„Wir kämpfen für einen sportlicheren Wettbewerb“
Augsburgs Stefan Reuter möchte dafür sorgen, dass nicht ausschließlich der FC Bayern Meister werden kann
RAVENSBURG - Der FC Augsburg hat sich über die Jahre klammheimlich als Dauer-Erstligist etabliert. Kürzlich feierten die Fuggerstädter sogar „La Decima“, ihr Zehnjähriges in der deutschen Eliteliga. Manager Stefan Reuter geht den Weg seit mehr als acht Jahren mit und sorgt für die nötige Bodenhaftung. Vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund (15.30/Sky) hat der 54-Jährige mit Felix Alex über seinen Ex-Verein und Augsburgs Kampf für mehr Gerechtigkeit gesprochen.
Herr Reuter, der FC Augsburg steht nur sieben Punkte hinter Borussia Dortmund, die derzeit in einem kleinen Tief stecken, der FCA hat einen Sieg im Rücken, ein Duell derzeit auf Augenhöhe, oder?
Das ist nett, dass Sie das sagen, aber wir sind dafür bekannt, dass wir die Situation realistisch einschätzen und natürlich auch den Kader von Borussia Dortmund respektieren und bewerten. Sie haben enorme Qualität und eine Topmannschaft. Wir brauchen für einen Erfolg eine überragende Leistung, wie sie uns im Hinspiel beim 2:0 gelungen ist, um etwas mitzunehmen.
Gerade mit langen Bällen hinter die Abwehr und Standards scheint der BVB derzeit verwundbar, eigentlich prädestiniert für Augsburg mit den schnellen Spielern auf außen und dem Gourmet-Sturm, oder? Grundsätzlich kommt uns der BVB mit seinem Spielstil entgegen. Wir versuchen ja immer kompakt zu stehen, wenig zuzulassen und nach Ballgewinn aggressiv zu sein und schnell umzuschalten. Aber die Qualitäten von Borussia Dortmund, vor allem im Offensivbereich können einen auch ganz schön beschäftigen.
Wie sehr beschäftigen Sie sich denn noch mit den Geschehnissen bei den Schwarz-Gelben, immerhin sind Sie eine Legende in Dortmund? Ich habe zwölf Jahre für den BVB gespielt und hatte eine traumhafte Zeit. Es ist doch ganz normal, dass man so einen Verein deutlich intensiver verfolgt. Mit Michael Zorc und Sebastian Kehl aus dem Management habe ich noch zusammen gespielt. Marvin Hitz ist von uns zu Borussia Dortmund gewechselt. Es gibt viele Gründe, den BVB intensiv zu verfolgen. Sie stehen ja auch für einen extrem schönen Fußball und ich drücke ihnen auch grundsätzlich die Daumen, nur eben am Samstag nicht.
Wie eng ist denn der Kontakt? Zudem haben Sie sich mit Trainer Heiko Herrlich ja in Augsburg eine kleine BVB-Enklave geschaffen. Aktuell hatten wir natürlich keinen Kontakt, aber ansonsten immer wieder zu Zorc, Kehl oder auch Michael Maier, dem langjährigen Manager. Mit Heiko beschäftige ich mich natürlich vor allem mit dem FC Augsburg. Aber klar, wir haben lange in Dortmund zusammen gespielt. Auf dem Zimmer waren wir jedoch damals nie zusammen, weil es Heiko immer wichtig war, dass er ein Einzelzimmer hatte. (lacht) Aber wir haben und hatten immer ein freundschaftliches Verhältnis und reden natürlich auch über den BVB.
Dort hat Michael Zorc die vergangenen Jahre als Sportlicher Leiter fraglos einen grandiosen Job gemacht, aber sieht man jetzt, dass ein Club der Jugend allein für die wirklich großen Ziele nicht ausreicht? Das würde ich nicht sagen. Dass es schwer ist, Bayern mit ihren Möglichkeiten Paroli zu bieten, das ist klar. Borussia Dortmund hat aber eine klare Philosophie und einen guten Weg mit absoluten Toptalenten eingeschlagen. Dazu die Achse von erfahrenen Spielern, die führen sollen. Wenn aber der ein oder andere davon wie jetzt wegbricht, ist es natürlich schwerer. Beim Spiel gegen Borussia Mönchengladbach hat man gesehen, welche Qualität und welches Tempo vorhanden sind. Die Ergebnisse haben sich die Dortmunder durch Standardsituationen etwas kaputt gemacht. Für mich wird das dort gerade aber alles etwas zu negativ gesehen.
Gerade die unemotionale Komponente ohne Fans scheint den BVB zu bremsen, sind Sie zumindest an diesem Spieltag froh, dass die gelbe Wand das Team nicht anpeitscht? Wir spielen alle wesentlich lieber im vollen Stadion. Generell fehlt die riesige Stehtribüne dem BVB derzeit besonders. Denn 80 000 Zuschauer beeindrucken schon den ein oder anderen Spieler oder Gegner, die dorthin fahren.
Dass Fans wieder zurück in die Stadien dürfen, klingt noch nach Zukunftsmusik. Glauben Sie daran, dass in dieser Saison vielleicht am
Ende zumindest ein paar Fans ins Stadion dürfen?
