Ein Fall für die Geschichtsbücher
Es geht Schlag auf Schlag. Dem Corona-Hilfspaket, das Joe Biden im März durch den Kongress brachte, folgte eine Blaupause, mit deren Hilfe Amerikas veraltete Infrastruktur modernisiert werden soll. Und nun präsentiert der Veteran im Weißen Haus seinen dritten Plan, diesmal mit dem Ziel, die Kinderbetreuung zu verbessern und Heranwachsenden aus einfachen Verhältnissen faire Bildungschancen zu bieten. Die Kosten sind so atemberaubend wie das Tempo, das Biden anschlägt: 1,9 Billionen, 2,3 Billionen und schließlich 1,8 Billionen Dollar. Seit Franklin Delano Roosevelt mit seinem New Deal die Folgen der Weltwirtschaftskrise abfederte, hat kein amerikanischer Präsident in so kurzer Zeit so viele ambitionierte Programme in Angriff genommen.
Ausgerechnet Biden, der im Wahlkampf für Maß und Mitte stand, für den Verzicht auf Experimente, versucht sich an einschneidenden Reformen. Die Richtungsänderung, die er anpeilt, hat es in dieser Konsequenz seit vier Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Anfang der Achtziger war es Ronald Reagan, der das Ruder herumwarf und de facto die Ära Roosevelt beendete. Staatliches Handeln, predigte der Konservative, sei auf ein Minimum zu beschränken, damit es privater Initiative nicht im Weg stehe. Bill Clinton, der erste Demokrat, der nach Reagan eine Präsidentschaftswahl gewann, änderte im Wesentlichen nichts an dem Kurs. Die Zeiten von Big Government seien vorbei, erklärte er 1996.
Nun sagt Biden im Grunde, dass Big Government unverzichtbar ist. Dass nur eine mutige Wirtschaftsund Sozialpolitik das vielleicht akuteste Strukturproblem angehen kann: eine soziale Ungleichheit, die zuletzt immer nur wuchs. Um die amerikanische Demokratie vor Populisten zu retten, macht er deutlich, muss sich diese Demokratie um die Abgehängten und die von Abstiegsängsten Geplagten kümmern, um Donald Trumps „vergessene Männer und Frauen“. Ob Biden alles im Kongress durchsetzen kann, ist ungewiss. Falls er ans Ziel kommt, dürfte er in die Geschichtsbücher eingehen. Als der Präsident, der Amerika so gründlich veränderte, wie es seit Reagan nicht mehr der Fall war.
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