Superpflanze für Klima und Tierwohl
Im Image blass, boomt die Erbse seit Jahren – Ohne Hilfe der Politik sind dem Wachstum aber Grenzen gesetzt
BERLIN/RAVENSBURG - Sie ist unscheinbar, ihre Samen sind nicht einmal einen Zentimeter groß, und doch übertreibt man nicht, wenn man sagt: Sie steht bald im Zentrum der Essgewohnheiten. Die Rede ist von der Erbse, die gerade global zur Superpflanze wird. Mehr als 14 Millionen Tonnen werden weltweit geerntet, in Deutschland hat sich die Produktion seit 2008 mehr als verdoppelt.
Das hat vor allem zwei Gründe: Sie kann zu unzähligen vegetarischen und veganen Produkten verarbeitet werden, als Fleisch-, Fischoder auch als Milchersatz. Und sie ist gut für den Boden, erhöht dessen Fruchtbarkeit. Ein weiterer Vorteil: Sie wächst in Deutschland sehr gut, was regionale Produktion und kürzere Lieferketten unterstützt.
Kein Wunder, dass Tierschutzorganisationen wie Landwirte gleichermaßen begeistert sind. Erbsen sind gesund, weil sie reich an Proteinen, Kohlenhydraten, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralien sind. Für viele Verbraucher zudem wichtig: Die Hülsenfrucht verleiht den Fleischalternativen eine faserige Struktur, die sich im Mund ähnlich wie Hühnerfleisch anfühlt.
Die Ernährungsorganisation ProVeg, die sich dafür einsetzt, den weltweiten Konsum tierischer Produkte bis zum Jahr 2040 um 50 Prozent zu verringern, sagt der „Schwäbischen Zeitung“: „Generell enthalten pflanzliche Fleischalternativen hochwertiges Protein sowie weniger Fett und gesättigte Fettsäuren als die tierischen Pendants.“Gut fällt auch der Vergleich beim Klima-Fußabdruck aus: weniger Treibhausgasemissionen, weniger Wasser, weniger Land. Kurzum: „Die gestiegene Nachfrage nach Erbsen“, findet ProVeg, „ist sowohl aus gesundheitlicher als auch ökologischer Sicht zu begrüßen.“
Zufriedene Tierschutzorganisationen bedeuten oft unzufriedene Landwirte. Nicht so bei der Erbse. Rainer Buck leitet einen landwirtschaftlichen Betrieb in Altheim bei Riedlingen im Landkreis Biberach. Auf zehn Hektar seiner insgesamt 140 Hektar Land baut er Erbsen an. Die krautigen Pflanzen mit Ranken und grünen Blättern stehen derzeit kurz vor der Blüte. Die Vorteile der Pflanzen sind vielfältig. „Man kann sie auf so gut wie allen Böden anpflanzen“, sagt Buck. Gleichzeitig profitiere der Boden enorm von ihnen, braucht bedeutend weniger Dünger. Das gelte auch für die nachfolgende Kultur in der Fruchtfolge. Denn die Erbse sammelt Stickstoff und sorgt für weniger Krankheiten, was auch bedeutet, dass weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen.
Dieser Nutzen überzeugt auch die Politik. Seit 2014 werden durch die „Eiweißstrategie“der Europäischen Union Landwirte finanziell belohnt, die Hülsenfrüchte anbauen. Einzelne Bundesländer packen auf die Förderung der EU noch etwas oben drauf. Auch in Baden-Württemberg will die Landesregierung mit einer Ausweitung des Anbaus von Hülsenfrüchten eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, mehr Unabhängigkeit von Eiweißimporten schaffen und regionale Wertschöpfungsketten stärken. Laut einem Sprecher des badenwürttembergischen Landwirtschaftsministeriums wird der Anbau von Hülsenfrüchten innerhalb des sogenannten Agrarumweltprogramms FAKT mit 75 Euro pro Hektar gefördert. Die Politik forciert die Erbse just in einer Zeit, in der immer mehr Menschen ihre Essgewohnheiten überdenken und Alternativen zum Fleisch suchen.
Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten in Deutschland ist zwischen 2015 und 2019 laut der Statistikplattform Statista um knapp 81 Millionen Euro auf rund 214 Millionen Euro gestiegen – im nächsten Jahr sollen es laut Prognose schon 284 Millionen Euro sein. Auch die Fleischindustrie wittert Rendite und investiert viel Geld in vegetarisches Hackfleisch, Schnitzel, Bratwurst oder Burger.
Rund ein Zehntel der Deutschen isst kein Fleisch mehr, Millionen weitere haben den Konsum reduziert. Auch diese Menschen sollen Kunden der großen Fleischkonzerne bleiben oder wieder werden – so zumindest deren Ziel. Dazu kommen zahlreiche Start-ups, die Genuss mit einem guten Gefühl verbinden möchten.
Doch hier gerät das Wachstum auch an seine Grenzen. Der Altheimer Landwirt Buck ist zwar von den Vorteilen der Erbse überzeugt und baut eine weißblühende, bitterstoffarme Erbsensorte an, die theoretisch auch für den Konsumentenmarkt geeignet wäre, dennoch setzt er seine Ernte aber nur als Futter für seine 600 Schweine ein. Der Grund: Erbsenanbau als Lebensmittel lohnt sich im Vergleich zum Anbau anderer Kulturen kaum. Buck rechnet vor: „Rund 250 Euro bekomme ich pro
Tonne Erbsen.“Doch der Ertrag sei schwankend, mal könnten es pro Hektar Anbaufläche 5,5 Tonnen sein, mal aber auch nur 3,5 Tonnen. „Getreide hingegen hat viel größeres Ertragspotenzial“, sagt Buck. Hier könne er rund zehn Tonnen pro Hektar ernten und in etwa den gleichen Preis pro Tonne wie bei den Erbsen bekommen. Überlegungen also, für den Konsumentenmarkt zu produzieren, habe Buck schnell verworfen. Er baut die Erbse neben der Nutzung als Futter vor allem an, um Düngemittel einzusparen.
Ähnlich scheinen es auch viele andere Landwirte im Südwesten zu sehen. Der Anteil von Hülsenfrüchten an der gesamten Ackerfläche betrug 2019 in Baden-Württemberg lediglich 2,2 Prozent. 5000 Hektar wurden 2020 für Erbsen zur Körnergewinnung im Südwesten ausgegeben. Zum
Vergleich: Winterweizen kam auf ungefähr 209 000 Hektar. Potenzial nach oben gibt es also noch.
Würde sich an diesen Zahlen etwas ändern, wenn Hersteller von vegetarischen oder veganen Produkten einfach mehr zahlen für die Erbsen? Wohl kaum, schließlich müssten sie das an die Verbraucher weitergeben – und das Konkurrenzprodukt Fleisch ist im internationalen Vergleich in Deutschland enorm günstig. Allerdings könnte eine weitere Lenkung der Politik der Branche Spielraum verschaffen: Derzeit werden die Details für eine Tierwohlabgabe auf Fleisch diskutiert, um die 40 Cent pro Kilogramm könnte diese betragen. Mehr Geld für die Erbsenernte könnte wiederum Bauern dazu bringen, mit der Superpflanze menschliche Bäuche zu füllen, statt nur die ihrer Tiere.