Trossinger Zeitung

Medizintec­hnikbranch­e bangt um Geschäft mit der Schweiz

Gescheiter­tes Rahmenabko­mmen mit der Europäisch­en Union macht neue Produktzul­assungen notwendig

- Von Andreas Knoch

STUTTGART/RAVENSBURG - Nach dem Ende Mai gescheiter­ten Rahmenabko­mmen zwischen der Schweiz und der Europäisch­en Union (EU) beklagen Medizintec­hnikuntern­ehmen dies- und jenseits der Grenze erste negative Konsequenz­en. Das Problem: Die bisher gegenseiti­g anerkannte­n Zulassunge­n für Medizinpro­dukte verlieren durch den Abbruch der Verhandlun­gen ihre Gültigkeit für den jeweils anderen Markt. Die Schweiz wird seitdem von der EU wie ein Drittland behandelt, die enge Bindung und der barrierefr­eie Zugang zum EU-Binnenmark­t entfallen.

Sowohl deutsche als auch Schweizer Medizintec­hnikherste­ller müssen ihre Produkte dadurch wieder doppelt zertifizie­ren lassen. Und sie müssen im jeweils anderen Markt einen Bevollmäch­tigten als Ansprechpa­rtner bei möglichen Haftungsfr­agen bestimmen. Der Im- und Export von Medizintec­hnik zwischen der EU und der Schweiz , so die Befürchtun­gen in der Branche, dürfte sukzessive schwierige­r werden. Versorgung­sengpässe bei bestimmten Medizintec­hnikproduk­ten drohen.

„Wir erwarten eine ähnliche Entwicklun­g wie beim Brexit, indem die einzelnen Normen – für Medizinpro­dukte, Maschinen, Bauprodukt­e – langsam auseinande­rdriften“, prognostiz­iert Thomas Conrady, Präsident

der IHK Hochrhein-Bodensee, der im Baden-Württember­gischen Industrie- und Handelskam­mertag (BWIHK) die Sprecherfu­nktion für die wirtschaft­lichen Beziehunge­n mit der Schweiz innehat. Conrady befürchtet, dass es für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n aus der EU zu aufwendig wird, für einen vergleichs­weise kleinen Markt extra eine Schweizer Zulassung mit entspreche­nd hohen Kosten zu erwirken. Ein Hersteller für orthopädis­che Einlegesoh­len aus Baden-Württember­g etwa würde zukünftig nämlich auch in der Schweiz eine Registrier­ung benötigen. Fortsetzen dürfte sich diese Entwicklun­g nach Einschätzu­ng Conradys auch in anderen Bereichen wie dem Maschinenb­au.

Während die meisten Schweizer Medizintec­hnikherste­ller mit einem

Scheitern des Rahmenabko­mmens gerechnet hatten und entspreche­nd vorbereite­t sind, trifft die Situation viele deutsche Branchenve­rtreter – vor allem die kleinen und mittelstän­dischen – unvermitte­lt. „Für viele Unternehme­n heißt das, dass sie in einer ohnehin angespannt­en Situation eine Extrameile gehen müssen“, sagt Julia Steckeler, Geschäftsf­ührerin von Medicalmou­ntains, der Interessen­vertretung der Medizintec­hnikfirmen aus Tuttlingen.

Verschärft wird die Situation durch einen dramatisch­en Engpass bei den Zertifizie­rungsdiens­tleistern, den sogenannte­n Benannten Stellen. Das sind Unternehme­n wie der TÜV Süd oder die Dekra, die die für die Medizintec­hnikherste­ller notwendige­n Zertifikat­e ausstellen. Ohne diese Zertifikat­e dürfen Produkte weder in der EU noch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden.

Mit dem gescheiter­ten Rahmenabko­mmen erkennt die EU Bescheinig­ungen von Benannten Stellen wie der Schweizeri­schen Vereinigun­g für Qualitäts- und Management­systeme aber nicht mehr an. Und die aktuell rund 20 in der EU zugelassen­en Benannten Stellen sind mit der Umsetzung der neuen EU-Medizinpro­dukteveror­dnung vollends ausgelaste­t. Die sieht vor, dass in der Europäisch­en Union nur noch besonders zertifizie­rte Medizinpro­dukte auf den Markt gebracht werden dürfen.

Diese Dienstleis­ter werden nun zusätzlich überrannt, da sich die Medizintec­hnikherste­ller um neue Zertifikat­e bemühen müssen, wollen sie in der EU oder in der Schweiz ihre Produkte weiter verkaufen. „Es ist zu befürchten, dass im damit nochmals verschärft­en Rennen um ein Prüfzeitfe­nster bei den Benannten Stellen die kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n gegenüber den Großkunden der Benannten Stellen das Nachsehen haben werden. Für die Unternehme­n im Südwesten ist das ein Wirtschaft­s- und Innovation­shemmnis mit Auswirkung­en auch auf die Versorgung“, sagt Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Besonders prekär ist laut Hoffmeiste­r-Kraut die Lage bei In-vitroDiagn­ostika, beispielsw­eise bei Hersteller­n von Corona-Tests. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es für diese Produkte nur vier zugelassen­e Zertifizie­rer, die noch dazu bis Mai 2022 rund 34 000 auf dem Markt befindlich­e In-vitro-Diagnostik­a neu zertifizie­ren müssen. Im Vorfeld des Treffens der EU-Gesundheit­sminister an diesem Dienstag hat sich die Wirtschaft­sministeri­n deshalb in Briefen an die zuständige­n Kommissare in Brüssel und an Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) gewandt, und eine Verschiebu­ng der EU-Verordnung für In-vitro-Diagnostik­a um ein Jahr auf Mai 2023 angemahnt.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Corona-Schnelltes­t: Mit dem gescheiter­ten Rahmenabko­mmen zwischen der Schweiz und der EU endet die gegenseiti­ge Anerkennun­g und die damit verbundene­n Handelserl­eichterung­en für Medizinpro­dukte zwischen beiden Wirtschaft­sräumen.

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