Bahn-Konkurrent Abellio droht mit Rückzug
Niederländischem Unternehmen droht die Insolvenz – Ruf nach mehr Geld vom Land Baden-Württemberg
RAVENSBURG - Der Bahn-Konkurrent Abellio steht womöglich vor dem Rückzug aus Baden-Württemberg. Hintergrund sind wirtschaftliche Probleme des Schienen-Unternehmens, einer Tochter der niederländischen Staatsbahn Nederlandse Spoorwegen. Bislang bedient Abellio unter anderem die Strecken nach Tübingen, Mannheim, Heidelberg und Heilbronn.
Abellio habe in den vergangenen Jahren „erhebliche Verluste“erlitten, schrieb der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra, ein Christdemokrat, Ende Mai an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Entsprechende Briefe gingen auch in den Staatskanzleien in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ein, wo Abellio ebenfalls aktiv ist. Als Grund für die Verluste nennt Hoekstra höhere Tariflöhne, gestiegene Rekrutierungs- und Ausbildungskosten sowie Kosten durch Baustellen, die Verspätungen auslösen und deswegen wiederum Strafzahlungen nach sich ziehen – allesamt Gründe also, die Abellio selbst nicht beeinflussen kann. Das Unternehmen brauche mehr Geld vom Land, „da Abellio ohne Ausgleich der Mehrkosten nicht überlebensfähig ist“, heißt es in dem Brief von Hoekstra an Kretschmann, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Und weiter: „Nederlandse Spoorwegen informierte mich, dass sich das Unternehmen bei Ausbleiben einer zeitnahen Lösung gezwungen sieht, sein weiteres Engagement in den einzelnen Regionen zu überdenken.“
Derzeit verhandeln Abellio und die Landesregierung, die für den Regionalverkehr in Baden-Württemberg zuständig ist – bislang ohne Ergebnis. In einer schriftlichen Antwort an Hoekstra, die der „Schwäbischen Zeitung“ebenfalls vorliegt, zeigt sich Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) allerdings wenig erbaut über die Verhandlungsführung des Unternehmens. „Im Nachgang zu Ihrem Schreiben hat die Abellio-Geschäftsführung jedoch mündlich darüber informiert, dass man innerhalb sehr kurzer Frist eine Anerkennung von 100 Prozent der geltend gemachten Forderungen erwarte, ansonsten werde man ein
Schutzschirmverfahren einleiten“, hält Hermann fest. Mit anderen Worten: Laut Hermann droht Abellio dem Land mit dem Gang in die Insolvenz. „Rechtlich und tatsächlich sind Korrekturen der Verträge im Nachhinein, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt möglich“, betont der Minister.
Abellio ist seit 2019 in BadenWürttemberg aktiv. Das Unternehmen hatte zuvor die Ausschreibung für mehrere Regionalzugstrecken gewonnen, die vorher von der DB Regio betrieben wurden, und die damals als lukrativ galten. Gleichzeitig kam auch das britische Unternehmen Go Ahead auf den baden-württembergischen Markt, das unter anderem Verbindungen von Stuttgart nach Ulm und nach Aalen betreibt. Minister Hermann hatte damals den neuen Wettbewerb für die Deutsche Bahn ausdrücklich begrüßt und sich ein attraktiveres Angebot für Bahnfahrer versprochen. Go Ahead habe anders als Abellio aktuell keine Nachforderungen gestellt, heißt es aus dem Landesverkehrsministerium.
Christian Jung, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, appelliert nun an Hermann, mit Abellio zu einem „fairen Ausgleich“zu kommen. „Es besteht die Gefahr, dass Teile des Nahverkehrs zusammenbrechen“, so Jung. „Das muss man wirklich ernst nehmen.“Sonst werde am Ende wieder die Deutsche Bahn in die Verträge einsteigen. „Das wäre nicht im Sinne des Wettbewerbs.“
Jung teilt die Sicht, dass Abellio zumindest zum Teil nicht selbst die Schuld trägt an seiner finanziellen Schieflage. Grund sind die Zahlungen, mit denen die Bundesregierung die Bahn in der Corona-Krise vor dem Ruin bewahrt hat. „Die Bahn wurde mit Milliarden zugeschüttet“, sagt Jung. „Das ist ein Problem für die Wettbewerber.“Diese könnten etwa bei den Gehältern nicht mehr mit dem Staatskonzern mithalten. Die Landtags-FDP will nun prüfen, ob die Ausschreibungen für die Nahverkehrsleistungen sinnvoll konzipiert worden sind. Sonst könnten am Ende noch andere Nahverkehrsunternehmen die gleichen Probleme bekommen, warnt Jung: „Abellio ist ein Dominostein. Wenn die fallen, fallen andere auch.“