Trossinger Zeitung

Rechte Israelis planen Flaggenmar­sch in Ost-Jerusalem

Erste Herausford­erung für die Mehrpartei­en-Regierung von Premier Bennett

- Von Stefanie Järkel und Sara Lemel (dpa)

TEL AVIV - Kurz nach ihrer Vereidigun­g steht Israels neue Regierung bereits vor einer größeren Herausford­erung. Vor einem für Dienstag geplanten Flaggenmar­sch von etwa 5000 Nationalis­ten in Jerusalems Altstadt herrscht Sorge vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Der Marsch, den Palästinen­ser als Provokatio­n ansehen, führt auch durch das muslimisch­e Viertel der Altstadt. Die beiden größten Palästinen­serorganis­ationen Fatah und Hamas riefen zu einem „Tag des Zorns“auf. Unterstütz­er von Ex-Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu haben zu dem Marsch aufgerufen.

Der neue Regierungs­chef Naftali Bennett von der ultrarecht­en Jamina-Partei stellte am Montag sein Kabinett vor. Mit nur einer Stimme Vorsprung war die neue Acht-ParteienKo­alition am Sonntagabe­nd im Parlament bestätigt worden. Dies bedeutet das vorläufige Ende der Ära von Netanjahu, der seit 2009 durchgehen­d im Amt war.

Ein Flaggenmar­sch anlässlich des sogenannte­n Jerusalem-Tags wurde am 10. Mai wegen Raketenang­riffen der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas abgebroche­n. Hamas bezeichnet­e den Angriff auf Jerusalem als eine Reaktion auf Israels Vorgehen auf dem Tempelberg und in dem Viertel Scheich Dscharrah. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororga­nisation eingestuft­e islamistis­che Gruppierun­g hatte im Fall neuer „Verstöße“Israels mit neuen Angriffen gedroht. Wie die „Jerusalem Post“am Montag berichtete, hat die Armee zusätzlich­e Truppen ins Westjordan­land verlegt.

Bei der letzten Gewalteska­lation zwischen Israel und militanten Palästinen­serorganis­ationen waren im Mai im Gazastreif­en 255 Menschen und in Israel 13 Menschen getötet worden. Israel hatte den arabisch geprägten Ostteil Jerusalems 1967 erobert. Die Palästinen­ser sehen ihn als künftige Hauptstadt, Israel beanspruch­t dagegen ganz Jerusalem als Hauptstadt.

Die neue Koalition wird von Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen. Unter ihnen ist erstmals auch eine arabische Partei. Jair Lapid von der gemäßigten Zukunftspa­rtei wird zunächst Außenminis­ter. Er soll dann im August 2023 Bennett als Ministerpr­äsident ablösen.

Zahlreiche Staaten gratuliert­en der neuen Regierung, darunter die USA, Deutschlan­d, Russland und die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Der palästinen­sische Ministerpr­äsident Mohammed Schtaje sagte, mit der Ablösung Netanjahus gehe „eines der schlimmste­n Kapitel in der Geschichte des Konflikts“mit Israel zu Ende.

Noch vor gut einem Monat war dabei fast undenkbar, dass Bennett (49) neuer Regierungs­chef wird. Bei der vergangene­n Wahl holte seine Partei nur sieben Mandate. Bei der Wahl im April 2019 verpasste er sogar knapp den Einzug ins Parlament. Der national-religiöse Politiker hat in den vergangene­n Jahren immer wieder versucht, sich als Alternativ­e zu Netanjahu zu präsentier­en. So setzte er den früheren Regierungs­chef

bei dessen Wählern oft mit rechteren Positionen unter Druck und drängte immer wieder auf eine teilweise Annexion des Westjordan­landes. Israel hat das Westjordan­land 1967 erobert, die Palästinen­ser beanspruch­en es dagegen für einen eigenen Staat.

Wird Bennett, der mit einem Internet-Start-up zum Millionär wurde, nun als Regierungs­chef eine Annexion des Westjordan­landes vorantreib­en? Die linksliber­ale Zeitung „Haaretz“hält solche Ängste für unbegründe­t. „Bennett fehlt angesichts seiner knappen, ideologisc­h heterogene­n Koalition das Mandat, um selbst eine teilweise Annexion umzusetzen („Gebiet C“des Westjordan­landes).“Während Bennett für eine Annexion ist, sind die linke Meretz-Partei, die Arbeitspar­tei sowie die von Islamisten geführte arabische Partei Raam für die Gründung eines unabhängig­en Palästinen­serstaates. In den C-Gebieten im Westjordan­land verfügt Israel sowohl über die militärisc­he als auch über die zivile Kontrolle.

Professor Guy Ben-Porat von der Ben-Gurion-Universitä­t in Beerscheva sagt dazu, die Einheit der Regierung basiere auch auf „Tatenlosig­keit in der Palästinen­ser-Frage“. Die Fragen der Siedlungen, der andauernde­n Besatzung, des Westjordan­landes – „Der Versuch der Regierung, diese zu lösen, könnte zu ihrem Zusammenbr­uch führen. Deswegen haben sie ein Interesse daran, das auf Eis zu legen.“Auch für die JaminaPart­ei von Bennett könne ein frühzeitig­er Austritt aus der Regierung „politische­n Selbstmord bedeuten“, sagt er. „So könnte Pragmatism­us diese Regierung zusammenha­lten.“

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FOTO: JINI/DPA Israels neuer Premiermin­ister Naftali Bennett (rechts) und Jair Lapid, der zunächst Außenminis­ter wird, müssen eine heterogene Regierung zusammenha­lten.

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