EU setzt beim Reisen auf „Grünen Impfpass“
Digitales Dokument kommt im Schnellverfahren – Debatte um Datenschutz und indirekten Impfzwang
BRÜSSEL - Ein neues EU-weit geltendes Dokument soll den Europäern die Reisefreiheit zurückgeben. An diesem Mittwoch stimmt das Europaparlament darüber ab, danach beginnen die Verhandlungen mit dem Rat. Wenn man sich rasch einig wird und technisch keine Probleme auftreten, soll das „digitale grüne Zertifikat“zu Beginn der Sommerferien bereits verfügbar sein.
Wozu dient das neue Dokument?
Die EU-Kommission hat es vorgeschlagen, um den Flickenteppich an Einreisebeschränkungen zu beenden. Obwohl Brüssel seit Beginn der Pandemie an die Mitgliedsstaaten appelliert, sich auf einheitliche Kriterien zu einigen, gibt es keine gemeinsame Linie in der Pandemiebekämpfung. Das ist für alle, die beruflich oder privat zwischen mehreren EU-Ländern pendeln, unübersichtlich und hebelt die Reisefreiheit im Schengenraum komplett aus. Die EU-Kommission hat dabei keine andere Möglichkeit, als für vernünftige Lösungen zu werben. Rein rechtlich fällt der Gesundheitsschutz in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten.
Was wird auf dem Zertifikat gespeichert?
Es enthält den Namen, das Geburtsund Ausstellungsdatum, einen Kenncode und die Dokumente, die belegen, dass die betreffende Person derzeit nicht ansteckend ist – auf Englisch und in der Muttersprache. Das kann ein Impfnachweis mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff sein, ein negativer PCR-Test oder ein Antikörpernachweis, der belegt, dass die Person die Krankheit durchgemacht hat und genesen ist. Die Speicherung der Daten erfolgt dezentral. Der Aussteller – etwa ein Impfzentrum, eine Krankenkasse oder ein Labor – kann nicht nachverfolgen, zu welchen Reisezwecken das Dokument verwendet wurde.
Was kann man damit machen?
Wenn sich das EU-Parlament durchsetzt, kann man damit unbeschränkt durch Europa reisen. Den Mitgliedsstaaten bleibt überlassen, ob sie das
Zertifikat auch nutzen wollen, um beispielsweise den Theaterbesuch, einen Friseurtermin oder einen Abend im Restaurant möglich zu machen. Es wird aber von der Endfassung des Textes abhängen, ob sich wirklich alle Mitgliedsstaaten daran gebunden fühlen oder ob sie, wenn die Infektionszahlen national wieder hochschnellen, auch Inhabern des grünen Zertifikats die Einreise verweigern dürfen.
Würde nicht der gelbe Impfpass ausreichen?
Der gelbe Impfpass hat den Nachteil, dass er sehr viel anfälliger für Fälschungen ist als ein codiertes Dokument.
Schon jetzt gibt es nach Erkenntnissen der EU-Kommission zahlreiche Versuche, sich mit gefälschten Impfnachweisen Vorteile zu verschaffen.
Warum nennt es die EU-Kommission „digitales grünes Zertifikat“? Das weiß keiner. Ursprünglich versteht man unter einem grünen Zertifikat die Garantie, dass Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wurde. Es ist also ein Begriff aus der Welt des Klimaschutzes und hat mit Gesundheit rein gar nichts zu tun. Auch das Adverb „digital“führt in die Irre, denn das Dokument kann sowohl in Form eines QR-Codes auf einem digitalen Gerät als auch als Papierausdruck mitgeführt werden. Genauso missverständlich ist der deutsche Begriff „grüner Impfpass“, denn das EU-Parlament legt großen Wert darauf, dass auch Personen, die sich noch nicht impfen lassen konnten oder keine Impfung wünschen, von der Reisefreiheit profitieren und dafür ersatzweise einen PCR- oder Antikörpertest benutzen können.
Wann wird der Reiseausweis verfügbar sein?
Die verantwortlichen Politiker wissen, dass es die Menschen kaum noch hält auf dem heimischen Balkon. Deshalb haben Parlament und
Rat ein Schnellverfahren vereinbart. Unmittelbar nach der heutigen Abstimmung sollen die Verhandlungen beginnen. Schon im Juni hofft das Parlament im Plenum die endgültige Version abstimmen zu können. Parallel sollen die technischen Voraussetzungen, also die nötige Software und die Lesegeräte, geschaffen werden, sodass im besten Fall Anfang Juli die ersten Dokumente ausgegeben werden können.
Wo liegen die Differenzen zwischen Rat und Parlament?
Das Parlament hat die Rechtssicherheit im Blick. Nur wenn NichtGeimpfte nicht diskriminiert werden, hat das Modell eine Chance. Das setzt aber voraus, dass PCR- und Antigen-Tests überall in der EU rasch verfügbar und kostenfrei sind. Sonst können nur Menschen reisen, die bereits ein Impfangebot erhalten haben oder sich einen teuren Test auf eigene Kosten leisten können. Ferner will das Parlament eine Garantie, dass die Mitgliedsstaaten nicht durch die Hintertür doch wieder zusätzliche Reisebeschränkungen wie eine Quarantänepflicht einführen können. Nur wenn das Zertifikat einen garantierten Mehrwert bietet, wird es sich in der Bevölkerung durchsetzen.
Gibt es Kritik an den Plänen?
Wie in Deutschland gibt es auch in anderen Ländern eine Diskussion darüber, ob es nicht einen indirekten Impfzwang bedeutet, wenn die Reisefreiheit daran gebunden ist. Diese Bedenken versucht man mit der zusätzlichen Testmöglichkeit auszuräumen. Länder wie Ungarn, die Sputnik V verimpft haben, kritisieren, dass nur von der Europäischen Arzneimittelbehörde genehmigte Impfstoffe eingetragen werden können. Dem wird entgegengehalten, dass der russische Hersteller diese Genehmigung beantragen kann, wenn er seine Daten der EMA übermittelt. Schließlich sorgen sich Datenschützer darum, dass zu viele sensible Informationen gespeichert werden. Die Grünen im Europaparlament betonen aber, dass man nach dem Prinzip der maximalen Datensparsamkeit vorgegangen sei und der Pass aus dem Verkehr gezogen werde, sobald die Pandemie vorüber sei.
Können auch Reisende von außerhalb der EU profitieren?
Die EU-Kommission verhandelt derzeit mit den USA, ob es eine wechselseitige Anerkennung entsprechender Zertifikate geben könnte. Kroatien, Griechenland und Island sind aber bereits vorgeprescht und haben geimpfte US-Bürger eingeladen, ihre Sommerferien in diesen Ländern zu verbringen. Hier genau liegt die Schwäche des ganzen Projekts: Die EU-Kommission kann nur an die Vernunft appellieren, verbieten kann sie solche Alleingänge nicht.