Erster Prozess nach Tierquälerei im Allgäu
Mehrere Fälle von misshandelten Rindern – Weitere Anklagen erhoben
MEMMINGEN - Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Skandals um massive Tierschutzverstöße bei Allgäuer Rinderhaltern kommt es zum ersten Prozess. Das Memminger Landgericht habe in diesem Zusammenhang eine Anklage gegen zwei Landwirte aus dem Landkreis Unterallgäu zugelassen, sagte ein Sprecher. Der Prozess soll demnach im Herbst dieses Jahres beginnen. Ein genauer Termin stehe noch nicht fest. Unterdessen hat auch die Kemptener Staatsanwaltschaft Anklage gegen drei Landwirte aus dem angrenzenden Landkreis Oberallgäu erhoben, die ihre Rinder nicht ausreichend versorgt haben sollen.
Zwischen Juli 2019 und Januar 2020 waren insgesamt fünf Höfe im Allgäu wegen teils massiver Tierschutzverstöße in die Schlagzeilen geraten. Bislang waren die Betreiber von drei Betrieben in diesem Zusammenhang angeklagt worden, zwei davon im Landkreis Unterallgäu.
Damals hatte die „Soko Tierschutz“aufwühlende Bilder veröffentlicht: Sie zeigen, wie der Mitarbeiter eines Bauernhofs einem kranken Rind gegen den Kopf tritt. Ein anderes Tier wird mit einem spitzen Gegenstand traktiert, eine kranke Kuh von einem Traktor regelrecht durch den Stall geschleift. Die Szenen stammten aus einem der größten deutschen Milchviehbetriebe, mit damals etwa 1800 Milchkühen und Schätzungen zufolge noch mindestens 1000 Jungtieren.
Den beiden Männern, die sich wohl im Herbst vor Gericht verantworten müssen, wirft die Memminger Staatsanwaltschaft vor, 54 Rinder zwischen Juli und November 2019 nicht ausreichend versorgt zu haben. Einer der beiden Angeklagten hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe eingeräumt, Kälber preisgünstig von anderen Landwirten erworben zu haben. Manche Tiere seien krank gewesen, die Behandlungskosten habe er nicht stemmen können. Die Milchviehhaltung stellte der Betrieb mit drei Höfen in den Landkreisen Unterallgäu, Oberallgäu und in Kempten daraufhin ein. Im Januar 2020 verbot das Amtsgericht Neu-Ulm den Landwirten zudem vorläufig, weiter Tiere zu halten.
Unter Druck geriet damals auch die Politik. Der damalige Unterallgäuer Landrat reagierte auf die Vorwürfe und listete auf, wie oft er seit dem Jahr 2006 vergeblich versucht habe, vom zuständigen Umweltministerium mehr Personal für das Veterinäramt zu bekommen. Inzwischen gibt es mehr Personal, auch im Oberallgäu, wo die Kontrollen laut CSU-Landtagsfraktion um 45 Prozent zugenommen haben sollen. Zudem wurde eine Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) gegründet, die für Betriebe mit mehr als 600 Rindern und 500 Kälbern zuständig ist. Ziel ist es, die Veterinärämter zu entlasten: „Bei Auffälligkeiten in Großbetrieben können wir schneller reagieren und aus einem anderen Pool schöpfen“, so ein KBLV-Sprecher. Viel Kontrollarbeit leistet die Behörde im Unterallgäu, das 1500 Rinderhalter und insgesamt 130 000 Tiere zählt, bayernweit eine Spitzenposition.
Für Edmund Haferbeck von der Tierrechtsorganisation Peta reichen die Konsequenzen nicht aus. „Diese Verstöße gegen die Nutztierhaltungsverordnung und das Tierschutzgesetz sind systemimmanent“, kritisiert Haferbeck, die Behörden seien überfordert. „Die Kontrollen
sind in der Fläche und bei der hohen Anzahl an Betrieben und Vieh gar nicht zu leisten, nicht auf der Ebene von Kommune oder Kreis.“Der Agrarwissenschaftler nimmt daher die Landwirte in die Pflicht. „Die Verantwortung liegt bei den Tierhaltern, die kennen die gesetzlichen Vorgaben, dort muss der Druckpunkt angesetzt werden.“
Was aktuell geschieht, zuletzt wurden auch drei Landwirte aus dem Oberallgäu wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz angeklagt. Dem Ehepaar und dem volljährigen Sohn werde vorgeworfen, zwischen Oktober 2019 und März 2020 etwa 100 Rinder auf ihrem Hof vernachlässigt zu haben, sagte ein Sprecher der Kemptener Staatsanwaltschaft. Das Landgericht Kempten entscheidet nun, ob es dort zu einem Prozess kommt. Wie lang es bis zu diesem Beschluss dauere, sei aber noch unklar, sagte ein Sprecher des Gerichts.
Das Landratsamt in Sonthofen hatte den drei Landwirten zunächst verboten, selbst weiter Tiere zu halten oder zu betreuen, nachdem Kontrolleure auf dem Betrieb „dramatische Zustände“vorgefunden hatten.
Viele der 480 Milchkühe und 100 Kälber seien krank oder unterernährt gewesen, etwa jedes zweite Tier hatte demnach wegen mangelhafter Haltung Klauenprobleme. Insgesamt herrschten den Angaben der Behörde zufolge „unhaltbare hygienische Umstände“.
Die drei Oberallgäuer Landwirte hatten daraufhin gegen das Tierhaltungsverbot am Verwaltungsgericht Augsburg geklagt. Letztlich einigten sie sich mit dem Landratsamt darauf, dass sie vorerst selbst keine Tiere mehr halten, aber auf anderen Höfen arbeiten dürfen. Den eigenen Rinderbestand hat die Familie inzwischen verkauft.
Rosi Steinberger, Sprecherin für Verbraucherschutz der bayerischen Landtags-Grünen, forderte am Montag, eine Umgehung von Tierhaltungsverboten durch die Arbeit auf anderen Höfen zu verhindern. „Ein Tierskandal nach dem anderen zeigt doch, dass hier gehandelt werden muss“, sagte Steinberger. Zudem müssten die Kontrollbehörden effektiv zusammenarbeiten und Risikobetriebe mit Tierhaltung engmaschig kontrolliert werden.