Punk-Ikone und ewiger Rebell
Sex Pistols-Sänger Johnny Rotten wird 65 – Er lebt bis heute von und mit der Musik
LONDON/LOS ANGELES (dpa) - Seinen Geburtstag will John Lydon auch in diesem Jahr nicht feiern. „Das hab ich noch nie gemacht“, erzählt die Punk-Ikone im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Ich weiß noch, wie ich Rotz und Wasser geheult habe, als ich 21 geworden bin.“Damals waren die Sex Pistols nicht nur in Großbritannien berüchtigt. Unter seinem Pseudonym Johnny Rotten sorgte Lydon mit der Punkband für einige Skandale. Ein Provokateur ist der Sänger noch heute – außerdem ein innovativer Künstler und sensibler Familienmensch.
Vor seinem 65. Geburtstag am morgigen Sonntag hat Lydon seine Familie und Freunde gewarnt. „Sie wissen, dass sie mich an meinem Geburtstag nicht anrufen sollen. Aber sie tun es trotzdem. Und ich freue mich drüber“, sagt er gut gelaunt. Sein knarziges Lachen schallt aus dem Telefonhörer.
Bloß nicht anpassen, bloß nicht gehorchen – das war schon immer Lydons Motto. Als die Punkfans in den 1970er-Jahren den Look der Sex Pistols kopierten, ärgerte sich Lydon über das, was er als Uniform empfand, und änderte seinen Stil. Später trat er bei Konzerten vereinzelt sogar im Pinocchio-Outfit auf, nur um sein Publikum zu irritieren.
Als aggressiver Rüpel Johnny Rotten war der in London geborene Sohn irischer Einwanderer in den 1970er-Jahren eine absolute Reizfigur. Er wurde im von Rezession und Arbeitslosigkeit geplagten England zum Anführer der Revolution namens Punk.
Nur knapp drei Jahre blieben die Sex Pistols zusammen. Im Januar 1978 zerbrach die Band auf einer USTour. „Wir hatten die Nase richtig voll voneinander“, erinnert sich Lydon. Obwohl die Sex Pistols damals nur ein einziges Album veröffentlicht haben – den Klassiker „Never
Mind the Bollocks, Here's the Sex Pistols“–, zählen sie heute zu den bekanntesten und einflussreichsten Bands der Musikgeschichte.
Ihre provokanten Texte schockierten das britische Establishment. Insbesondere die Single „God Save The Queen“mit der Zeile „the fascist regime“(das faschistische Regime) erzürnte viele Briten. Die BBC weigerte sich, den Song, den die PunkChaoten zum silbernen Thronjubiläum von Königin Elizabeth II. herausgebracht hatten, in ihrer wöchentlichen Hitparade zu spielen.
Die Royals sieht Lydon bis heute kritisch. „Aber ich hatte nie etwas gegen sie als Menschen“, stellt er klar, „sondern gegen die Institution. Und damit hab ich mir Feinde gemacht.“Er wurde auf der Straße bepöbelt, sogar mit dem Messer angegriffen.
Als Kind musste er häufig einstecken, wenn Nachbarskinder es auf den schüchternen Jungen abgesehen hatten. Sein Vater habe ihm beigebracht Kontra zu geben – ein Ratschlag, den sich der Punk-Musiker womöglich etwas zu sehr zu Herzen nahm. In Interviews trieb er regelmäßig Gesprächspartner mit Provokationen zur Verzweiflung.
John Joseph Lydon, der heute abwechselnd in Malibu und Venice Beach und nur noch selten in seiner Heimatstadt London lebt, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit seinen Eltern und drei jüngeren Brüdern, um die er sich als Teenager oft kümmerte, lebte er in einer nach eigenen Worten „hundsmiserablen Nachbarschaft“in Nord-London.
Mit sieben Jahren fiel er durch eine Hirnhautentzündung ins Koma und verlor sein Gedächtnis. Nicht einmal seine Eltern erkannte er wieder. Das traumatische Erlebnis prägte ihn fürs Leben. „Ich habe immer noch Alpträume, wenn ich schlafen gehe“, berichtet er, „dass ich aufwachen könnte, und dann nicht mehr weiß, wer ich bin.“
Heute helfe ihm diese Erfahrung, sagt Lydon, denn seine Frau Nora ist demenzkrank. Er will sie pflegen, solange es noch ohne professionelle Hilfe geht. „Ich schaue zu, wie der wunderbarste Mensch auf der Welt langsam abbaut, und es ist unglaublich schmerzhaft für mich“, erzählt der Sänger.
Seit über 40 Jahren ist er mit der 15 Jahre älteren Deutschen verheiratet. Gemeinsame Kinder hat das Paar nicht, was Lydon bedauert. Die Vaterrolle übernahm er dennoch für ein paar Jahre. 2000 bekam das Paar das Sorgerecht für Noras Enkel. Die Zwillingssöhne der 2010 gestorbenen Punk-Sängerin Ari Up waren damals im Teenager-Alter und rebellierten. „Denen hat meine autoritäre Position zu Hause nicht gefallen.“John lacht.
Musikalisch ging es für Lydon nach den Sex Pistols direkt weiter. 1978 gründete er die Postpunk-Band Public Image Ltd, kurz PiL. Nach der Corona-Pandemie will Lydon möglichst bald wieder Konzerte geben. „Ich muss. Es ist der Kern und das Wesen meines Seins“, erklärt er. Vorher geht er mit seinem Buch „I Could Be Wrong, I Could Be Right“auf Spoken-Word-Reise durch England.