Berufskompetenz Dialekt: „Mir tut’s Fidle weh“
Videokonferenz der Grünen beleuchtet Herkunft und Zukunft des Schwäbisch-Schwätzens
ALDINGEN/SPAICHINGEN - Mit ganz anderen als den grünen Kernthemen hat sich eine nicht alltägliche Online-Konferenz zum Thema Dialekt beschäftigt. Veranstaltet wurde sie von den Spaichinger Grünen, moderiert von der Bundestagskandidatin Annette Reif aus Aldingen am Montag. Der Bestand des Dialekts sei zwar gefährdet, doch er werde nicht verschwinden, so die Kernbotschaft – sofern er änderungswillig und anschlussfähig bleibt.
Darüber waren sich die drei eingeladenen Experten einig, deren Einführungsbeiträge vom Bösinger Mundart-Liedermacher Pius Jauch musikalisch umrahmt und von den über 50 Videokonferenz-Teilnehmern in anderthalb Stunden aufmerksam verfolgt und diskutiert wurden.
Erwin Hall, Dialektologe und Mitglied im Alemannischen Institut Freiburg beleuchtete das Ganze aus wissenschaftlicher Sicht. Danach ist der Dialekt älter als unsere Hoch- und Standardsprache, die im Indo-Germanischen wurzelt und in ihren Althochdeutschen Erscheinungsformen des Fränkischen und des Alemannischen älter ist als unsere Schriftsprache. Diese hat erst mit Gutenberg und Luther den Durchbruch geschafft. Unser Ländle teilt sich in mehrere DialektRegionen auf, wobei unsere Gegend zu den „Süd-Schwaben“zählt.
Der Dialekt hat sich bis zur Stunde
TRAUERANZEIGEN als anpassungs-, literatur-, wissenschaftsund zukunftsfähig erwiesen. „Im Gschäft“, um den Titel „Dialekt im Gschäft – scheuen oder schwätzen?“aufzugreifen, wird er vor allem in den Bäckereien gesprochen, wo man bis dato immer noch mündlich ordert. Unser Dialekt sei ist eine eigene Sprache mit einer vollständig ausgebildeten Grammatik und somit einer Fremdsprache ebenbürtig.
Markus Rösler, Grünen-Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Vaihingen/Enz und Initiator einer parteiübergreifenden parlamentarischen Initiative für den Dialekt, ermunterte die Zuhörer, generell mehr Dialekt zu sprechen. Denn damit würden die Erwachsenen zu Vorbildern für die Kinder und Jugendlichen, die sich bekanntlich viel in den Sozialen Medien bewegen und dafür Sorge tragen können, dass ein Kulturgut wie das „Breschtling-Gsälz“nicht in Vergessenheit gerät. Mit Genugtuung verfolge er schon länger, dass im SWR-Programm der Dialekt vernehmbarer geworden ist.
Das vermochte der Liedermacher Pius Jauch, gekonnt mit seiner Gitarre im „Home-Stage“aufspielend, einfühlsam zu untermalen mit dem Lied „von der kuhwarmen Milch, mit der man auch dem Kälble einen Schoppen geben kann“.
Johannes Kretschmann, studierter Linguist und Beirat im Zentrum für Mundart an der PH Weingarten, beleuchtete die komplexe Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln. Augenzwinkernd ausgehend von einem neulichen „Rüffel“für sein „komm mir auf Kilbe“, weil es wohl richtig „gang mir auf Kilbe“heissen müsse. Was wohl soviel bedeutet wie der Götz von Berlichingen drastischer sagte. Der Dialekt, „gemostet“in der Globalisierungsund Digitalisierungskelter, habe es nicht einfach.
Doch unsere benachbarten Eidgenossen bewiesen bis zum heutigen Tag, dass er selbstverständlicher Bestandteil eines Landes bleiben kann, das über alle Maßen exportorientiert ist und Gäste aus aller Welt anzieht.
„Die Glut ist nicht erloschen“, so der Sohn unseres Ministerpräsidenten, „doch man muss bisweilen die
Glut von der Asche blasen“. Sprich sich trauen, nicht nur heimlich daheim, sondern auch „draußen“Dialekt zu sprechen, selbstbewusst und ihn damit wertschätzend.
Nach seiner Beobachtung als Aufsichtsratsmitglied der Hohenzollerschen Landesbank wird Dialekt selbst in Bankerkreisen noch hochgehalten. „Weil er vertrauensbildend ist, Brücken schlagen kann und Identität stiftet“, so sein Resumee.
Auch dem konnte der Liedermacher aus „Kimmich-Dorf“mit seinem musikalischen Zwischenspiel „A Grämle vo bäler“nur beipflichten. Einer Hommage an das ebenso bilderreiche wie poetische „Schwäbisch“, einem seit über Jahrhunderte gewachsenen Erfahrungsspeicher, der gehegt und gepflegt sein will.
In der lebhaften Diskussionsrunde kamen verschiedene Aspekte zur Sprache. Der bekannte Regisseur Dominik Kuhn (Künstlername Dodokey) sensibilisierte dafür, „Schwäbisch-Bashing“nicht mit „Hochdeutsch-Bashing“zu vergelten und sieht in den Sozialen Medien nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine große Chance für den Dialekt. Johannes Kretsch-mann macht ein „Dialekt-Beliebtheitsgefälle“aus, mit dem Bayerischen an der Spitze („dank Fußball und Oktoberfest?!“).
Markus Rösler vergleicht die Globalisierung mit einem „ICE“, den Dialekt mit einem Regio-Express“(„der fährt langsam, doch er fährt“). Uschi Eid, einst Staatssekretärin unter Kanzler Schröder und Pfälzerin, sieht ihren Heimatdialekt seit Helmut Kohl als „stigmatisiert“.
Zwei lebenspraktische Anwendungen rundeten die launige Diskussonsrunde ab: In ersten Pflegeheimen, so war zu vernehmen, wird zugewanderten Pflegekräften schon Sprachunterricht im Alemannischen angeboten, mit Grundbegriffen für den Arbeitsalltag wie „mir tut’s Fidle weh“oder „mich hätt‘ ebbes stocha“. Und ein anderer schwört auf den Dialekt als Sympathie-Auslöser, der auch beim Flirten nützliche Dienste leisten könne, „weil das Schwäbisch Melodische einfach so gut und warmherzig rüberkommt“.