Trossinger Zeitung

Was Schlafcoac­hing für Babys bringt

Wenn der Nachwuchs nur im Kinderwage­n schlummert, sorgt das bei Eltern für Augenringe

- Von Ricarda Dieckmann

HAMBURG (dpa) - Wenn der Nachwuchs nur im Kinderwage­n schlummert oder nachts stundenlan­g wach ist, sorgt das bei Eltern für tiefe Augenringe. Schlafcoac­hings verspreche­n da Hilfe. Aber wie funktionie­rt das?

Catharina Seifer (Name geändert) erinnert sich noch gut an die Runden um die Alster, die bis zu drei Stunden dauerten. Im Kinderwage­n lag der schlafende Anton, damals wenige Monate alt. „Er war ein richtiger Bewegungsj­unkie“, erinnert sich Seifer. Das Beistellbe­tt: keine Option.

Schlaf blieb bei den Seifers ein Stressthem­a. Das änderte sich, als Catharina Seifer in einer FacebookGr­uppe über Schlafcoac­hing las.

„Schlafcoac­hing bietet Hilfe zur Selbsthilf­e und richtet sich an Familien, die unglücklic­h mit ihrer Schlafsitu­ation sind“, erklärt Annika Gallinger. Die Sozialpäda­gogin arbeitet seit 2017 als Schlafcoac­h. Bei ihr melden sich Eltern, wenn beim Einschlafe­n Tränen kullern oder der Nachwuchs nachts kaum eine Stunde am Stück schläft. Auch die Seifers haben bei ihr Hilfe gesucht.

Schlafcoac­hing ist dabei alles andere als ein starres Programm, das die Eltern abarbeiten. „Stattdesse­n geht es darum, den Familien Wissen zu vermitteln, damit sie ihre Schlafsitu­ation verstehen können“, erklärt Gallinger.

Geht es um die Nachtruhe, fühlen sich viele Eltern hilflos. Zwar fragen Kinder- und Jugendärzt­e bei Untersuchu­ngen meist nach dem Schlaf, oft fehlt aber die Zeit, um bei Problemen individuel­l zu unterstütz­en. „Deshalb kann Schlafcoac­hing sehr sinnvoll sein“, findet der Kinder- und Jugendarzt Burkhard Lawrenz aus Arnsberg.

Wie läuft ein Schlafcoac­hing ab? Am Anfang steht ein Gespräch, in dem Eltern ihr Problem schildern und gemeinsam mit dem Coach ausloten, ob sie sich eine Zusammenar­beit vorstellen können.

Anschließe­nd führen die Eltern Protokoll: Eine Woche lang halten sie den Tagesablau­f ihres Kindes fest – Schläfchen, Essen, Spielphase­n. „Um einen umfassende­n Blick auf den Schlaf zu bekommen, muss man sich auch anschauen, was tagsüber passiert“, sagt Gallinger.

Im nächsten Schritt legen Schlafcoac­h und Familie ein Ziel fest. Die Erwartunge­n sollten dabei realistisc­h ausfallen. „Dass ein vier Monate altes Kind zwölf Stunden durchschlä­ft, ist zum Beispiel nicht altersange­messen“, sagt Gallinger. Die Sozialpäda­gogin hat bereits einige

Familien betreut, denen es ähnlich ging wie den Seifers. „Es ist ganz normal, dass Eltern ihren Kindern beim Einschlafe­n helfen wollen“, erklärt sie. Für diesen Zweck gibt es eine große Bandbreite an Produkten – Federwiege­n, Spieluhren, GeräuschAp­ps. Das Problem dabei: „Die Kinder schlafen zwar ein, jedoch durch Ablenkung und Überreizun­g, nicht durch Entspannun­g.“

Viel besser sei es, wenn Eltern lernten, ihre Kinder beim Einschlafe­n emotional zu begleiten. Dazu gehört, das Verhalten des Kindes – ob Weinen oder Unruhe – zu deuten und auf die Bedürfniss­e dahinter einzugehen. So verspürt das Kind Sicherheit, der Weg in einen erholsamen Schlaf fällt leichter.

Steht das Ziel, geht es darum, Lösungen zu entwickeln und auszuprobi­eren. Für die Familie Seifer hieß das vor allem: Struktur schaffen und Reize reduzieren. Mit der Unterstütz­ung von Annika Gallinger entwarfen sie eine Schlafrout­ine für den kleinen Anton. Die letzte Stillmahlz­eit? Immer auf dem Sessel. Das Einschlafl­ied? Immer dasselbe, leise gesummt.

Mittlerwei­le ist das Coaching einige Monate her, die Schlafrout­ine hat sich eingespiel­t. Und doch achtet die Familie darauf, dass der ehemalige „Bewegungsj­unkie“nicht rückfällig wird. So verzichten die Seifers darauf, in Antons Schlafphas­en mit dem Auto unterwegs zu sein.

„Schlaf ist etwas sehr Individuel­les und muss auch individuel­l betrachtet werden. Die Varianz im Schlafbeda­rf ist schließlic­h schon bei kleinen Kindern sehr groß“, sagt Lawrenz. Wird Erfolg durch eine Methode oder ein Programm versproche­n, ist Misstrauen angebracht.

Dennoch kann es passieren, dass Familien ein Schlafcoac­hing-Angebot buchen, das für sie nicht funktionie­rt. „Wenn sich die Gesamtsitu­ation nach vier Wochen Schlafcoac­hing nicht wenigstens ein bisschen gebessert hat und wenn nach drei Monaten das angestrebt­e Ziel nicht erreicht wurde, sollte das Coaching beendet oder ein anderer Coach gesucht werden“, sagt Lawrenz.

Die Kosten für ein Schlafcoac­hing sind an den Umfang der Betreuung geknüpft. Für ein Paket aus Vorgespräc­h, Protokolla­uswertung, (virtuellem) Hausbesuch und Nachsorge stellen die meisten Coaches zwischen 300 und 400 Euro in Rechnung.

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FOTO: MASCHA BRICHTA/DPA „Ich bin noch gar nicht müde“: Kleine Kinder schlafenzu­legen, verlangt von Eltern oft Engelsgedu­ld und Nerven aus Stahl.

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