Alles nur Zukunftsmusik?
Der schwäbische Veranstalter Silverdust will trotz Corona ein Metal-Festival mit 40 000 Besuchern möglich machen und Vorreiter für eine ganz Branche sein
RAVENSBURG
- Wenn 40 000 Menschen bei einem Festival gemeinsam zu Metal-Musik abrocken, mitgrölen und wild ihren Kopf im Takt der rauen Gittarenklänge schütteln, dann sind drei Dinge garantiert: Es wird laut, eng und verschwitzt. Ganz genau so ist es im August 2019 gewesen, als über hundert Künstler beim Musikfestival Summer Breeze auf dem Flugplatz Dinkelsbühl im Landkreis Ansbach in Mittelfranken auftraten.
Dann kam Corona und die Vorstellung, 40 000 rockende Menschen dicht an dicht feiern zu lassen, wurde unvorstellbar. Doch einer glaubt mittlerweile ganz fest daran, dass genau das schon bald wieder möglich sein kann: Achim Ostertag hat das Metal-Festival Summer Breeze gegründet und ist Geschäftsführer des Veranstaltungsunternehmens Silverdust mit Sitz in Abtsgmünd im Ostalbkreis in BadenWürttemberg. Im vergangenen Jahr war für Ostertag – angesichts eines für die Welt völlig neuen Virus – klar, dass das Festival nicht stattfinden kann. In diesem Jahr aber kämpft der Gründer, der seit 22 Jahren im Geschäft ist, um sein Festival und für seine gesamte Branche.
Er hat dafür recht pragmatische Gründe. Die Pandemie scheint so schnell nicht zu verschwinden, „und es kann ja nicht ewig so weitergehen“, sagt Ostertag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Letztlich müsse ein Veranstalter den ersten Schritt wagen, damit auch trotz Corona wieder Kulturveranstaltungen stattfinden können, damit die Unternehmen in der Branche wieder Geld verdienen können. „Es bringt ja nichts, es kann im nächsten Jahr wieder eine neue Mutation aufkommen, und dann findet wieder nichts statt. Und spätestens nächstes Jahr gibt es dann keine Firmen und keine Dienstleister mehr, die das noch mal durchhalten“, sagt er.
Die Lage in der Veranstaltungsbranche ist düster. Seit März 2020 befindet sie sich quasi durchgängig im Lockdown. Nach Angaben des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungsbranche beschäftigt der Wirtschaftszweig rund eine Million Menschen in Deutschland und machte vor Corona rund 130 Milliarden Euro Umsatz. In der Krise nun verzeichnen die Unternehmen Umsatzeinbrüche von 80 bis 90 Prozent. Die meisten Mitarbeiter sind in 100-prozentiger Kurzarbeit, die Firmen leben oft von kleineren Hilfsarbeiten, Rücklagen und staatlichen Hilfen.
„Von der Politik wird unsere Branche oft übersehen. Wir haben keine große Lobby“, sagt Ostertag. Denn die Branche ist zerpflückt in viele kleine Unternehmen und Dienstleister. Es sind oft Ein-Mann-Betriebe oder Unternehmen mit nur wenigen Mitarbeitern, die von Veranstaltung zu Veranstaltung reisen, um sich dort beispielsweise um Tontechnik oder Bühnenaufbau zu kümmern.
Und noch etwas ist typisch für die Branche – etwas, das ihr nun mehr und mehr zum Verhängnis wird: Die Kultur- und Veranstaltungsindustrie benötigt lange Vorlaufzeiten für die
Voll gefüllter Platz vor der Bühne des Summer-Breeze-Festivals im Jahr 2019: Derzeit scheint ein solcher Anblick unvorstellbar.
Planung, Bewerbung und Organisation von Events. „Selbst kleinere Kulturveranstaltungen benötigen drei bis fünf Monate, um vorzuplanen“, sagt Ulrich Kromer von Baerle, Vorstand des erst vor Kurzem gegründeten Verbands Messe- und Veranstaltungswirtschaft BadenWürttemberg. Da aber derzeit nicht abzusehen ist, wann die Infektionszahlen runtergehen, trauen sich die meisten Unternehmen nicht zu planen. „Es gibt keinerlei konkrete Perspektive“, sagt Kromer von Baerle. Und: Falls es dann doch irgendwann eine Perspektive gibt, dann dauert es wegen der Vorlaufzeiten eben lange, bis überhaupt wieder was stattfindet und Geld reinkommt.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt einen Ausfallfonds für Kulturveranstaltungen angekündigt, der die Unternehmen bei Absagen schützen soll. Bis jetzt blieb es bei einer Ankündigung. Auf Versicherer können die Unternehmen auch nicht setzen. „Kein Versicherer wird einen Schutz gegen Pandemie die nächsten Jahre im Programm haben“, sagt Ostertag. Viel zu teuer.
