Musikhochschule spürt Auswirkungen der Pandemie
Zahl der Bewerbungen um Studienplätze sinkt – Millionen-Finanzspritze vom Bund für die Digitalisierung der Lehre
TROSSINGEN - Die Musikhochschule spürt die Auswirkungen der Pandemie: Die Zahl der Bewerbungen auf einen Studienplatz ist laut Rektor Christian Fischer „um zehn bis 15 Prozent“gesunken. Gleichwohl sei die Hochschule mit ihren gut 450 Studierenden „voll ausgelastet“. Positive Kunde: Ein Drittmittelantrag über 1,15 Millionen Euro vom Bund beim Programm „Musikstudium im digitalen Raum“wurde bewilligt.
Damit kann die Hochschule viel Geld stecken in die Digitalisierung der Lehre: Unter anderem werden ab Herbst zwei Stellen geschaffen bei der „Ausbildung digitaler Lehr- und Lerninfrastruktur“. Fischer nennt ein Beispiel, was künftig möglich sein soll: So sei man im Gespräch mit Musikhochschulen in Österreich und der Schweiz über „Meisterkurse per Streaming“. Während der Pandemie eingerichtet wurden bereits fünf digitale sowie ein mobiler Unterrichtsraum. „Die sind sehr gefragt und werden von den Dozenten gelobt.“Die akustische und visuelle Qualität sei dank jeweils mehrerer Kameras und Mikrofone hoch.
Probleme gibt es indes noch mit dem Wlan an der Musikhochschule. „Das ist in neuen und alten Gebäudeteilen sehr unterschiedlich“, weist Fischer auf die „dicken Mauern und Türen“im alten Teil hin, die OnlineUnterricht dort erschweren. Durch die Millionen-Finanzspritze vom Bildungsministerium sei es jedoch möglich, „auch im alten Trakt neue Leitungen für Wlan zu legen“.
Die neue Realität in Corona-Zeiten hat zu einer alternativen Ausprägung des Begriffs „Fernstudium“geführt: „Ein Fagott-Student aus China konnte nicht nach Deutschland einreisen“, berichtet der Rektor. Deshalb sei er seit zwei Semestern komplett im Online-Unterricht zwischen Trossingen und Fernost. Das funktioniere, „aber er hat etwa keinen Kammerunterricht mit anderen Studierenden zusammen“. Seit dem Sommersemester seien die meisten der
Studierenden aus Asien indes wieder in Trossingen. Dennoch sei die Anreise und Erreichbarkeit von Studierenden und auch von Dozenten, die einen Wohnsitz im Ausland haben, problematisch. Der Unterricht sei „von unterschiedlicher Qualität“, sagt Fischer: Manches finde in Präsenz statt, einiges online „in guter und manchmal weniger guter Qualität“.
Wegen der Pandemie sei im vergangenen Jahr viel Unterricht ausgefallen, der immer noch nachgeholt werde. Einige Studierende hätten Urlaubssemester eingelegt und nun die Möglichkeit, ein Semester dranzuhängen. Dozenten, die Probleme mit der Einreise nach Deutschland hatten, seien gebeten worden, komplett online zu unterrichten, so Fischer. Damit praktische Anteile stattfinden konnten, habe die Musikhochschule eine Sondererlaubnis bekommen. Wissenschaftliche Theorie und Musikpädagogik jedoch liefen „überwiegend
digital“. Der praktische Unterricht erfolge unter strengen Auflagen mit Hygienekonzept einzeln und in Kleingruppen – und mit unterschiedlichen Vorgaben etwa für Klavierspieler oder Blasmusiker. Sogar Projekte seien in kleiner Besetzung möglich gewesen. Bei Orchesterund Chorproben habe man sich damit beholfen, dass nur einzelne Register gemeinsam üben.
Dennoch war die Hochschule im Dezember zu einem Corona-„Hotspot“geworden, blickt der Rektor zurück: Bei einer Combo-Probe sei eine Musikerin infiziert gewesen und habe elf Mitmusiker angesteckt. „Es war kein schwerer Verlauf darunter – aber wir haben die Hochschule für zwei Wochen mehr oder weniger dicht gemacht.“Die Musikhochschule habe eben das Problem, „dass wir nicht viele größere Räume haben“.
Auch die Psyche einiger Studierender und Dozenten hat in der Pandemie
gelitten. „Einigen ist das alles ganz schön an die Nieren gegangen – es geht ihnen nicht gut“, spricht Fischer von einer „starken Belastung“. Gerade freiberuflich Tätige stellten sich die „Frage der Perspektive – ob sie diesen Beruf überhaupt wagen können, wenn wieder eine solche Pandemie käme“.
Vielleicht ist dies mit ein Grund für die „leicht rückläufigen Bewerberzahlen“, die Fischer anspricht. In einzelnen Fächern gebe es starke Schwankungen, insgesamt jedoch nicht bei den Belegungszahlen. „Die Zahl der Studierenden ist nicht gesunken.“Neu sei eine „digitale Vorrunde“für Bewerber auf Studienplätze. „Die werden wir beibehalten – dann kommen nicht mehr 600, sondern 250 junge Musiker zum Vorspielen.“
Verschoben haben sich wegen der Pandemie auch Prüfungen. Diese finden laut Fischer alle in Präsenz statt. „Einzelne Prüfer sind jedoch online dazu geschaltet, wenn sie Anreiseprobleme oder gesundheitliche Beschwerden haben.“
Weitgehend ausgeschöpft sei der Hilfsfonds, der im vergangenen Jahr für bedürftige Studierende aufgelegt worden war. „Seit Januar gab es keine Ausschüttung mehr, einzelne Studierende hätten noch Bedarf“, sagt der Hochschulchef.
Insgesamt seien gut 90 000 Euro an Studierende ausgeschüttet worden – 50 000 Euro aus dem Fonds sowie 40 000 Euro aus der Ernst-vonSiemens-Stiftung.
Ein Manko gerade für neue Studierende sind derzeit die mangelnden Möglichkeiten des Kennenlernens. „Vergangenes Jahr haben wir deshalb eine Sommersingwanderung veranstaltet“, blickt Fischer zurück. „Einzelne Studierende sind dabei erstmals mit anderen zusammengetroffen.“Seit Anfang des laufenden Semesters biete die Hochschule Begegnungsveranstaltungen für Erstsemester an, teilweise online. Für den Oktober indes hofft Fischer auf eine ganz besondere Veranstaltung für neue Studierende, ein „Expert-Dating“: Fachleute wie Künstler oder Intendanten sollen sich dann mit den jungen Musikern zusammensetzen und deren Fragen beantworten.
Wenn die Inzidenzzahlen es zulassen, sind dieses Jahr noch weitere Veranstaltungen geplant: Am Sonntag, 4. Juli, soll von 15 bis 18 Uhr das „Kunstfest Hohenkarpfen“mit der Musikhochschule steigen, mit Performances, Führungen und Musik an Kunstwerken. „Das wird nach langem unsere erste Open-Air-Veranstaltung“, ist Fischer zuversichtlich, dass es damit klappt.
Für das Wintersemester hofft er auf Live-Veranstaltungen der Hochschule, eventuell mit der Luca-App. Und im Dezember soll das eigentlich für diesen Juni geplante Jubiläumsfest zu 50 Jahre Wiederverstaatlichung als „Staatliche Hochschule für Musikerziehung Trossingen“nachgeholt werden, „mit Musik in allen Räumen“.