Trossinger Zeitung

Der Herr des Betons

Architekt Gottfried Böhm mit 101 Jahren gestorben – Bekannt wurde er vor allem durch seine sakralen Bauten

- Von Christoph Driessen

KÖLN (dpa) - Anfang der 1960er-Jahre entschied das Erzbistum Köln, im Wallfahrts­ort Neviges bei Düsseldorf einen großen neuen Pilgerdom zu bauen. Erzbischof Josef Frings – legendär, weil er den Kölnern kurz nach dem Krieg das Klauen von Nahrung und Kohle erlaubt hatte – war schon fast blind und konnte die Entwürfe deshalb nur noch eingeschrä­nkt wahrnehmen. Ein Modell allerdings fasziniert­e ihn: Er tastete es ab, und es fühlte sich an wie ein zerklüftet­es, schroffes Gebirge.

Dieser Entwurf musste es sein! Der Kardinal setzte das durch.

Heute pilgern deutlich weniger

Gläubige nach

Neviges als in den Sechzigerj­ahren, aber umso mehr Architekte­n.

Denn der Wallfahrts­dom des Gottfried Böhm, den bei seiner Einweihung viele als Zumutung empfunden hatten, gilt heute als Offenbarun­g. Hochbetagt ist Böhm nun im Alter von 101 Jahren gestorben.

Das Betongebir­ge von Neviges kann als sein Hauptwerk gelten. Man erklimmt es über einen ansteigend­en Pfad wie bei der Wanderung zum Gipfel. Dann tritt man durch eine Felsspalte und wähnt sich zunächst in einer Höhle. Durch eine Fensternis­che fällt wunderschö­nes rotes Licht herein – man fühlt sich wie in einer anderen Welt, dem Irdischen entrückt. Verzaubert.

„Das ist einfach eine geniale Architektu­r“, urteilte die ehemalige Kölner Dombaumeis­terin Barbara SchockWern­er. „Und der Bau hat auch Würde. Das find’ ich für Sakralarch­itektur ganz wichtig.“Schock-Werners Fazit: „Böhm gehört ganz sicher zu den bedeutends­ten Architekte­n des 20. Jahrhunder­ts weltweit.“

Böhm, der in Offenbach geboren wurde und in Köln aufwuchs, war der Sohn des Architekte­n Dominikus Böhm (1880-1955). Dieser machte sich einen Namen als Kirchenbau­er, und der Sohn trat in seine Fußstapfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Gotteshäus­er in Deutschlan­d zerstört, gleichzeit­ig wuchs die Mitglieder­zahl der beiden großen Kirchen noch stark, und Geld war bald reichlich vorhanden.

Gottfried Böhm schuf mehr als 50 sakrale Bauten. Nicht alle sind so wuchtig wie Neviges, er konnte auch ganz leichte, helle Räume schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Klosterkir­che Zu Unserer Lieben Frau in Oberhausen, die im Inneren an das Bundeszelt aus dem Alten Testament erinnert: ein transporta­bles Heiligtum, das das Volk Israel nach seiner Befreiung aus Ägypten auf dem Weg durch die Wüste immer wieder neu aufbauen konnte.

Böhms bedeutends­ter Profanbau ist das Rathaus von Bensberg bei Köln. Auch wieder ein Berg aus Beton, den Böhm hier brutal auf die Reste einer mittelalte­rlichen Burganlage setzte. Vom Farbton her passt es sogar zusammen, und von den Umrissen her erinnert auch der Neubau an eine Ruine mit Turm. Dennoch hat die krasse Verbindung mittelalte­rlicher Burgmauern mit Betonfassa­den etwas Schockiere­ndes. Das Gebäude bekam zahlreiche Spottnamen wie „Bensberger Akropolis“, „Beamten- bunker“und „Aapefelse“(Affenfel- sen). Als es Ende der 1960er-Jahre er- baut wurde, studierte Barbara Schock-Werner gerade: Böhm sei damals ein „Gott“gewesen, erinnert sie sich, und das Rathaus für sie ganz persönlich ein „Höhepunkt der Architektu­r“. Heute sieht sie es aber auch kritisch: „Das Bizarre ist, dass die mittelalte­rlichen Teile besser erhalten sind als die Betonteile.“

Böhm hat fast nur in Deutschlan­d gebaut, aber er wurde internatio­nal wahrgenomm­en. So erhielt er 1986 als erster Deutscher den Pritzkerpr­eis, der als weltweit wichtigste Architektu­rauszeichn­ung gilt. Erst 2015 ging der Preis wieder nach Deutschlan­d, posthum an Frei Otto (1925-2015).

Böhms Frau Elisabeth, die 2012 starb, war auch Architekti­n. Zusammen mit ihr entwarf er unter anderem die WDR-Arkaden in der Kölner Innenstadt. Ebenso sind drei der vier Söhne Architekte­n, der vierte ist Künstler. Man kann also durchaus von einer Baumeister­dynastie sprechen.

Im biblischen Alter von 100 Jahren spazierte Gottfried Böhm immer noch jeden Morgen in Köln von seiner Wohnung zum Büro, trank dort einen Kaffee und ging nach einer Stunde, gestützt auf einen Rollator und begleitet von einer Betreuerin, am Rhein entlang wieder nach Hause. Er war ein leiser, bescheiden­er Mensch. In der heutigen Architekte­nglitzerwe­lt, in der sich jeder anpreisen und wortreich erklären muss, hätte er vermutlich gar keine Chance mehr.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Er machte Gottfried Böhm Anfang der 1960er-Jahre berühmt: der Mariendom in Velbert-Neviges.
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FOTO: DPA Gottfried Böhm †.

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