Der Silverdust-Chef will nun nicht länger warten. Er will Perspektiven
Will das scheinbar Unmögliche möglich machen: Achim Ostertag. schaffen „statt nach staatlichen Hilfen zu schreien“. Gemeinsam mit der „Initiative Musik“, arbeitet Silverdust, das sein Geld hauptsächlich mit dem Summer Breeze verdient, deshalb an der Entwicklung eines „Konzeptes zur Durchführung einer Großveranstaltung unter pandemiebedingten Auflagen“, wie es offiziell heißt. Das Konzept soll nicht nur für das Summer Breeze gelten, sondern auch für andere Veranstaltungen. Bei der Erarbeitung habe Silverdust zahlreiche Experten aus den Bereichen Gesundheit, Veranstaltungssicherheit und Soziologie mit einbezogen.
Der Schlüssel des Konzepts ist, Veranstaltungen mit einem „engmaschigen Schnelltestverfahren“zu begleiten. Je nach Infektionsgeschehen würden die Besucher beim Summer Breeze im Zwölf- oder 48-StundenTakt vom Bayerischen Roten Kreuz getestet, zunächst am Eingang und dann mehrmals wieder auf dem Gelände. Jeder Besucher trage einen Clip mit dem gespeicherten Testergebnis am Festivalarmband, mit dem er verschiedene Zugangsbereiche auf dem Gelände passieren kann – aber nur wenn der Test negativ ausgefallen ist, „sonst sind die Zugänge versperrt“. So müsste es sogar möglich sein, ohne Masken auf dem Gelände unterwegs zu sein, sagt Ostertag.
Er setzt außerdem darauf, dass die Menschen bis etwa Ende Juli in Deutschland geimpft sind. Das Summer Breeze Festival soll im August stattfinden. Eine Impfpflicht soll es auf dem Gelände nicht geben, der Kern ist das Testen. „Aber unser Konzept ist je nach Lage im August beliebig erweiterbar“, sagt Ostertag. „Wenn wir die Möglichkeit bekommen, könnten wir vor Ort auch eine Impfung anbieten.“Auch abgesteckte Parzellen auf dem Campingplatz des Geländes sind möglich, die Messung der Körpertemperatur oder eine Pflicht sich ausschließlich auf dem Festival-Gelände aufhalten zu dürfen. Auch wenn all das einen riesigen Personalmehraufwand bedeutet.
Fiebermessen, Testen, Impfen, Maskentragen? Um abzufragen, zu was die Festivalbesucher überhaupt bereit sind, hat Silverdust parallel zur Konzeptentwicklung einen Fragebogen verschickt. 17 500 Festivalgänger haben teilgenommen. Die genauen Ergebnisse will das Unternehmen erst noch präsentieren, doch schon jetzt könne Ostertag sagen, dass die Zustimmungswerte zu den abgefragten Maßnahmen bei 80 bis 90 Prozent liegen.
Demnach sieht sich Ostertag bestätigt, dass auch ein Festival mit 40 000 Besuchern künftig stattfinden kann. Mit diesem Vorhaben will er, wenn die gesamte Auswertung seines Tests steht, an die Politik herantreten und hofft auf Gehör. Dass er damit ins absolute finanzielle Risiko geht, weiß er. Bis Juni hat er sich Zeit gegeben, dass das Konzept durchgeht. Wenn nicht, dann muss auch er umdenken und seine Mitarbeiter zu 100 Prozent in Kurzarbeit schicken, sagt er.
Doch bis dahin plant das Unternehmen weiter. Der Termin für das diesjährige Summer Breeze steht fest: 18. bis 21. August. Der Ticketvorverkauf läuft. Rund 130 Künstler hätten zugesagt, über die Hälfte der Tickets sei vergeben. Für deren Besitzer hieße es dann in diesem Jahr neben Mitgrölen und Abrocken: Testen, testen, testen. ●