Straße trägt Namen eines „Verklärers der NS-Ideologie“
Weg im Baugebiet „Albblick“ist nach August Lämmle benannt – Stadtarchivar nimmt vor Ratssitzung Stellung
TROSSINGEN - Nach Fritz Kiehn nun August Lämmle: Erneut steht in Trossingen der Name eines Mannes in der Diskussion, der im Dritten Reich der NS-Ideologie nahe stand. Ist es im Falle Kiehns die Mehrzweckhalle am Stadion, die weiterhin dessen Namen trägt (wir berichteten wiederholt), ist es bei Lämmle eine Straße im Baugebiet „Albblick“, die nach dem schwäbischen Mundartdichter benannt wurde.
Eine gebürtige Trossingerin besuchte jüngst ihre Heimatstadt und spazierte durch das Neubaugebiet. „Dabei fiel mein Blick auf das Straßenschild August-Lämmle-Weg“, schreibt sie uns. „Ich fände es passend, wenn sich die Stadt Trossingen ebenfalls mit der NS-Vergangenheit Lämmles auseinandersetzen und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen würde.“
Das „ebenfalls“bezieht sich auf das Umgehen der Stadt Leonberg im vergangenen Herbst mit dem Namen Lämmle: Dort beschloss der Gemeinderat mit großer Mehrheit die Umbenennung der „August-Lämmle-Schule“. Zwei nach ihm benannte Straßen in Ramtel und Warmbronn erhalten laut einem Bericht der „Stuttgarter Zeitung“Informationstafeln, auf denen der historische Hintergrund des Schriftstellers erläutert ist. Aus der Liste der Leonberger Ehrenbürger, zu dem er 1951 ernannt worden war, wurde Lämmle gestrichen.
Der Dichter und Volkskundler war 1944 nach Leonberg gekommen. Er wurde 1876 in Oßweil bei Ludwigsburg geboren und starb 1962 in Tübingen. Ins Rollen gebracht hatte die Umbenennung ein Gutachten des Historikers Peter Poguntke, Lehrbeauftragter an der Universität Stuttgart, das die Stadt Leonberg in Auftrag gegeben hatte. Danach war Lämmle im März 1933, wie viele andere Deutsche auch, in die NSDAP eingetreten. In seinem Gutachten kommt Poguntke zu dem Schluss, dass „Lämmles Texte von einer geradezu peinlichen Verklärung der NSIdeologie und Verherrlichung Hitlers zeugen“.
So heißt es etwa im Vorwort zu einer Neuauflage seines Buchs „Herz der Heimat“von 1940: „Und da Gott den Mutigen hilft, gab er uns den Führer, den gläubigsten und mutigsten Mann in der Geschichte der
Deutschen.“Und als der NSDAPGauleiter in Württemberg, Wilhelm Murr, im Dezember 1938 seinen 50. Geburtstag feierte, erreichte ihn auch eine Huldigung des Heimatdichters August Lämmle. Darin heißt es: „Glücklich preis ich den Staat, dem gütige Götter gegeben, Führer und Volk aus dem ewig-einzigen Brunnen des Bluts“.
Für diese Veröffentlichungen habe „keine Not bestanden. Bei August Lämmle muss von einem beispiellosen Opportunismus ausgegangen werden, der ihn nicht einmal davor zurückschrecken ließ, die chauvinistische und antisemitische Phraseologie der Nationalsozialisten zu übernehmen“, so der Gutachter. Lämmle habe sich später nie von diesen Gedanken distanziert. Die Frage, ob Lämmle als Namensgeber für eine Schule geeignet sei, könne daher nur mit „Nein“beantwortet werden, da von Namensgebern öffentlicher Einrichtungen Vorbildcharakter in besonderer Weise erwartet werden müsse, so Poguntkes Fazit.
