Hoffnung für Frankreichs berühmteste Patientin
Zwei Jahre nach dem Brand ist die Stabilisierung der Kathedrale Notre-Dame fast abgeschlossen
PARIS - Ein Bischof mit Bauhelm, eine Geigerin im blauen Overall und eine Kathedrale, die nur an ihrem schwarz-weißen Fußboden zu erkennen ist. Die Bilder der Gründonnerstagszeremonie in NotreDame zeigen, dass der Kirchenbau aus dem 12. Jahrhundert zwei Jahre nach dem verheerenden Brand noch immer eine Baustelle ist. Allerdings eine, die Hoffnung ausstrahlt. Denn die berühmteste Patientin Frankreichs ist auf dem Weg der Besserung. Das Metallgerüst aus 40 000 Teilen, das durch das Feuer zusammenschmolz und auf der Kathedrale klebte wie ein hässliches graues Pflaster, ist seit Dezember weg. „Man kann sagen, dass Notre-Dame gerettet ist“, verkündete Kulturministerin Roselyne Bachelot damals.
Von außen wirkt das Pariser Wahrzeichen tatsächlich stabil, doch innen ist es eine einzige Baustelle. Der Innenraum ist fast komplett mit einem Gerüst ausgekleidet, das wie eine riesige Zahnspange aussieht. Mit ihm sollen die Wände gereinigt werden, die durch den Brand viel Bleistaub abbekamen. Außerdem erlaubt die Stahlkonstruktion den Zugang zum Gewölbe, das noch immer die Schwachstelle von Notre-Dame ist. Bis zum Sommer sollen deshalb 70 nach Maß angefertigte Holzbügel wie Krücken unter die Gewölberippen geschoben werden, um sie abzustützen.
Über dem Innenraum klafft noch immer ein riesiges Loch, das der Einsturz des Vierungsturms hinterließ. Den „Ort des Dramas“nennt der Beauftragte für den Wiederaufbau, der frühere General Jean-Louis Georgelin, in einer Live-Besichtigung auf Facebook die offene Wunde. Sie ist durch Netze und durchsichtige Schutzplanen abgedeckt, doch in den kommenden Wochen soll eine Holzdecke eingezogen werden, die das Kircheninnere dann endlich vor Regen schützt.
Als am Abend des 15. April 2019 der Spitzturm lodernd zusammenbrach, war für viele das Ende von Notre-Dame nah. Fassungslos verfolgten damals Millionen Menschen das Stunden lang andauernde Flammeninferno. Auch Anne Marchon sah die Bilder im Fernsehen. Die pensionierte Deutschlehrerin war elf Jahre lang Kirchenführerin in NotreDame und erklärte Besuchern die religiöse Bedeutung der Kirchenschätze. „Ich hatte den Eindruck, ein Zuhause verloren zu haben“, erinnert sich die 75-Jährige an die Brandnacht.
„Nach elf Jahren habe ich in NotreDame jeden gekannt, auch die Clochards.“
Wie fast alle ihre Landsleute hat auch Marchon ihre eigene Meinung zum Wiederaufbau des Weltkulturerbes. Die Rentnerin ist dagegen, dass der durch die Flammen zerstörte Turm von Eugène Viollet-le-Duc rekonstruiert wird, da er nicht zur eigentlichen Kathedrale gehört, sondern erst im 19. Jahrhundert darauf gesetzt wurde. Doch Emmanuel Macron entschied anders: Im Sommer ließ der Präsident verkünden, dass der Kirchenbau wieder so aufgebaut wird, wie er war. Also keine gläserne Spitze, kein Dschungel aus Grünpflanzen und auch kein Schwimmbad auf dem Dach wie sie Pläne bereits zeigten. Die frühere Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner ist mit Macrons Entscheidung einverstanden, vor allem was Viollet-leDucs Turm angeht. „Der alte Turm ist einfach schön gewesen und es ist sicher sinnvoll, ihn wieder zu rekonstruieren.“
Die ersten Eichen für den Wiederaufbau sind bereits gefällt. Öffentlichkeitswirksam markierten Kulturministerin Bachelot und Landwirtschaftsminister Julien Denormandie Anfang März in der zentralfranzösischen Sarthe Baum Nummer eins für Notre-Dame. Für Spitzturm und Gewölbe sind insgesamt tausend Eichen nötig, die bis zu 200 Jahre alt sein müssen. Auch wenn die meisten Regionen voller Stolz ihre Bäume für Notre-Dame hergeben, regt sich unter Umweltschützern Widerstand. „Ein hundertjähriger Baum ist Teil unseres Kulturerbes und ein Ökosystem für sich“, heißt es in einer Petition, die bereits 42 000 Unterschriften hat. Deshalb sollten „verantwortungsvollere und weniger umweltzerstörerische“Ingenieurtechniken gesucht werden.
Die Auswahl ist allerdings nicht groß, denn Stahl scheidet als Träger aus, da er zu leicht ist. „Eine Konstruktion
ist etwas, das im Gleichgewicht sein muss“, erklärt SchockWerner im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Das sind die Strebebögen, die gegen die Wände drücken. Wenn von oben nicht mehr Last kommt, dann destabilisiert das die Mauern.“Bevor die Eichen als Baumaterial genutzt werden, müssen sie erst einmal monatelang trocknen. Der eigentliche Wiederaufbau von Notre-Dame soll ohnehin erst im Sommer beginnen. Dann bleiben noch knapp drei Jahre bis zur von Macron angekündigten Wiedereröffnung der Kathedrale. „Wir werden Notre-Dame noch schöner wieder aufbauen“, hatte der Staatschef nach dem Brand vollmundig verkündet.
Dass die weltberühmte Kirche tatsächlich 2024 wieder so dasteht wie vor dem Brand, glaubt inzwischen allerdings kaum noch jemand. „Wenn es gut geht, kann der Innenraum wieder besucht werden“, sagt SchockWerner, die die deutsche Hilfe für den Wiederaufbau koordiniert. Georgelin hat auf alle Fälle schon einen Termin für 2024 festgemacht: den Dankgottesdienst am 16. April – in der Kathedrale natürlich.