Wir planen in dieser Saison nicht mehr damit. Das ist extrem schade, vor allem weil wir zu Beginn der Saison ja noch ein Heimspiel mit 6000 Zuschauern hatten, bei dem die Stimmung grandios war. 6000 Leute haben damals das Gefühl vermittelt als wäre das Stadion voll – passenderweise war das der Heimsieg gegen Borussia Dortmund im September. Da hatten wir noch die langfristige Hoffnung, die Zuschauer wieder ins Stadion zu bringen, aber die Situation hat sich leider anders entwickelt. Wichtig ist nun, die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Das reißt nicht zuletzt finanziell ein Loch ins Budget, der FCA steht dennoch gut da. Sie haben sogar jüngst öffentlich gesagt, dass bevor es den Club umhaut, einige andere Erstund Zweitligisten nicht mehr da sein werden. Wieso ist der Club zuvor nicht mehr ins Risiko gegangen? Natürlich trifft uns die Pandemie und die damit verbundenen Einnahmeverluste wie alle anderen empfindlich. Aber wirtschaftliche Vernunft ist uns bei all unseren Entscheidungen wichtig. In den vergangenen Jahren haben wir auch in Infrastruktur investiert, um den FCA stabiler zu machen. Stichwort: Nachwuchsförderung und Trainingsmöglichkeiten, dazu Investitionen in unser Stadion. Wir werden nur das Geld ausgeben, das da ist. Alles ist finanziell bei uns nicht möglich. Aber mit dieser Politik und dem Fakt, dass wir zum Beispiel einen überschaubaren Kostenapparat haben, können wir uns auch mal ein Jahr mit Verlusten erlauben.
Würden Sie sich wünschen, dass solche Faktoren mehr gewürdigt werden beziehungsweise unwirtschaftliches Handeln – Stichwort Schalke – mehr sanktioniert wird? Selbstverständlich müsste so etwas Konsequenzen haben und durch die Lizenzierung geregelt sein. Das hat auch jeder gesagt als in der Situation nach ein, zwei Monaten bei einigen Vereinen schon große Schwierigkeiten aufgetreten sind. Da muss sich etwas ändern.
Da fühlt man sich als schwäbisch, solider Club etwas ungerecht behandelt, oder?
Wir wollen uns kontinuierlich und aus eigener Kraft weiterentwickeln und unseren Weg weitergehen. Im Sinne des Wettbewerbs wäre mehr Gerechtigkeit wünschenswert, aber es gibt nun einmal unterschiedliche Voraussetzungen. Wir sind aber weit weg, um zu jammern und mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Das hat Ihr Club beim Thema TVGelder schon gemacht und sich entgegen die Branchenführer positioniert. Ist das für Sie das wichtigste Mittel, mit dem sich die Clubs wieder ein wenig annähern können? Wir vertreten unsere klare Meinung in internen Diskussionen und ich halte es auch für ganz wichtig, dass man vernünftig und konstruktiv diskutiert, um zu erreichen, dass die Schere nicht noch weiter auseinandergeht. Es hat eine gewisse Annäherung gegeben. Aber das kann nur ein erster Schritt gewesen sein. Der FC Augsburg wird als Kämpfer für einen sportlicheren Wettbewerb dran bleiben. Denn es ist wichtig, dass wir einen interessanten Wettbewerb in Deutschland haben und nicht nur der FC Bayern München Meister werden kann.
Werden die kommenden Generationen nur noch den FC Bayern als Titelträger kennen, der vielleicht alle 15 Jahre einmal entthornt wird? Ich glaube, dass es Konkurrenz gibt. Hätten Sie mich vor der letzten Englischen Woche gefragt, hätten wir noch gesagt, dass RB Leipzig, Bayer Leverkusen und Dortmund eingreifen können und wir einen interessanten Wettbewerb an der Spitze haben.
Hat sich das Konzept Bundesliga nicht vielleicht doch überholt?
Auf keinen Fall. Die Bundesliga ist für mich der Wettbewerb mit Tradition und man muss schauen, wie man es in Zukunft noch etwas ausgeglichener gestaltet. Dafür muss man aber eben vor allem bei den Einnahmen aus den Fernsehrechten ansetzen.
Andere Vereine verkünden vollmundig jährlich die große Weiterentwicklung und das Streben nach neuen Zielen und scheitern oft kläglich, siehe Hertha BSC. Ist den Status Quo erhalten bereits die Weiterentwicklung für den FCA?
Wir haben nicht den Erhalt des Status Quo als Ziel. Wir wollen immer stabiler in der Liga sein. Vor ein paar Jahren haben wir noch gesagt, dass wir uns unter den Top 25 in Deutschland etablieren wollen und man muss klar sagen, dass es gelungen ist. Nun versuchen wir uns mit kleinen Schritten nach vorn zu entwickeln.
Sie stammen aus Dinkelsbühl, hätten also auch irgendwann mal beim VfB Stuttgart landen können. Sind Sie auch aufgrund der jüngsten Entwicklungen gottfroh, nicht beim anderen schwäbischen Verein gelandet zu sein?
Ich bin aus der Jugendzeit in Dinkelsbühl nach Nürnberg gewechselt und habe dort meine ersten Profijahre verbracht. Dann bin ich zu den Bayern gegangen. Der VfB hat jetzt eine gute Mannschaft und eine gute Entwicklung genommen. Die Themen außerhalb des Platzes möchte ich nicht bewerten. Nur so viel, wir in Augsburg profitieren sehr stark von der Kontinuität und der Ruhe, die wir hier haben. Das ist ein großer Verdienst unserer Gremien. Aber Empfehlungen für den VfB werde ich mir sicherlich nicht anmaßen.
Zum Abschluss, eine Frage an den 1990er Weltmeister, glauben Sie, dass es eine Chance gibt, die EM in zwölf Ländern zu spielen und Fans zuzulassen?
Aktuell kann ich es mir nicht vorstellen, dass die EM in zwölf Ländern stattfindet, weil dafür viele Reisen notwendig wären. Ich hoffe, dass dieses Turnier überhaupt stattfinden kann. Ich denke aber grundsätzlich positiv und hoffe, dass wir im Sommer eine Europameisterschaft sehen.