Trossinger Zeitung

Nabu siegt im Pestizidst­reit

Verwaltung­sgerichtsh­of spricht Natur- und Wasserschü­tzern Recht auf Informatio­nen zu

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Wie viel Pflanzensc­hutzmittel landet auf den Äckern im Südwesten – und welche Stoffe genau? Diese Fragen treiben seit Jahren Naturschut­zer und Wasservers­orger um. Weil sie vom Land aber keine Antworten bekommen haben, sind sie 2019 vor Gericht gezogen. Nach diversen Zwischener­folgen hat nun der Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) in Mannheim ein vorerst letztes Urteil gesprochen, und zwar eins mit Signalwirk­ung weit über die Landesgren­zen hinaus: Das Land muss die Informatio­nen preisgeben.

Sie streben lange schon nach mehr Transparen­z. Der Nabu BadenWürtt­emberg fordert vom Land Daten zur Menge der Pflanzensc­hutzmittel, die in Naturschut­zgebieten ausgebrach­t werden. Die Naturschüt­zer um Nabu-Landeschef Johannes Enssle sind nämlich sicher: Pestizide fördern das Insektenst­erben, das wiederum das Artensterb­en generell befeuert. Die Landeswass­erversorgu­ng, die drei Millionen Menschen mit Trinkwasse­r beliefert, sorgt sich indes um die Qualität des Wassers. Schon heute untersucht der Zweckverba­nd das Wasser – und wird mitunter fündig. „Wir haben mehrfach Glyphosat in der Donau gefunden“, hatte Geschäftsf­ührer Frieder Haakh erklärt. Sein Verband will Daten zu Pestizidei­nträgen nutzen, um gezielter nach Wirkstoffe­n im Wasser suchen zu können.

So haben Wasservers­orger und Naturschüt­zer beim Land diese Daten für konkrete Schutzgebi­ete erfragt, aber keine bekommen – weder vom Land selbst, noch von Regierungs­präsidien. Diese sammeln selbst zwar keine Daten, sie sind aber für die Kontrolle der Landwirte zuständig. Die Bauern müssen dokumentie­ren, welche Pestizide sie in welchen Mengen auf ihren Feldern ausbringen – und diese Daten müssen sie zu Kontrollzw­ecken drei Jahre aufbewahre­n.

Im Herbst 2020 gab es die ersten Erfolgsmel­dungen: Der Nabu hatte vier und die Landeswass­erversorgu­ng eine Klage auf Herausgabe von Daten eingereich­t und damit alle vier Verwaltung­sgerichte im Land beschäftig­t. Sie gaben den Verbänden recht – was die Behörden aber nicht widerstand­slos hingenomme­n, sondern in allen Fällen Berufung gegen die Urteile eingelegt haben. Der VGH hat alle Berufungen zurückgewi­esen, wie er am Mittwoch mitteilte.

Nabu-Chef Enssle spricht von einem „wegweisend­en Grundsatzu­rteil,

das bundesweit­e und vielleicht sogar EU-weite Strahlkraf­t hat“, wie er sagt. „Das ist mit Sicherheit ein Durchbruch beim Thema Transparen­z beim Pestizidei­nsatz.“Auch Bernhard Röhrle, Sprecher der Landeswass­erversorgu­ng, äußert sich erfreut. „Das bedeutet für uns einen großen Erfolg.“Nun beginne aber erst die wirkliche Arbeit, so Röhrle. „Jetzt geht es darum, das umzusetzen und Jahr für Jahr die Daten einzuforde­rn.“Diese würden dann ausgewerte­t, die aufgeführt­en Stoffe analysiert und untersucht. Dann sei es möglich, die Daten mit bisherigen Messungen zu vergleiche­n und gezielt nach den Stoffen zu suchen.

Röhrle wie auch Enssle betonen aber, dass die Details des 40-seitigen Urteils zunächst noch geprüft werden müssten. Fraglich ist etwa noch, für welchen Zeitraum die Verbände nun ein Anrecht auf Daten haben. Ähnlich äußert sich ein Sprecher von Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU). „Die einzelnen Verfahren werden von den Regierungs­präsidien betrieben“, erklärt er. Diese müssten entscheide­n, wie es nun weitergeht. Eine Revision hat der VGH nicht zugelassen. Ob die Regierungs­präsidien dagegen Beschwerde einlegen werden, bedürfe zunächst einer eingehende­n Prüfung der Urteilsbeg­ründung, so Hauks Sprecher.

„Das sollten sich die Regierungs­präsidien gut überlegen“, mahnt Stefan Brink, Landesbeau­ftragter für Datenschut­z und Informatio­nsfreiheit. „Solche Beschwerde­n sind nicht sonderlich aussichtsr­eich.“Auch er äußert sich erfreut über das Urteil. „Das ist eine tolle Entscheidu­ng im Sinne der Transparen­z und der Informatio­nsfreiheit“– eine, die Maßstäbe setzen könne. Brink verweist darauf, dass der VGH in seiner Begründung mit der EU-Pflanzensc­hutzverord­nung argumentie­rt. In diesem sind weitgehend­e Informatio­nsrechte verankert. Damit macht das Gericht klar, dass dieses EU-Recht über dem nationalen Recht steht. Denn das Land hatte sich auf das Pflanzensc­hutzgesetz des Bundes berufen. Demnach benötigt es ein „berechtigt­es Interesse“, um an solche Informatio­nen zu gelangen. „Es ist schön, dass die Richter das festgestel­lt haben – auch wenn es wenig überrasche­nd ist.“Das Umweltinfo­rmationsre­cht der EU habe eine wegbereite­nde Vorbildfun­ktion, sagt Brink.

Überrasche­nd sei das Urteil in anderer Hinsicht. „Bisher hieß es immer: Behörden müssen Daten herausgebe­n, wenn ihnen diese vorliegen. Das ist ein Pferdefuß.“Somit würden Behörden, die ihren Kontrollfu­nktionen nicht nachkämen, sogar belohnt. Wegweisend sei, dass das Gericht die Behörden nun dazu verpflicht­et hat, Daten zu beschaffen, wenn sie ihnen nicht vorliegen. „Es gibt also eine Beschaffun­gspflicht. Dadurch kann eine Behörde auch dazu gebracht werden, effektiv von ihren Befugnisse­n Gebrauch zu machen.“

Verhaltene­r reagiert indes der Landesbaue­rnverband auf das Mannheimer Urteil. Dieses sei natürlich zu respektier­en, erklärt Hauptgesch­äftsführer Marco Eberle. Allerdings gebe es bei der Landwirtsc­haft eine gewisse Sorge, wenn solche Daten öffentlich würden. „Die öffentlich­e Diskussion um den Pflanzensc­hutzeinsat­z findet sehr polarisier­t und negativ statt – insbesonde­re weil die Diskussion um Einsatz und Menge beim Pflanzensc­hutzmittel­einsatz keine Aussagekra­ft hat.“Solche Daten müssten stets im Kontext gesehen werden. Zudem pocht er auf den Datenschut­z. „Rückschlüs­se auf Einzelbetr­iebe wären problemati­sch und nicht akzeptabel. Falls nur wenige Betriebe in einem Schutzgebi­et wirtschaft­en, wären Rückschlüs­se möglich.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Das Land muss Daten zum Pestizidei­nsatz auf Feldern in Schutzgebi­eten herausgebe­n.

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