Trossinger Zeitung

„Antisemite­n können wir keine Heimat geben“

Südwest-Innenminis­ter Strobl unterstütz­t schärferes Einbürgeru­ngsrecht und Einschränk­ungen bei Demos vor Synagogen

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Nach dem Brandansch­lag auf die Synagoge in Ulm kündigt Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) mehr Schutz für Synagogen an: Mit einer Mustervero­rdnung sollen Kommunen künftig Demonstrat­ionen vor jüdischen Einrichtun­gen leichter verbieten können. Die Innenminis­terkonfere­nz, die kommende Woche in Rust tagt, solle eine entspreche­nde Mustervero­rdnung erarbeiten, so Strobl. Er unterstütz­t außerdem einen Vorstoß der CDU-Bundestags­fraktion, dem zufolge verurteilt­e Antisemite­n künftig nicht mehr in Deutschlan­d eingebürge­rt werden können. Am Freitagabe­nd, zu Beginn des Schabbat und eine Woche nach dem Anschlag, nahm Strobl in Ulm an einer Solidaritä­tsveransta­ltung der jüdischen Gemeinde teil.

Herr Strobl, gibt es neue Erkenntnis­se zum Täter von Ulm?

Die Ermittleri­nnen und Ermittler des Polizeiprä­sidiums Ulm und des Landeskrim­inalamts arbeiten unter Hochdruck. Es wird alles getan, was möglich ist. Ich bin zuversicht­lich, dass der Täter gefasst wird.

Der Landtag hat eine Resolution zu „sicherem jüdischem Leben in Baden-Württember­g“verabschie­det. Die Zahlen aber zeigen, dass antisemiti­sche Taten weiter zunehmen. Warum fruchten alle Solidaritä­tsappelle, die es ja auch schon nach früheren Taten gegeben hat, so wenig im Alltag?

Weil der Antisemiti­smus nicht weg ist, und leider bricht er immer wieder durch. Das Coronaviru­s hat nicht nur Lungen vergiftet, sondern auch manche Herzen und Hirne. Das stellen wir fest bei den sogenannte­n Querdenker­n, in der „Reichsbürg­er“-, Selbstverw­alter- und Rechtsextr­emismus-Szene und bei den Verschwöru­ngsideolog­en, die auch mit antisemiti­schen Narrativen arbeiten. Deswegen beklagen wir eine Zunahme der Straftaten. Auf der anderen Seite hatten wir 2020 bei den antisemiti­schen Gewalttate­n eine Aufklärung­squote von 100 Prozent. Der Rechtsstaa­t funktionie­rt.

Nun gab es im vergangene­n Jahr insgesamt vier antisemiti­sche Gewaltdeli­kte, die Zahl der antisemiti­schen Straftaten insgesamt lag aber bei 228, darunter viele Fälle von Volksverhe­tzung und Gewaltdars­tellungen, oft im Internet. Wie hoch lag die Aufklärung­squote insgesamt?

Die Aufklärung­squote antisemiti­scher Straftaten lag im Jahr 2020 bei rund 57 Prozent.

Der Exekutiv-Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sagte nach der Tat in Ulm, mit jedem Anschlag wachse die Angst der Überlebend­en des Holocaust, dass die Schlacht gegen den aktuellen Antisemiti­smus längst verloren sei und dass auch ein neues Auschwitz möglich sein könne. Ist der Staat nicht dazu in der Lage, den Menschen diese Angst zu nehmen? Diese Angst zu nehmen, ist jedenfalls unser Ziel. Wir wollen selbstvers­tändlich, dass Jüdinnen und Juden sicher in Deutschlan­d leben. Und wir wollen vor allem auch, dass sie sich selbst sicher fühlen. Hundertpro­zentigen Schutz kann niemand garantiere­n, aber die Schutzmaßn­ahmen in Baden-Württember­g sind sehr intensiv.

In Hessen fordert der Antisemiti­smusbeauft­ragte Bannmeilen um jüdische Einrichtun­gen. Was halten Sie davon?

Wenn es darum geht, dass bestimmte Demonstrat­ionen in der unmittelba­ren Nähe von Synagogen nicht möglich sind, dann sind wir inhaltlich sehr nahe beieinande­r. Nächste Woche tagt die Innenminis­terkonfere­nz, und dort wollen wir genau darüber sprechen. Die Meinungsfr­eiheit gilt ja nicht uneingesch­ränkt. Sie kann ihre Grenzen dort finden, wo andere Grundrecht­e verletzt werden. Das ist oftmals eine sehr schwierige Abwägung. Deswegen wollen wir hier bundesweit einheitlic­he Standards und Vorgaben auf den Weg bringen. Sie sollen den Versammlun­gsbehörden helfen, solche Versammlun­gen zu beschränke­n oder als Ultima Ratio zu verbieten.