In Trossingen ist es zwar keine Schule oder Halle – aber immerhin eine Straße, die Lämmles Namen trägt, des „Verklärers der NS-Ideologie“. „In Württemberg gibt es 33 Straßen oder Wege, die nach August Lämmle benannt worden sind“, sagt Trossingens Bürgermeisterin Susanne
Irion auf Anfrage. So ist auch in Tuttlingen eine Straße nach ihm benannt. August Lämmle habe ein bedeutendes Buch mit dem Titel „Matthias Hohner - Leben und Werk“verfasst, das 1957 erschienen sei, erläutert sie den Bezug zu Trossingen. „Insgesamt sind die beiden Fälle Fritz Kiehn und August Lämmle weder sachlich, noch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Stadt Trossingen ganz vergleichbar“, sagt die Bürgermeisterin. „Wir werden das im Gemeinderat aber thematisieren.“
Bereits in der nächsten Sitzung am Montag, 26. April, soll das Thema nun auf die Tagesordnung kommen. Der Rat soll darüber befinden, ob der Name beibehalten, ob die Straße umbenannt oder eine erklärende Tafel angebracht wird. Als alternativer Name käme laut Stadt „Adolph-Kolping-Straße“in Betracht. Eine Umbenennung könnte laut Hauptamtsleiter Ralf Sulzmann „vor ihrer Bebauung relativ problemlos“erfolgen. „Eine spätere Umbenennung wäre aufwändiger.“
Stadtarchivar Martin Häffner hat zu dieser Sitzung eine Stellungnahme abgegeben: Das Fazit Poguntkes teile er ausdrücklich, heißt es darin. „Als unbedenklicher als die Namensgebung öffentlicher Einrichtungen hält der Gutachter die Beibehaltung der in Leonberg nach Lämmle benannten Straße, was aber nichts an der Gesamtbeurteilung der Person ändere.“Der Schriftsteller Lämmle habe ein für Trossingen bedeutendes Werk hinterlassen: Die bei Klett-Cotta in Stuttgart erschienene Biografie „Matthias Hohner - Leben und Werk“. Häffner: „Isoliert betrachtet, rechtfertigt allein dieses inhaltsreiche Werk die Namensgebung einer Straße in Trossingen nach August Lämmle“.
Zugunsten Lämmles spreche die Beauftragung zum Abfassen der Hohner-Biografie an sich. „Einem Schergen des NS-Unrechtssystems oder etwa einem NS-Polit-Ideologen hätte das Haus Hohner Mitte der 1950er Jahre diesen Auftrag nicht erteilt.“
Politische Ämter habe der ehemalige Freimaurer (1913 – 1932) im NSStaat auch nie bekleidet. Lämmles einfache Parteimitgliedschaft könne unterschiedlich bewertet werden. „Ausschlaggebend für eine Straßenumbenennung kann sie nicht sein. Ansonsten wären die Namen zahlreicher Trossinger Straßen und Plätze nicht tragbar; etwa auch die ErnstHohner-Straße oder der RudolfMaschke-Platz.“
„Gegen Lämmle spricht einiges, aber wie schwer wiegt es?“, fragt Häffner in seiner Stellungnahme. Zunächst habe sich der schwäbische
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Volksautor „wie Millionen andere Deutsche höchst opportunistisch“verhalten. Er zählte zu den sogenannten „Märzgefallenen“, die im Frühjahr 1933, als Hitler und sein NSRegime mit dem Ermächtigungsgesetz seine Macht zementierten und die Gleichschaltung in vollem Gange war, schnell die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragten.
Das Gutachten Poguntkes bringe zwar einige Belege für das „angepasste, anbiedernde Verhalten Lämmles“, der mitunter in Vorworten den NS-Staat sowie den „Führer“verherrlicht habe. Der Gutachter spreche von „schwülstigen Elogen“. Auch einzelne antisemitische Bemerkungen ließen sich bei Lämmle finden. „Es handelt sich um (leider!) absolut zeittypische Auslassungen“, so Häffner. Kennzeichnend für sein volkstümliches schriftstellerisches Werk sei ein konservatives patriarchalisches Menschen- und Gesellschaftsbild, „aber nicht etwa politische oder antisemitische Hetze“.
Ursprünglich Schullehrer, sei August Lämmle ab 1923 hauptamtlich beim Württembergischen Amt für Denkmalpflege angestellt und für den Bereich der Volkskunde zuständig gewesen, zuletzt als Hauptkonservator. Er ließ sich 1938, mit 62 Jahren, pensionieren.
„Trotz Parteieintritt und Anpassung machte Lämmle auch in seinem kulturellen Bereich nicht – die vielleicht erhoffte – steile Karriere.“Die größte Auszeichnung sei 1936 die Verleihung des schwäbischen Dichterpreises gewesen.
Das „Fazit aus Trossinger Sicht“fällt laut dem Stadtarchivar und Historiker folgendermaßen aus: „In seiner konservativen, nationalliberalen Grundeinstellung und in seiner Anpassung an den NS-Staat scheint August Lämmle überaus zeittypisch gewesen zu sein, etwa vergleichbar mit Fabrikdirektor Ernst Hohner. Ob er sich überdurchschnittlich stark anpasste, sei dahingestellt, ein eifriger „Mitläufer“war er allemal.“
„August Lämmles Verhalten in der NS-Zeit war kein Ruhmesblatt, aber verbrecherisch war es ebenso nicht“, resümiert Häffner. Ein dezentraler August-Lämmle-Weg in Trossingen ehre den Schriftsteller und insbesondere den Verfasser der wertvollen Hohner-Biografie von 1957. „Die Namensgebung hat ihre Berechtigung – in späteren Zeiten mag dies anders betrachtet werden.“