Offenbarungseid der Einfallslosen
Ein Jahr leidet das Land nun unter der Pandemie. Das Einzige jedoch, was der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten nach jedem Treffen einfällt, lautet: „Wir bleiben zu Hause“. Es ist ein Offenbarungseid der Einfallslosigkeit und Überforderung. Noch immer hat niemand eine Antwort geliefert, was den Sommer über getan wurde, um Todesfälle und Dauer-Lockdown zu vermeiden. Stattdessen offenbart die Krise den schauderhaften Zustand des Staates.
Nicht nur die technische Vernachlässigung der Ämter und Schulen raubt einem den Atem. Es ist vor allem die Diskrepanz zwischen dem Ernst der Pandemie, den Politiker nicht müde werden zu beschreiben, und ihrem Handeln. Wäre es in der schlimmsten Krise seit dem Krieg nicht angebracht, alles Menschenmögliche zu tun, sie schnellstmöglich zu überwinden? Wohl nicht: Nach wie vor liefern viele Gesundheitsämter montags keine aktuellen Zahlen. Das muss sich ändern.
Dass Covid-19 im Herbst vorbei ist, glaubt kein Spezialist, sagt SPDCorona-Guru Karl Lauterbach. Denn die Impfstoffe müssten aufgrund der Mutationen ständig weiterentwickelt werden. Sein Urteil: „Impflogistik, Luftfilter, Schnelltests, Gensequenzierung, Studien. Alles noch schwach.“Dass genug passieren würde, um dem Desaster zu entgehen, ist nicht zu erkennen. „Ich habe die Sorge, dass wir im Herbst den Satz hören: Warum hat die Politik zum zweiten Mal den Sommer verschlafen?“, sagt Christiane Woopen, die Vorsitzende des EU-Ethikrats.
Der fehlende Wille aber, die Pandemie mit Mitteln der Moderne einzudämmen, sorgt für menschliches Leid. Nicht nur viele Tote wären mit einem besseren Management vermeidbar gewesen – auch die Verzweiflung vieler Menschen, Familien am Rande des Nervenzusammenbruchs, Selbstständiger vor dem Ruin. Wenn aus der Pandemie eine Lehre zu ziehen ist, dann, dass es so nicht weitergehen kann. Das Land muss nicht nur auf allen Ebenen modernisiert werden. Vor allem muss das Prinzip der Mut- und Einfallslosigkeit, dem viele Verantwortliche folgen, endlich überwunden werden.
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