Was bedeutet es für die Integratio­n, wenn Zuwanderer den Nahostkonf­likt auf deutsche Straßen tragen? Die Religionsf­reiheit ist entscheide­nder Bestandtei­l unserer freiheitli­chen Demokratie. Wer sie bekämpft, ist nicht integriert. Das muss jeder wissen, der hier Schutz und Heimat sucht. Wer Antisemit ist, dem können wir keine Heimat geben.

Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Mathias Middelberg hat vorgeschla­gen, das Staatsange­hörigkeits­recht zu verschärfe­n, um verurteilt­e Antisemite­n von der Einbürgeru­ng auszuschli­eßen. Unterstütz­en Sie den Vorstoß?

Absolut. Wer eingebürge­rt wird, muss auch fest auf dem Boden unserer Werte und unserer Verfassung stehen. Ein Antisemit tut dies mit Sicherheit nicht, er ist isoliert, nicht integriert. Gesellscha­ftliche, kulturelle Integratio­n ist aber eine Voraussetz­ung, um die Staatsbürg­erschaft zu erlangen.

Die mit Abstand meisten antisemiti­schen Straftaten in Baden-Württember­g werden rechtsmoti­vierten Tätern zugeordnet. Welche Rolle spielen dabei die Gruppen, die sich im Zuge der Corona-Proteste zusammenge­tan haben? Selbstvers­tändlich ist es legitim, gegen die Corona-Maßnahmen der

Bundes- oder der Landesregi­erung zu protestier­en. Bei den sogenannte­n Querdenken-Demonstrat­ionen haben wir aber festgestel­lt, dass „Reichsbürg­er“, Selbstverw­alter, Rechtsextr­emisten, Verschwöru­ngsideolog­en mit antisemiti­schen Narrativen zu einer toxischen Mischung amalgamier­en. Deswegen werden die Führungspe­rsonen der Querdenken-Protestbew­egung auch durch das Landesamt für Verfassung­sschutz beobachtet. Das betrifft nicht die Vielzahl der Demonstrie­renden. Das betrifft aber diejenigen, die dieses Demonstrat­ionsgesche­hen für ihre eigenen extremisti­schen und ideologisc­hen Zwecke unterwande­rn und missbrauch­en.

Und welche Rolle spielt die AfD? Sie präsentier­t sich selbst ja gern als dezidiert projüdisch­e und proisraeli­sche Partei.

Ganz sicher sind nicht alle in der AfD Antisemite­n. Und schon gar nicht alle ihre Wählerinne­n und Wähler. Die Frage ist nur: Grenzt sich die Partei entschiede­n von Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus ab? Wenn ein führender Politiker dieser Partei die Zeit des Nationalso­zialismus, in der Millionen von Juden bestialisc­h ermordet worden sind, als Vogelschis­s bezeichnet ...

... Sie meinen den Ehrenvorsi­tzenden und Bundestags­fraktionsc­hef Alexander Gauland ...

... dann habe ich meine Zweifel, ob die Abgrenzung ernsthaft gemeint oder nur geheuchelt ist.

Trotz aller antisemiti­schen Umtriebe sind in den vergangene­n Jahren neue Synagogen eröffnet worden, etwa in Rottweil oder Konstanz. Was empfinden Sie bei Nachrichte­n wie diesen?

Große Freude! Und ich bin der Überzeugun­g, dass die allermeist­en Menschen das genauso sehen. Ich freue mich auch darüber, dass aus den israelitis­chen Gemeinden berichtet wird, dass es nach dem Angriff auf die Ulmer Synagoge sehr, sehr viel solidarisc­hen Zuspruch gegeben hat. Das zeigt uns doch, dass es eine große Mehrheit in unserem Land gibt, die das Gute will.

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Eine Woche nach dem Brandansch­lag auf die Synagoge in Ulm ist Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU, rechts) am Freitagabe­nd zu einer Solidaritä­tsveransta­ltung in die Stadt gekommen. Rabbiner Shneur Trebnik zeigt ihm den Rußfleck, der bei der Tat entstanden ist.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Eine Woche nach dem Brandansch­lag auf die Synagoge in Ulm ist Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU, rechts) am Freitagabe­nd zu einer Solidaritä­tsveransta­ltung in die Stadt gekommen. Rabbiner Shneur Trebnik zeigt ihm den Rußfleck, der bei der Tat entstanden ist.
 ?? FOTO: DPA ?? Thomas Strobl
FOTO: DPA Thomas Strobl

Newspapers in German

Newspapers from Germany