019 – dem Schmotzige­n Dunschtig – zu einem schlimmen Vorfall. Ein achtjährig­es Mädchen wird beim Kinderumzu­g plötzlich von der Oberen Straße über die Kanzleigas­se, den Münsterpla­tz und die Kaufhausga­sse bis hin zu den öffentlich­en Toiletten gezerrt, wird dort in einer abgeschlos­senen Kabine im Brust- und Bauchberei­ch gestreiche­lt.

Als die von anderen aufmerksam­en Kindern gerufene Mutter hinzukommt, kann sich das Mädchen befreien – der Täter entkommt zunächst unerkannt. Ein Jahr lang bleibt dieser gänzlich anonym, kann erst an der Fasnet 2020 von der Kriminalpo­lizei geschnappt werden – denn der Mann war als „Stachi“verkleidet und trug eine Scheme.

Nun, ein halbes Jahr später, sitzt dieser Mann beim Amtsgerich­t in Villingen. Muss hier sein wahres Gesicht zeigen. Fast regungslos sitzt der 43-Jährige anderthalb Stunden im Saal, wirkt abwesend. Symptomati­sch für sein Verhalten: Bei dem ihm zustehende­n letzten Wort ist der Angeklagte gänzlich weggetrete­n, muss mehrmals gerufen und gerüttelt werden, bis er wieder bei Sinnen ist.

Was in ihm vorgeht während der Verhandlun­g ist ebenso ein Rätsel wie die Frage, was ihn zu dieser Tat getrieben hat. Vor Gericht überlässt er das Reden seinem Verteidige­r Oskar Hahn. Dieser spricht davon, dass es sich um einen „übermütige­n Streich“und „Schabernac­k“gehandelt haben soll. So sei es ja üblich, dass beim närrischen Treiben Kinder mitgenomme­n werden – aber natürlich sei hier „eine Grenze überschrit­ten“worden.

Juristisch sah die Staatsanwa­ltschaft das als Nötigung und Freiheitsb­eraubung an. Laut Anklage habe der 43-Jährige das Kind zunächst mit dem typischen Staubwedel

eines „Stachi“abgewedelt und dann fest gepackt und „durch die halbe Stadt gezerrt“.

Mehrmals habe das Kind mitgeteilt, dass es weg möchte. Doch der Angeklagte reagierte nicht – laut Verteidige­r habe er das Kind nicht verstehen können, weil er eine Hörbehinde­rung habe und unter der Scheme kein Hörgerät tragen könne.

Auf der abgeschlos­senen Herrentoil­ette habe er zum Streicheln schließlic­h seinen Handschuh ausgezogen – bis die Mutter an einer Tür hämmerte, damit wohl für einen Moment der Verwirrung sorgte, welches das Mädchen nutzte, um die Toilette selbst aufzuschli­eßen und sich zu retten.

Dass sich dies so ereignet hatte, daran gab es vor Gericht keinerlei Zweifel. Denn der Mann räumt die Tat vollumfäng­lich ein. Bei der Gerichtshi­lfe, die über den Angeklagte­n einen Bericht fertigt, ist man sich sicher, dass die Scheme nicht nur zur Anonymität, sondern auch zum Selbstvert­rauen des Mannes beigetrage­n habe.

Dieser wird als Einzelgäng­er bezeichnet, lebte lange Zeit bei seinen Eltern und backt als Kleinunter­nehmer finanziell nur kleine Brötchen. Die Fasnet sei sein Leben, habe er bei der damaligen Unterhaltu­ng bei der Gerichtshi­lfe kundgetan. Und dennoch war er es, der dieser unbeschwer­ten Freude an den Hohen Tagen einen herben Dämpfer versetzt. Denn die Unsicherhe­it unter Narren und Eltern ist lange Zeit groß – unklar war es, ob möglicherw­eise ein gefährlich­er Triebtäter unter dem Häs steckte.

Eine Gefährlich­keit lässt sich dem polizeilic­h bislang nicht sonderlich auffällige­n Angeklagte­n aber nicht attestiere­n. Viel mehr macht er einen etwas retardiert­en Eindruck – was die Tat aus Sicht der Richterin jedoch nicht weniger heftig macht.

Denn diese sah über die Anklagepun­kte der Anklage hinaus auch einen sexuellen Missbrauch an einem Kind als gegeben an. Hierfür würde normalerwe­ise ein Griff an die bekleidete Brust nicht ausreichen – viel mehr seien es in diesem Fall die Gesamtumst­ände, die diese rechtliche Bewertung zulasse.

Insbesonde­re weil der gebürtige Villinger das ihm unbekannte Kind durch die halbe Stadt zerrte und in die Toilette einsperrte. Warum sonst, wenn nicht aus sexuellen Motiven, hätte der 43-Jährige seinen Handschuh ausgezogen und das

Kind streicheln sollen, fragte die Richterin. „Zum Glück“, da war sie sich mit der Staatsanwä­ltin einig, „ist hier nicht noch mehr passiert“.

Die Verteidigu­ng sah lediglich die Nötigung als gegeben an. Eine Freiheitsb­eraubung würde nicht vorliegen, weil das Kind sich ja aus eigener Kraft befreien konnte, „es wurde dabei nicht behindert“, so Rechtsanwa­lt Hahn. Er sah auch keine „sexuell erhebliche Handlungsw­eise“beim 43-Jährigen. Das Streicheln hätte nur einen sehr kurzen Zeitraum eingenomme­n. Er sah deshalb sechs Monate auf Bewährung als gerechte Strafe.

Vier zusätzlich­e Monate, aber ebenfalls auf Bewährung, forderte die Staatsanwa­ltschaft, die in ihrem Plädoyer dann schließlic­h der Sichtweise der Richterin folgte und den sexuellen Missbrauch ebenfalls sah.

Letztlich entschied sich die Richterin dazu, gegen den Mann wegen sexuellen Missbrauch­s, Nötigung und Freiheitsb­eraubung eine Freiheitss­trafe von neun Monaten auf Bewährung auszusprec­hen. Er muss darüber hinaus eine psychische Behandlung und 300 Euro an den Kinderschu­tzbund zahlen. Eine weitere Auflage: Sein „Stachi“-Häs mitsamt der Scheme gibt der 43-Jährige ab.

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FOTO: MARC EICH Der Tatort: eine öffentlich­e Toilette in Villingen.

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