Shoppen geht auch ohne Test
Ausnahmeregelung erlaubt Lockerungen beim Einkaufen – und die Tuttlinger nutzen sie
TUTTLINGEN - Die Inzidenz im Landkreis Tuttlingen liegt immer noch über 50 – Einkaufen geht also nur mit Test. Oder? In der Tuttlinger Innenstadt hat sich diese Annahme längst überholt. Shoppen geht auch ohne negative Testbescheinigung, der Grund ist eine Ausnahmeregelung.
Ein Versuch bei H&M: „Darf ich hier ohne Test rein?“„Ja“, sagt die Dame an der Einlasskontrolle und reicht einen Zettel rüber. „Bitte das hier ausfüllen.“Ähnlich machen es die Ketten Only, Depot und Ernstings Family, aber auch lokale Einzelhändler. Ist die Drei-G-Regel (getestet, genesen oder geimpft) im Einzelhandel schon wieder passé?
Nicht ganz, noch immer sieht die Corona-Verordnung des Landes eine Testpflicht im Einzelhandel vor, wenn ein Landkreis über einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 liegt – was in Tuttlingen der Fall ist. Mit einer Ausnahme: Wenn Einzelhändler nur einen Kunden pro 40 Quadratmeter ins Geschäft lassen, entfällt die Pflicht. In letzterem Fall müssten
Kunden vorab zwar einen Termin buchen, in der Realität handhaben die Händler das allerdings locker. „Sie können sich online anmelden“, heißt es an der Tür bei H&M, „Sie können aber auch so rein.“Die Daten per Zettel oder Luca-App zu hinterlassen, das sei aber Pflicht.
Auch Doreen Gebhardt im Dessousgeschäft Gebhardt führt die Kundenliste mit Pflichtbewusstsein. Anders als bei größeren Geschäften mit viel Fläche ist die Obergrenze bei ihr allerdings schnell erreicht: Zwei nicht-getestete Kundinnen darf Gebhardt in dem knapp 80 Quadratmeter großen Laden in der Oberen Hauptstraße bedienen. Doppelt so viele, wenn diese einen Test- oder Impfnachweis haben. „Ein Nachweis macht es uns da schon leichter, und sicherer ist es auch“, sagt sie. Kunden ohne Test will sie aber nicht abschrecken – freut sie sich doch, endlich wieder aufmachen zu dürfen. Immerhin: Das Geschäft läuft.
Auch im benachbarten Modegeschäft Aust hat die Nachfrage spürbar angezogen. Und die Kunden sind vorbereitet: „Es ist oft so, dass die Leute sowieso einen Nachweis dabei haben“, sagt Inhaberin Andrea DittrichMeurer.
Und mit guter Laune, sagt sie, ließen sich auch mal Wartezeiten überbrücken. Nur manchmal bekommt sie negative Reaktionen, wenn sie nach einem Testnachweis fragt: „Einige verstehen das nicht und sagen sowas wie: Beim Röther brauch ich doch auch nix.“
Tatsächlich: Die Regeln nachzuvollziehen, fällt den Passanten nicht immer leicht. Inzwischen habe sie sich zwar einen Überblick verschafft oder frage einfach an der Eingangstür nach den Bestimmungen, sagt die Tuttlingerin Petra Kiesel, die gerade aus dem Modegeschäft Witt Weiden kommt. „Es wäre an der Zeit, die Tests ganz wegzulassen“, meint sie.
Ähnlich sieht das die Industrieund Handelskammer: Die Tests machten den Händlern und Gastronomen das Leben unnötig schwer, kritisierte Philipp Hilsenbek, Geschäftsbereichsleiter der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, kürzlich in einer Pressekonferenz zum Thema. Sie binden Personal bei der Kontrolle, und auch wenn die Stammkundschaft trotzdem komme, hielten sich viele Kunden wegen der Tests noch zurück. „Auch eine Verlängerung der Gültigkeit der Tests würde schon helfen, ähnlich wie bei den Schulen“, so Hilsenbek. Schüler können ihren Testnachweis aus der Schule 60 Stunden lang für Freizeitaktivitäten nutzen.
Landrat Stefan Bär hatte in der jüngsten Corona-Pressekonferenz auf Vereinfachungen bei den Regeln gehofft, ein Signal dafür gibt es aus Stuttgart bisher allerdings nicht. Ziel der aktuellen Regelung sei es, „die Neuinfektionen so niedrig wie möglich zu halten, da wir immer noch mitten in der Pandemie sind“, teilt eine Sprecherin des Sozialministeriums auf Nachfrage mit. Die Obergrenze für geschlossene Räume solle dazu beitragen, „einen möglichst großen Abstand zu gewährleisten und dementsprechend die Ansteckungsgefahr zu verringern“. Und weiter: „Die Begründung liegt darin, vorrangig die Bevölkerung zu schützen.“Heißt für den Landkreis Tuttlingen: Änderungen können die Bewohner erst erwarten, wenn die Inzidenz spürbar sinkt: Nach fünf Tagen unter 50 entfällt gemäß Corona-Verordnung des Landes die Testpflicht im Einzelhandel. In der Gastronomie ist Essen und Trinken im Freien ohne Test erst unter 35 möglich.