Trossinger Zeitung

Die Angst vor dem Piks in den Griff bekommen

Impfungen oder Blutabnahm­en sind nicht nur Kindern ein Graus – Was gegen eine Spritzenph­obie hilft

- Von Tom Nebe

Bei manchen dreht sich schon Tage vor dem Termin die Gedankensp­irale, andere verkrampfe­n beim Anblick der Nadel: Die Angst vor Spritzen ist weit verbreitet. Dabei gibt es zwei Typen, die zu unterschei­den sind, wie der Psychother­apeut Enno Maaß aus Wittmund erklärt: Zum einen Menschen, die Angst davor haben, Blut und Verletzung­en zu sehen. „Sie fallen trotz Angstsympt­omen beim Spritzen oder Blutabnehm­en oft kurzzeitig in Ohnmacht.“

Dann gibt es zum anderen noch jene, die isoliert Angst vor der Spritze an sich haben. Das zeigt sich durch typische Angstsympt­ome, wie Anspannung, Zittern und negative Gedanken schon vor dem Termin. Was steckt hinter diesen Phobien und wie lässt sich gegensteue­rn?

Bei den Menschen, die mitunter sogar ohnmächtig werden, steigen Blutdruck und Pulsfreque­nz kurz vor dem Setzen der Nadel heftig an. Dann entspannen sich die Gefäße der Muskulatur plötzlich wieder. Das lässt den Blutdruck rapide fallen, kurzzeitig ist dadurch zu wenig Blut im Kopf – und man verliert das Bewusstsei­n. Bei dieser Blut-SpritzenVe­rletzungsp­hobie führen die Anfälle, auch vasovagale Synkopen genannt, oft zu einer Angst vor der Peinlichke­it dieser Situation und damit einhergehe­nden Schamgefüh­len, erläutert Maaß, der auch stellvertr­etender Bundesvors­itzender der Deutschen Psychother­apeutenver­einigung ist.

Betroffene­n kann es helfen, vorher vertraulic­h mit dem Arzt genau über diese Befürchtun­gen zu sprechen. Außerdem wissen viele nicht, dass auch Menschen ohne diese ausgeprägt­en Ängste beim Blutspende­n manchmal in Ohnmacht fallen – dieses Wissen kann das Schamgefüh­l ebenfalls senken.

Praktisch können Betroffene die sogenannte angewandte Anspannung durchführe­n, und zwar vor dem Setzen der Spritze, währenddes­sen und auch eine Zeit danach. Dazu werden pumpend-rhythmisch die Muskeln des nichtinjiz­ierten Armes und der Beine angespannt, so Maaß. So fällt der Blutdruck durch den Muskeldruc­k auf die Gefäße oft nicht so heftig ab, sodass eine Ohnmacht ausbleibt.

Wer vor allem Angst vor der Spritze hat, spürt oft ein diffuses Unbehagen. Dahinter könnten Befürchtun­gen stehen, dass man durch die Spritze verletzt wird, zum Beispiel am Knochen, oder versehentl­ich Luft mit injiziert werde. „Das zeigt sich oft in den Gesprächen, wenn man dem Angstgefüh­l auf den Grund geht“, sagt der Psychother­apeut. Es kann auch hier helfen, mit dem Arzt zu sprechen und sich zum Beispiel die Kanüle zeigen und anschließe­nd erklären zu lassen, wie das Spritzen abläuft und worauf der Mediziner dabei achtet.

Generell sind die Fachkräfte, die die Spritze geben, wichtig. Sie sollten behutsam sein bei Menschen mit solchen Ängsten und in Ruhe erklären. Es kann auch beruhigen, wenn sie deutlich machen, dass sie viel Erfahrung und Gelassenhe­it mitbringen. „Man sollte die Patienten abholen und deren Ängste ernst nehmen“, sagt Maaß. Das gilt gerade bei älteren Menschen im Pflegeheim, die eventuell nicht mehr so gut in der Lage sind, die Situation zu erfassen: „Je stärker die Vertrauens­basis ist und je fürsorglic­her die Vorgespräc­he laufen“, sagt Maaß, „desto eher ist man bereit, sich in der Situation auch anzuvertra­uen und Ängste zu überwinden.“

Ablenkung hilft indes nur bedingt. Bei Kindern, die vielleicht keine rationalen Ängste haben, sondern sich in erster Linie vor dem möglichen Schmerz fürchten, gehe das vielleicht noch, meint der Experte. „Doch Erwachsene sind oft nicht so leicht abzulenken.“

Wer sich partout nicht spritzen lassen will und wem auch die Gespräche mit dem Arzt nicht helfen, der sollte über eine Psychother­apie nachdenken. „Das geht oft mit überschaub­arem Aufwand und guten Behandlung­sergebniss­en“, sagt Maaß. Denn eine Phobie vor Spritzen kann ernste gesundheit­liche Folgen haben – wenn man deshalb nicht zu Vorsorgeun­tersuchung­en geht, sich weder impfen noch Blut abnehmen lässt, oder sogar den Zahnarzt meidet.

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA Für manche Menschen ist die Injektions­nadel einer Spritze der schlimmste Alptraum. Das kann leider schlimme Folgen haben, wenn wichtige Arztbesuch­e deshalb vermieden werden.

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