„Impfpriorisierung soll Schwache schützen“
Virologe Mertens erklärt, ab welchem Zeitpunkt jeder immunisiert werden sollte
RAVENSBURG - Spätetsens ab Juni soll jeder Bürger einen Impftermin bekommen. Bislang gilt noch eine Prioritätenliste auf Grundlage einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). In Bayern soll diese aber bereits Mitte Mai ausgesetzt werden. Ob das Vorhaben des Bundes Sinn macht, erklärt der StikoChef Thomas Mertens im Gespräch mit Katja Korf.
Halten Sie das für vertretbar, welche Voraussetzungen müssen dazu aus Ihrer Sicht erfüllt sein? Grundlage der Priorisierung ist die Empfehlung der Stiko, die in einer vierten aktualisierten Fassung vorliegt. Von Beginn an beinhaltet die Stiko-Empfehlung sechs Priorisierungsstufen, wobei die sechste Stufe (rund 45 Millionen Menschen) eine Impfung für alle, nicht priorisierte Menschen vorsieht. Damit ist die „Aufhebung der Priorisierung“in der Stiko-Empfehlung immer bereits enthalten. Die Stiko-Empfehlung sagt auch, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Priorisierungsstufen regional unterschiedlich stattfinden können, je nach Durchimpfungsgrad und Bevölkerungsstruktur. Geändert werden muss also nicht die Stiko-Empfehlung, sondern die daraus abgeleitete Rechtsverordnung. Hauptanliegen der Priorisierungsempfehlung war und ist, mit knappem Impfstoff die Schwächsten in unserer Gesellschaft zuerst zu impfen, um diese zu schützen und damit auch unser Krankenhaussystem
vor Überlastung zu schützen. Voraussetzung für die „Aufhebung der Priorisierung“ist also, dass alle Menschen, die wegen Alter oder Vorerkrankungen ein hohes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben, ein Impfangebot erhalten haben. Es kann nicht gerecht sein, wenn diejenigen, die eine Impfung wegen hohem Krankheitsrisiko besonders dringend benötigen und möglicherweise bereits länger auf die Impfung gewartet haben, jetzt nicht mehr vordringlich geimpft werden. Wenn so viel Impfstoff verfügbar ist, dass man sowohl die priorisierten Menschen als auch die Menschen ohne besonderes Erkrankungsrisiko parallel impfen kann, dann sollte man das auch gleichzeitig tun.
Was wissen wir bislang darüber, wie infektiös Menschen nach der Erst- und der gegebenenfalls notwendigen Zweitimpfung sind?
Wir wissen, dass das Risiko einer Infektion (ohne Erkrankung) bei einem Geimpften bei Kontakt wesentlich geringer ist als bei einem nicht geimpften Menschen (etwa noch 20 Prozent). Wir wissen auch, dass die Virusausscheidung eines Geimpften, der sich danach infiziert hat, wesentlich geringer ist als die eines nicht Geimpften bei Infektion. Der Geimpfte scheidet für kürzere Zeit Virus aus und auch viel weniger Virus. Ob diese mögliche Virusausscheidung durch einen zuvor Geimpften noch ausreicht, um weitere Menschen anzustecken, wissen wir noch nicht genau. Das ist tatsächlich auch nur schwer exakt feststellbar, Untersuchungen hierzu werden durchgeführt. Zusammengefasst glaube ich, dass das Übertragungsrisiko durch Geimpfte so viel geringer ist, dass Erleichterungen – zum Beispiel Verzicht auf Testungen mit Antigenschnelltest, Quarantäne– möglich sind. Ein Problem könnte dann bestehen, wenn ein zuvor Geimpfter, der sich danach infiziert hat, als „Restvirusausscheider“Kontakt mit einem ungeimpften Menschen mit hohem Risiko für schwere Covid-19 Erkrankung hat.
Und wie sieht das bei Genesenen aus?
Für alle praktischen Belange kann man vollständig Geimpfte und Genesene als vergleichbar ansehen.