Firmen fordern Alternative zur Vollsperrung
Sanierung der L277: Nendinger wollen Behelfsbrücke, den Radweg nutzen oder eine schnelle Teilumgehung
TUTTLINGEN-NENDINGEN - Noch sind es zwei oder drei Jahre, bis es soweit ist, dennoch bewegt die drohende, mehrmonatige Vollsperrung zwischen Tuttlingen und Nendingen schon jetzt die Gemüter. Das Land will die Brücke der L 277 und die beiden Hochwasserdurchlässe 2023 oder 2024 sanieren, eine großräumige Umleitung über Neuhausen ist angedacht – für die Nendinger Firmen ein Alptraum.
Allein für die Spedition Rettenmaier an der Sattlerstraße käme es bei einer Vollsperrung knüppelhart. „Wir müssten mit der Umleitung im Jahr deutlich mehr als 65 000 Kilometer mehr fahren“, hat Speditionsleiter Anastasios Kladis berechnet. Seine Spedition steuert mit den Lastwagen von Nendingen aus überwiegend die Autobahn an. Die mit Hinund Rückweg über 40 Kilometer lange Umleitung über Neuhausen hätte aus seiner Sicht verheerende Folgen. „Die Lastwagen benötigen 30 bis 40 Liter auf 100 Kilometer. Wenn die Höhenmeter über Neuhausen dazukommen, liegen wir bei 50 Liter“, weiß Kladis. Während er normalerweise rund 45 Minuten bis zur Autobahn einplane, seien es mit Umleitung eine Stunde und 20 Minuten. „Für uns bedeutet die Vollsperrung und Umleitung eine Kostenexplosion“, fügte er mit Blick auf die Spritkosten und den Verschleiß hinzu.
Eine große Erleichterung würde aus Sicht des Speditionsleiters eine Behelfsbrücke darstellen. Und selbst wenn es zusätzlich zu einer Ampelphase auf oder vor der Brücke käme, sei dies eine viel bessere Lösung als eine großräumige Umleitung über Neuhausen, so Kladis.
Das sehen Jörg Schwarz vom gleichnamigen Bauunternehmen und Arnold Getsch vom Medizintechnikunternehmen Getsch und Hiller ähnlich. Beide haben zwischen 50 und 65 Mitarbeiter, die zum Großteil aus umliegenden Orten einpendeln. Zwar hat sich Schwarz schon Gedanken gemacht, wie er Bautrupps je nach Wohnort und Baustellenlage neu zusammenstellen könnte, organisatorisch wäre das allerdings eine große Herausforderung. Gemeinsam mit anderen Gewerbetreibenden möchte er deshalb helfen, eine „sinnvolle Alternative“zur Vollsperrung zu finden.
„Es besteht sicher die Möglichkeit, einen Teil der Brücke offen zu lassen und das Ganze entweder über ein Ampelsystem oder aber auch über ein Einbahnstraßensystem zu entlasten“, schlägt Getsch vor. Er betreibt unter anderem einen Lieferdienst für diverse Tuttlinger Unternehmen und hat ausgerechnet, dass mit der Sperrung 165 Stunden Mehrarbeit nur dafür zusammenkämen.
Was vielen Firmen auch sympathisch wäre: der schnelle Bau einer ohnehin diskutierten Teilumgehung für Nendingen. Sie würde vom KarlStorz-Kreisel ins Gewerbegebiet „Brenner“führen. Auch Ortsvorsteher Franz Schilling hatte die Idee für die Zeit der Sanierung wieder ins Spiel gebracht. Oberbürgermeister Michael Beck sah dafür aber bereits im Sommer 2019 wenig Chancen. Als die LBU gegen die Teilumgehung 900 Unterschriften sammelte und diese dem OB übergab, sagte er: „Ich kann Ihnen die Angst nehmen, dass diese Straße je gebaut wird.“
Und auch jetzt begräbt die Stadt auf Nachfrage unserer Zeitung die Wunschlösung vieler Nendinger: „Die Teilumgehung wird derzeit nicht weiter verfolgt. Allein schon mit Blick auf die zu erwartenden und teilweise auch schon eingetretenen Steuereinbrüche durch die CoronaPandemie genießt dieses Projekt keine Priorität“, sagte Stadt-Pressesprecher Arno Specht.
Die Vollsperrung mit der Umgehung in Verbindung zu bringen, mache wenig Sinn. Die Sperrung ist für 2023 oder 2024 geplant. „Bis dahin wäre die Umgehung nie und nimmer gebaut. Selbst wenn man sofort in die Planung einsteigen würde, würde alleine das Genehmigungsverfahren unter anderem wegen der Lage im Wasserschutzgebiet Jahre dauern. Für die Zeit der Vollsperrung würde die Teilumgehung also nichts bringen“, ergänzte Specht und machte damit die Hoffnung auf eine baldige Realisierung einer Teilumgehung zunichte.
Aktuell scheitere es vor allem an der finanziellen Lage. Und: Generell müsse man sich die Frage stellen, ob ein solches Projekt im Jahr 2021 noch zeitgemäß sei oder ob der zu erwartende Nutzen sowohl die Kosten als auch den Landschaftsverbrauch rechtfertige – was zum Teil auch bei den Firmen Verständnis hervorruft. Im Juli soll die Teilumgehung auch Thema im Gemeinderat sein.
Welche anderen Lösungen gibt es also für die Zeit der Sanierung der L277? Einer Behelfsbrücke hatte Baudezernent Florian Steinbrenner im Nendinger Ortschaftsrat zunächst eine Absagte erteilt. Dennoch dränge die Stadt Tuttlingen laut ihrem Pressesprecher Arno Specht massiv darauf, eine Lösung zu finden, die für die Anlieger deutlich attraktiver sei als die Vollsperrung. „Wir haben frühzeitig das Gespräch mit dem Land gesucht, um hier die notwendige Zeit für Gespräche zu haben und Alternativen, zum Beispiel auch beim öffentlichen Personennahverkehr, zu entwickeln“, so Specht.
Konkrete Ansätze gibt es wohl noch nicht. Michael Schilling, Geschäftsführer des gleichnamigen Chirurgieunternehmens im „Brenner“, hofft aber, dass dabei auch der Radweg zwischen Tuttlingen und Nendingen sowie der Weg über die Bleiche nochmal auf die Agenda kommen. Sie könnten jeweils als Einbahnstraße für die Nendinger mit Anwohnerausweis und nur für Autos und Busse freigegeben werden, schlägt er vor. „Die Radfahrer könnten während dieser Zeit die Landesstraße bis zur SHW Automotive nutzen und über die dahinterliegende Brücke in die Nendinger Allee und somit nach Tuttlingen gelangen“, so Schilling.