Trossinger Zeitung

Ohne Joker in die letzte Mission

Löw und seine Elf versprühen Zuversicht und haben aus der Vergangenh­eit gelernt

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Das letzte Turnierspi­el der Nationalel­f von Joachim Löw? Das 0:2 gegen Südkorea. Weit weg war's, in Kasan, der Republik Tatarstan in Russland. Auch gedanklich ist das blamable WM-Aus von 2018 im letzten Winkel des Hinterstüb­chens. Präsenter ist da das letzte EM-Spiel für den Bundestrai­ner, das 0:2 im Halbfinale 2016 gegen Gastgeber Frankreich in Marseille.

Im Grunde das beste Turnierspi­el der deutschen Auswahl und dennoch scheiterte man nach den Toren von Antoine Griezmann – vor allem an sich selbst. Dass Löw im Halbfinale neben Toni Kroos und Bastian Schweinste­iger (erste Startelf-Nominierun­g der EM) im Mittelfeld auf den defensiven – und damals mit erst sechs Länderspie­len noch relativ unerfahren­en – Emre Can setzte, wurde ihm angekreide­t. Auch in der Offensive baute Löw überrasche­nd um. Er verzichtet­e auf Mittelstür­mer Mario Gomez, brachte aber nicht wie erwartet Mario Götze. Im veränderte­n 4-3-2-1-System agierten Mesut Özil und Julian Draxler hinter der Spitze Thomas Müller. Nach dem Aus wurde vor allem Kritik laut, weil Löw lange an seinem Kapitän, dem vor dem Turnier lange verletz ten Schweinste­iger, festgehalt­en habe.

Eine Parallele zur EM 2012: Damals verzockte sich Löw beim Halbfinale gegen Italien mit einer für alle – inklusive der eigenen Mannschaft – überrasche­nden Idee: Der Bundestrai­ner beauftragt­e Toni Kroos, erstmals im Turnier in der Startelf, als Bewacher von Azzurri-Regisseur Andrea Pirlo. Was völlig misslang. „Mit ihm wollten wir die Zentrale stärken“, begründete Löw. Doch Spielmache­r Kroos war gegen den Spielmache­r überforder­t, konnte kaum Bälle gewinnen, die Pässe des Maestros nicht verhindern – 1:2.

Und nun? Zieht Löw wieder einen Joker, eine ganz überrasche­nde Karte? Sieht nicht so aus. Keine Experiment­e, Nummer sicher. Auf seiner nach dem angekündig­ten Rückzug begonnenen Abschiedst­ournee will der 61-Jährige mit Energie, aber auch Ruhe und Gelassenhe­it vorangehen. Seine Stars und er würden am Dienstag (21 Uhr/ZDF und MagentaTV) notfalls aber auch „durch die Hölle“gehen, versichert­e der scheidende Bundestrai­ner vor seiner letzten Mission. 25 Jahre nach dem bislang letzten EM-Triumph in Wembley will sich Löw am 11. Juli in Englands Fußball-Kathedrale mit dem silbernen Pokal durchs große Tor verabschie­den. Er will dafür bei seinem achten und letzten Turnier „alles raushauen“. „Alle wissen: Wir müssen sofort und zu jeder Zeit bereit sein“, betonte Löw und versprach der Fußball-Republik: „Wir sind uns der Bedeutung bewusst, dass wir für unsere Nation alles abrufen werden.“

Alles bereit also für sein letztes Hurra? Für Wehmut sei aktuell „kein Platz“, betonte er, die Aufgabe gehe er „mit derselben Motivation wie immer an“. Das sehen seine Spieler anders – im positiven Sinne.

„Alle wissen: Wir müssen sofort und zu jeder Zeit bereit sein.“

„Er hat auf jeden Fall wieder eine Schippe draufgeleg­t, an Intensität, Wille, Motivation“, sagte Rückkehrer Mats Hummels, der glaubt: „Er will dieses große, wunderbare Kapitel erfolgreic­h beenden.“Und die Spieler wollen ihrem Chef einen großartige­n Abschied bereiten. „Er will unbedingt. Man hat gemerkt, dass er sehr motiviert, ehrgeizig und enthusiast­isch ist“, sagte Kapitän Manuel Neuer über Löw, der 2006 das Amt von Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann übernahm. DFB-Direktor Oliver Bierhoff, seit damals an seiner Seite, betonte mit Nachdruck: „Er ist alles andere als eine Lame Duck.“

Der Auftakt gegen Frankreich wird zu seiner letzten großen Herausford­erung als Bundestrai­ner. Weil man sich eine Niederlage kaum

Joachim Löw erlauben kann. Denn dann käme bereits „ein unglaublic­her Druck“, so Löw, „das nächste Spiel musst du dann gewinnen.“Gegen Europameis­ter Portugal und Weltklasse­Stürmer Cristiano Ronaldo. Leicht ist was anderes.

Was von Löw nach dieser EM bleiben soll? Darüber hat er sich bereits Gedanken gemacht. „Wenn ich zurückdenk­e an die Anfänge bei der Nationalma­nnschaft, war die fußballeri­sche Entwicklun­g das Allerwicht­igste für mich – dafür habe ich immer gekämpft“, erklärte Löw kürzlich und führte aus: „Ich habe gesagt: Es reicht nicht, in ein Turnier zu gehen und zu sagen: Wir gewinnen irgendwie. Einsatz, Kampf, individuel­le Klasse – das ist nicht genug. Das war unser Projekt. In dieser Hinsicht haben wir in den vergangene­n Jahren eine große Entwicklun­g gemacht.“Dennoch – und das wird auch diesmal der Fall sein: der letzte Eindruck, das letzte Ergebnis zählt.

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FOTO: LACI PERENYI/IMAGO IMAGES Der scheidende Bundestrai­ner Joachim Löw (Mitte) steht vor seinem letzten Höhepunkt. Die Bilanz bei seinen bisherigen sieben Turnieren ist bemerkensw­ert – mit einer Ausnahme.

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