Auf dem Weg zurück ins Leben
Die Deutschen holen nach, was während Corona nicht möglich war – Doch manches läuft anders als vorher
BERLIN - Die Corona-Zahlen sinken, und das öffentliche Leben nimmt wieder Fahrt auf. Einkaufen ist fast unbeschränkt möglich, Restaurants und Biergärten sind gut besucht, und endlich können die Deutschen auch wieder reisen. Zwar bleibt ein Rest an Unsicherheit, aber die meisten Menschen nehmen die wiedergewonnenen Freiheiten mit Genuss in Anspruch. Ein Blick auf die neuen Möglichkeiten und auf Probleme, die bleiben werden.
Konsumwelle:
Monatelang war Einkaufen kaum möglich, kommt jetzt die Konsumwelle? Michael Jäckel, Professor für Soziologie an der Universität Trier, rechnet zwar für die kommenden Monate nicht mit Konsumexzessen. Eine baldige Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau hält er aber für wahrscheinlich. „Viele werden versuchen, den Alltag, den sie in der Zeit vor der Pandemie hatten, wiederzubeleben“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“– also Dinge kaufen, an die während der Pandemie nicht leicht zu kommen war, die neue Hose etwa. Jäckel betont aber, dass trotz der hohen Summen, die Deutschen im Schnitt während der Krise angespart hätten, gegenwärtig nicht die Zeit sei, etwas zu tun, „was den Ruch der Verschwendung an sich haben könnte“.
Schwer werden es die Geschäfte in den Innenstädten haben, sich gegen die gewachsene Online-Konkurrenz durchzusetzen. „Viele Menschen haben sich während der Pandemie an diese vergleichsweise bequeme Form des Online-Einkaufs gewöhnt und werden das beibehalten wollen“, sagt Jäckel.
Nicht einmal zu Weihnachten rechnet der Sozialwissenschaftler in diesem Jahr mit einer Konsumwelle. „Das hoffentlich unbeschwerte Feiern im Familienkreis wird der eigentliche Gewinn sein. Dazu muss man sich gegenseitig nicht extra große Geschenke machen.“Das sei auch gut so. „Weihnachten muss nicht immer größer, größer und größer werden.“
Gastro-Boom:
In Restaurants und Kneipen einen Tisch oder freien Stuhl zu bekommen, ist derzeit schwierig. Wo es vom Wetter her möglich ist, wird die Außengastronomie gestürmt. Aber auch drinnen sitzen die Geimpften und Getesteten wieder eng beieinander. Wird das so bleiben? Jäckel ist skeptisch. „Während der Pandemie hat sich das Bedürfnis aufgestaut, endlich wieder die Lieblingskneipe, das Lieblingsrestaurant aufzusuchen. Da viele Menschen diesen Wunsch gleichzeitig haben, führt das zu Engpässen.“Wenn diese erste Phase zu Ende sei, werde sich die Lage wieder normalisieren.
Reisen:
Monatelang war Verreisen ausgeschlossen. Doch offenbar bauen viele Deutsche darauf, dass sich die Pandemie-Lage zum Sommer hin stark verbessern wird. So hat etwa die Hälfte der Bundesbürger laut einer aktuellen Umfrage des Beratungsunternehmens PwC eine Urlaubsreise in diesem Jahr fest eingeplant beziehungsweise schon gebucht. Nur für ein Viertel ist Verreisen derzeit kein Thema, der Rest ist unentschlossen.
Wie im vergangenen Jahr werden die meisten ihren Urlaub wohl in Deutschland verbringen. Davon geht man beim Versicherungsunternehmen Allianz Partners aus, das das Reiseverhalten der Bundesbürger im vergangenen Jahr ausgewertet hat. 61 Prozent blieben im eigenen Land, im coronafreien Jahr 2019 waren es nur knapp 30 Prozent.
Ausgeh-Angst:
Nach wie vor scheuen sich viele Menschen, ihr früheres Leben wieder aufzunehmen – zum Teil, weil sie fürchten, sich anzustecken, zum Teil, weil sie sich daran gewöhnt haben, zurückgezogen zu leben. Udo Polzer, Ärztlicher Direktor des Asklepios Klinikums Stadtroda in Thüringen, hält dieses Verhalten für nachvollziehbar. Er empfiehlt aber dennoch, „eine aktive Haltung“einzunehmen – und sich nicht vollständig seinen Ängsten auszuliefern.
Paare:
Für Paare könnte die Zeit nach der Pandemie schwierig werden. Während der Ausgangsbeschränkungen
hat man sich irgendwie zusammengerauft, aber jetzt ist die Verlockung da, die neuen Freiheiten auszukosten. Die Berliner Paar- und Sexualtherapeutin Katharina Middendorf erwartet für 2022 sogar eine Trennungswelle. „Viele Menschen haben ihr Leben auf den Kopf gestellt. Nach der Pandemie merkt der Partner oder die Partnerin dann: Ist ja schön, dass du dich als Künstler selbst verwirklicht hast, aber wir haben jetzt 2000 Euro weniger im Monat. Solche Veränderungen sind eine harte Probe für die Beziehung“, sagte sie „Spiegel online“. Ihr Tipp: Nicht während oder direkt nach der Pandemie weitreichende Entscheidungen über die Zukunft der Paarbeziehung treffen. Lieber alles auf sich zukommen lassen und „sich weniger Druck machen“. Ob die vergangenen Monate zu einem pandemiebedingten Babyboom führen werden, ist unklar, denn offizielle Angaben liegen noch nicht vor. Zahlen des Unternehmens BabyWalz lassen einen solchen Trend aber vermuten. Demnach ist der Umsatz von Baby- und Kleinkindprodukten in letzter Zeit stark gestiegen. Bei Wickelkommoden war es ein Plus von 121 Prozent.