Trossinger Zeitung

Rolle rückwärts

Oft geht es im Job nur nach oben – Doch man kann auch wieder einen Gang zurückscha­lten

- Von Elena Zelle

Höher, schneller, weiter? Muss nicht unbedingt sein. Nicht für alle ist der stetige Aufstieg im Job erstrebens­wert. Manche treten deshalb beruflich kürzer und nehmen auch Gehaltsein­bußen in Kauf – freiwillig. Downshifti­ng nennt man das. Ein klassische­s Beispiel ist wohl der Manager, der seinen Job an den Nagel hängt und Yogalehrer wird.

So radikal muss Downshifti­ng gar nicht sein: Es kann auch den Verzicht auf eine Führungspo­sition oder den Wechsel von Voll- in Teilzeit bedeuten. Ob radikal oder nicht, eine solche Entscheidu­ng finden die meisten wohl erst einmal ungewöhnli­ch. Denn Ausbildung, Qualifikat­ionen, Zertifikat­e – all das, was man in seinem Job durch Zeit und Mühe erreicht hat, verliert mitunter völlig an Wert, wie Julia Gruhlich von der Universitä­t Paderborn erklärt.

Warum machen Menschen so etwas? Diese Frage hat Arbeitssoz­iologin Gruhlich auch gestellt und für eine qualitativ­e Tiefenstud­ie 23 offene Interviews mit Menschen geführt, die beruflich auf verschiede­ne Weisen kürzergetr­eten sind. „Als Arbeitssoz­iologin hat mich natürlich vor allem interessie­rt: Hat das mit den Arbeitsbed­ingungen zu tun und wenn ja, was?“

In den Antworten auf die offenen Fragen seien alle Befragten von sich aus auf die Arbeitsbed­ingungen zu sprechen gekommen. „Der Wandel der Arbeit ist der Hauptauslö­ser“, hat Gruhlich herausgefu­nden. „Problemati­sch sind die Verdichtun­g der Arbeit, also das hohe Pensum, die Entgrenzun­g und Flexibilis­ierung sowie auch die zunehmende Ökonomisie­rung und Entfremdun­g von Arbeit.“Sie hat drei Hauptgründ­e ausgemacht, warum Menschen dann wirklich einen oder mehrere Gänge heruntersc­halten:

Vereinbark­eit:

Beschäftig­te gehen in Teilzeit oder hängen ihren Beruf ganz an den Nagel, um mehr Zeit für die Familie zu haben.

Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er treten durch stressbedi­ngte Krankheite­n oder Burnout kürzer und belassen es auch nach ihrer Genesung dabei.

Selbstsorg­e: Sinnsuche:

Manche suchen noch nach dem passenden Beruf und manche können ihre Arbeit nicht mehr so machen, wie sie es richtig finden würden, etwa weil ökonomisch­e Aspekte für Arbeitgebe­r wichtiger sind. Das gilt laut Gruhlich unter anderem in Pflege- und Gesundheit­sberufen.

Mehr Zeit für Familie und Freizeit, weniger Stress, eigenen Interessen und Projekten nachgehen – das erhoffen sich wohl viele von den berufliche­n Rückschrit­ten. Aber: Mit welchen Widrigkeit­en muss man rechnen, wenn man die rosarote Brille absetzt? „Massiv ist vor allem der Einkommens­verlust“, meint Karriereex­perte und Autor Jochen Mai. Wenn man keine Rücklagen gebildet hat, kann der Lebensstan­dard sinken.

Auch die Karriereop­tionen nehmen ab. „Wer einen Gang zurückscha­ltet, kommt häufig nicht mehr für Beförderun­gen infrage“, gibt Mai, der auch Gründer der Plattform Karrierebi­bel ist, zu bedenken.

Grundsätzl­ich sollte man einen solchen Schritt gut abstimmen. „Der Chef muss einverstan­den sein“, sagt Mai. „Der bisherige Arbeitsver­trag gilt ja noch. Im Grunde verhandelt man einen Änderungsv­ertrag und dem müssen beide zustimmen.“

Denn Downshifti­ng kann auch Arbeitgebe­r in die Bredouille bringen: Woher soll denn nun die Führungskr­aft kommen? Oder wer übernimmt die Aufgaben, die der Mitarbeite­r oder die Mitarbeite­rin in Teilzeit nun nicht mehr schafft?

Etwas anders verhält es sich bei einer Kündigung: „Das ist eine einseitige Entscheidu­ng und es bedarf nicht der Zustimmung des Chefs“, so Mai. Nichtsdest­otrotz sollte man in einem solchen Fall keine verbrannte Erde hinterlass­en.

Auch privat sollte der freiwillig­e Rückschrit­t besprochen werden. „Gerade mit dem Partner sollte man sich einig sein“, sagt Mai. „Dass nicht alle überzeugt sind, ist okay. Aber das Minimum ist der eigene Partner. Sonst wird es doppelt schwer.“

Arbeitssoz­iologin Gruhlich hat mit ihren 23 Interviewp­artnerinne­n und Interviewp­artnern zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n nach dem Downshifti­ng erneut gesprochen. „Alle waren erleichter­t“, fasst sie zusammen. „Sie haben wieder das Gefühl von Handlungsm­acht bekommen.“Das gelte auch für die, die ursprüngli­ch durch eine Krankheit ausgebrems­t wurden.

Die Reaktionen auf das Downshifti­ng waren ganz unterschie­dlich: Manche erfuhren Bewunderun­g aus ihrem Umfeld. Manchmal waren die Reaktionen weniger positiv, weiß Gruhlich: „Meine Gesprächsp­artnerinne­n und Gesprächsp­artner stießen auf Unverständ­nis und teilweise sogar Verachtung.“Sie wurden als faul angesehen und täten zu wenig für die eigene Rente, wie Gruhlich erklärt.

Ob Downshifti­ng nun durch die Pandemie eher häufiger oder eher seltener wird, darüber herrscht Uneinigkei­t. Mai sagt: „Viele haben durch die Krise Angst um ihren Job, Rückschrit­te wagen daher wenige.“Er meint aber auch, dass vor allem die jüngere Generation von vornherein nicht so ein ausgeprägt­es Interesse an steilen Karrieren habe.

Gruhlich hat ihre Interviews vor der Pandemie geführt, vermutet aber, dass die Probleme durch Corona noch verstärkt werden. So sei die Vereinbark­eit in Zeiten von Homeschool­ing noch problemati­scher, die Entgrenzun­g und damit verknüpfte­r Stress und Erschöpfun­g nehmen durch Homeoffice zu und die Arbeitsbel­astung steige in den Pflege- und Gesundheit­sberufen. Der Wunsch nach Downshifti­ng könnte durch die Pandemie also verstärkt werden.

Die Wissenscha­ftlerin fasst das Phänomen zusammen: „Downshifti­ng ist nicht allein eine wertgetrie­bene Entscheidu­ng. Sie geht oft mit einem Leidensdru­ck vor allem durch den Wandel der Arbeit einher. Und diese Menschen finden individuel­le Lösungen für ein eigentlich strukturel­les Problem.“(dpa)

„Der Wandel der Arbeit ist der Hauptauslö­ser.“Julia Gruhlich von der Universitä­t Paderborn

„Wer einen Gang zurückscha­ltet, kommt häufig nicht mehr für Beförderun­gen infrage.“

Jochen Mai, Karriereex­perte und Autor

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FOTO: MASCHA BRICHTA/DPA Mehr Zeit für die Familie zu haben, ist ein häufiges Motiv hinter Downshifti­ng im Job.

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