Trossinger Zeitung

Zirkus Alessio wartet auf Corona-Ende

Seit November ist das Familienun­ternehmen im Gewerbepar­k in Neuhausen gestrandet

- Von Jan Scheibe

NEUHAUSEN OB ECK - In normalen Zeiten reist Tina Nestelberg­er mit ihrer Familie von März bis November quer durch das Land. Im Wochentakt ist der Montag Fahrtag, am Dienstag wird das Hauptzelt aufgebaut, am Mittwoch ist Reklame-Tag, von Donnerstag bis Samstag wird aufgeführt und am Sonntag wieder abgebaut.

Nun sitzt Nestelberg­er bei strahlende­m Wetter zwischen mehreren aneinander­gereihten Wohnwagen. Und sie hat Zeit. Seit November befindet sich der Zirkus „Alessio“auf dem ehemaligen Flughafeng­elände und heutigem Gewerbepar­k take-off in Neuhausen. „Das ganze Rumsitzen und nichts tun zu können, macht einen verrückt“, meint Nestelberg­er. Seit sie denken kann, dreht sich ihr ganzes Leben um den Zirkus. Der Opa hatte bereits einen Zirkus, und vor drei Jahren hat sie das Ruder von Mutter Beatrice übernommen, die weiterhin mit dabei ist. „Es gab für mich nie eine andere Option“, sagt Tina Nestelberg­er. Davon konnte sie auch immer gut leben. Nun hat der Zirkus Schulden, und sie ist auf Zahlungen vom Staat angewiesen.

„Wir haben hohe laufende Kosten“, erklärt Nestelbger­ger. Allein für das Tierfutter werden monatlich mittlere vierstelli­ge Beträge fällig. Dazu kommt das Geld für den Hufschmied und den Tierarzt. Und auch sonst fallen immer wieder Kosten an. So gab vor zwei Tagen einer der Lastwagen den Geist auf und müsste repariert werden. „Sollte es demnächst losgehen, müsste ich den vermutlich zurücklass­en.“

Zu Beginn der Corona-Pandemie verbrachte der Zirkus „Alessio“den ersten Lockdown in Freudensta­dt. Dort stand es um den Zirkus gut, auch weil viele Spenden reinkamen und der Zirkus an einem zentralen, gut zugänglich­en Platz war. Mithilfe von Zuwendunge­n, auch aus dem Freundeskr­eis, konnte der Zirkus im Sommer mit den Öffnungen in die Saison starten. Die Freude währte aber nicht lange. Nur vier Stationen umfasste das Programm. Die letzte davon war der erstmalige Besuch in Tuttlingen. Dann folgte Lockdown Nummer zwei.

Durch die ersten Wochen am neuen Standort in Neuhausen kamen sie auch noch recht gut. Eine Frau aus Bad Dürrheim kam wöchentlic­h vorbei, der Zirkus erhielt regelmäßig Spenden. Ein Bauer brachte Heu für die Tiere vorbei. Menschen, die fragten, wie sie helfen können, beteiligte­n sich an den Tierarztko­sten.

Das hat sich in der letzten Zeit aber zunehmend verändert. Auch durch die Lage ganz am Ende des Geländes im Gewerbepar­k, wie Tina Nestelberg­er vermutet: „Hier hinten nimmt uns ja keiner mehr wahr.“Entspreche­nd sorgenvoll blickt sie auf den Sommer. „Wir müssen mehrere Kosten erstmal stemmen, um wieder loslegen zu können.“So müssen Schilder bestellt, Flyer gedruckt, Popcorn, Getränke und weitere Lebensmitt­el eingekauft werden. Dazu kommen Kabelbinde­r, Kleber und sonstige Sachen, die in einem Zirkus immer wieder anfallen.

Ohnehin hat der Zirkus für den Sommer noch keine einzige Zusage auf einen Platz bekommen. Viele Städte halten sich noch bedeckt.

Auch die Mitarbeite­r müssten erstmal wieder kommen. Derzeit verfügt die Truppe über sechs Personen. Normalerwe­ise besteht der Zirkus aus 12 bis 15 Personen. „Manche haben sich auch eine feste Arbeit gesucht während der Zeit“, berichtet Nestelberg­er über die Artisten und Mitarbeite­r.

Hinwerfen kommt für sie aber nicht in Frage. „Es wird vermutlich mehrere Jahre dauern, bis wir die Fixkosten wieder stemmen und die Schulden zurückzahl­en können. Da werden wir uns wohl auch mit eigentlich notwendige­n Investitio­nen zurückhalt­en müssen.“Wenn sie aber an ihre Tiere denkt, die sie von klein auf kennt, spielt all das keine Rolle. Auch die Überschwem­mungen der Ställe in der letzten Zeit mit einigen Nachteinsä­tzen lassen sie nicht aufgeben. „Wir sind das Arbeiten gewohnt, und bis jetzt ist es immer gut gegangen“, meint Tina Nestelberg­er und blickt zuversicht­lich in Zukunft.

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FOTOS: JAN SCHEIBE Tina Nestelberg­er (rechts) vom Zirkus Alessio mit Lebenspart­ner André (links) und Mutter Beatrice sowie Sohn Alessio hoffen, dass mit dem Sommer auch die Zeit des Gestrandet­seins in Neuhausen zu Ende geht.
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Bei den Futter- und Tierarztko­sten war die Zirkusfami­lie Nestelberg­er zum großen Teil auf Spenden angewiesen.

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