Am Küchentisch mit Alice Weidel
Sammy Amara von der Band Broilers hat Ablehnung am eigenen Leib erfahren – Das Album „Puro Amor“auf Platz eins der Albumcharts eingestiegen
Dass erfolgreiche Musik aus Düsseldorf nicht ausschließlich den Toten Hosen vorbehalten ist, beweisen die Broilers seit etlichen Jahren. Die fünfköpfige Band hat am Freitag ihr achtes Album „Puro Amor“vorgelegt. „Aus Versehen“sei es ein Konzeptalbum geworden, da in so gut wie jedem Lied die Liebe eine Rolle spielt – wenn auch nicht ausschließlich die romantische, wenn auch nicht ausschließlich die erfüllte. Mal wehmütig, mal gesellschaftskritisch, mal voll von Pathos sind die Lieder, so dass die Süddeutsche Zeitung Sänger Sammy Amara das Prädikat „rheinischer Springsteen“ausstellt.
„Das ist natürlich ein großes Kompliment“, bekräftigt der 41-jährige Amara. „Bruce Springsteen gibt mir ein gutes Gefühl, ein Gefühl von Zuhause, ein Gefühl von Wärme.“Wie The Boss hält auch Amara nicht hinterm Berg mit seinen politischen Ansichten. „Ich möchte, ganz naiv gesprochen, dass die Menschen sich lieb haben. Ich möchte, dass wir miteinander klarkommen und dass wir die bestmögliche Form der Regierung, die Demokratie, aufrechterhalten“, schildert er seine Beweggründe, sich gegen Rassismus und Xenophobie auszusprechen. „Ich möchte den Blick in den Spiegel immer noch ertragen. Ich möchte mir nicht selbst vorwerfen, die Füße stillgehalten zu haben oder Steigbügelhalter für gefährliche Ideologien gewesen zu sein.“
Für ihn ist nicht nachvollziehbar, wie die Alternative für Deutschland (AfD) mit dem Wissen über die NSZeit ihre Inhalte vertreten kann. „Ich schätze, viele Menschen haben sich unter Merkel nicht abgeholt gefühlt und dann die AfD als einzigen Ausweg gesehen. Bisher hat sie es gut geschafft, nicht zu sehr NPD zu sein, nicht zu radikal zu sein“, analysiert Amara. Aus seiner Sicht ist die AfD gefährlich, weil sie noch nicht vollständig entlarvt wurde.
Auf dem neuen Album fantasiert sich Amara im Song „Alice und Sarah“an den Küchentisch von Alice Weidel, der Co-Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, und ihrer Partnerin Sarah Bossard. In persönlicher Ansprache fordert er Bossard auf, ihrer Partnerin die Streichhölzer wegzunehmen. „Ich kann es einfach nicht begreifen, wie eine durchaus intelligente Frau solche Inhalte herausschreien kann, mit dem Lebensentwurf,
den sie lebt“, sagt Amara. „Hat sich Alice Weidel vielleicht in eine Spirale begeben, aus der sie nicht mehr herauskommt? Genießt sie die Aufmerksamkeit so sehr?“, fragt sich Amara. Der Liedtext geht weiter mit „Bitte wach auf Alice, wann war der Moment, in dem dich der Anstand verließ?“Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“spricht er von der Unvereinbarkeit von Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. „Wie auch Gerhard Bronner gesagt hat: Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“
Amara ist als Sohn eines Arztes aus dem Irak und einer Sekretärin aus Deutschland im Düsseldorfer Stadtteil Hellerhof aufgewachsen. „Ich habe mich selbst nicht als Kind mit migrantischen Wurzeln wahrgenommen“, berichtet er, „ich habe das zwischen den Zeilen mitbekommen und konnte das nicht verstehen, warum ich anders behandelt werde als Christian, Andreas oder Stephan.“Seine Lösung? „Vielleicht hat das am Ende des Tages eine gewisse Überkompensation ausgelöst, die mich dazu gebracht hat, mich ein bisschen mehr anzustrengen.“
Sicher ist es auch mit diesem Ehrgeiz zu verdanken, dass die Broilers, die ihre Ursprünge in der Punkrockund Oi!-Szene hatten, inzwischen derart große Erfolge verbuchen, auch was Ticketverkäufe und Chartplatzierungen angeht. Seit etwa 2010 können Andreas „Andi“Brügge (Schlagzeug), Ines Maybaum (EBass), Ronald „Ron“Hübner (Gitarre) und Christian „Chris“Kubzak (Keyboard) von der Musik leben. Zuvor widmeten sich die Bandmitglieder unter der Woche der Schule, dem Studium, der Arbeit und am Wochenende dem Konzertvergnügen.
Ihr fünftes Studioalbum „Santa Muerte“landete 2011 auf Platz drei der deutschen Albumcharts, die beiden Nachfolger „Noir“(2014) und „(sic!)“(2017) jeweils auf Platz eins. In Nicht-Pandemie-Zeiten füllen sie große Hallen und werden Sommer für Sommer für Festivalauftritte gebucht, ob nun für Southside oder Rock am Ring. Ob es ab Juli wie geplant zurück auf die Bühne gehen kann, ist ungewiss. Wie gut das neue Material live klingt, hat die Band bei einem Streaming-Konzert am 1. Mai bewiesen. Für aufstrebende Musiker hält Amara fest: „Schielt nicht auf den Erfolg, genießt den Moment, den ihr zusammen mit euren Freunden im Proberaum verbringt und selbst etwas schafft.“