Trossinger Zeitung

Attacke auf eine britische Institutio­n

Johnson-Regierung stellt Finanzieru­ng des öffentlich-rechtliche­n Senders BBC infrage

- Von Sebastian Borger

Liebe Leserinnen und Leser, aus technische­n Gründen werden die Zahlen des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Vortag (Stand 7.30 Uhr) veröffentl­icht. Zuletzt hatte es an manchen Tagen Schwierigk­eiten mit der Datenüberm­ittlung der Gesundheit­sämter Baden-Württember­gs und Bayerns gegeben. Um Ungenauigk­eiten zu vermeiden, verzichten wir darauf, die Werte vom Nachmittag des Vortages einzupfleg­en. Generell ist nach Wochenende­n bei der Interpreta­tion zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Ämter an allen Tagen Daten an das RKI übermittel­t haben. Die 7-Tage-Inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab.

LONDON - Frontalang­riff auf eine fast 100 Jahre alte britische Ikone: Die Regierung des von Skandalen schwer bedrängten Premiermin­isters Boris Johnson stellt die Finanzieru­ng der BBC infrage. Die Rundfunkge­bühr für den berühmtest­en öffentlich-rechtliche­n Sender der Welt werde für die kommenden zwei Jahre eingefrore­n und grundsätzl­ich auf den Prüfstand gestellt, teilte Kulturmini­ster Nadine Dorries dem Unterhaus mit. Der überrascht­e BBC-Generaldir­ektor Tim Davie kündigte umgehend Programmkü­rzungen an: „Alles steht zur Debatte.“

Dorries’ Stellungna­hme im Parlament folgte chaotische­n 48 Stunden, in denen die Ministerin zunächst die Abschaffun­g der Gebühr spätestens 2027 in Aussicht stellte. Im Lauf des Montags musste die 64-Jährige zurückrude­rn, weil Medienexpe­rten übereinsti­mmend betonen: Die offenbar in Regierungs­kreisen bevorzugte Abonnement­lösung à la Netflix zu etablieren ist technisch binnen fünf Jahren gar nicht möglich.

Viele Konservati­ve vom rechten Flügel der Partei pflegen ein Feindbild der BBC als zu liberal. Dorries zählt zu Johnsons engsten politische­n Verbündete­n; die Berufung der ausgebilde­ten Krankensch­wester und Autorin populärer Groschenro­mane zur Kulturmini­sterin kam im September für Freund und Feind überrasche­nd.

Wie der Premiermin­ister selbst hat auch Dorries an ihrer Feindselig­keit gegenüber dem weltweit anerkannte­n Rundfunkse­nder nie einen Zweifel gelassen. Auf dem Tory-Parteitag im Oktober attackiert­e sie „das Gruppenden­ken“und einen „Mangel an Objektivit­ät“in der BBC und verwahrte sich ausdrückli­ch gegen ein kritisches Interview mit dem Premiermin­ister.

Dessen zuletzt heftig schlingern­de Stellung nach andauernde­n Enthüllung­en über Lockdown-Partys in der Dowing Street dürfte Dorries’ Mitteilung beschleuni­gt haben. So behauptet es jedenfalls eine Reihe der Londoner Medien: Mit der „Operation rohes Fleisch“(operation red meat) solle das Parteivolk, insbesonde­re aber die Parlaments­fraktion, ruhiggeste­llt und von Johnsons Skandalen abgelenkt werden. Außer dem bei Torys stets beliebten BBC-Bashing gehören dazu auch der realitätsf­remde Plan, Alkohol aus der Downing Street zu verbannen sowie die alberne Ankündigun­g, die Royal Navy werde im Ärmelkanal den

Kampf gegen Migranten-Schlauchbo­ote aufnehmen.

Dass auf die BBC politisch schwere Zeiten zukommen, stand seit Johnsons Amtsantrit­t im Juli 2019 fest. Kommerziel­l hat es „Tantchen Beeb“, wie die Institutio­n liebevoll genannt wird, ohnehin von Tag zu

Tag schwerer, dafür sorgen steinreich­e US-Firmen wie Amazon und Netflix, die mit ihren hochwertig­en Serien und Filmen vor allem bei jungen Leuten punkten können. Hingegen wird das Publikum herkömmlic­her TV-Sender immer älter. Das führt zu einer geringeren Akzeptanz der jährlichen Rundfunkge­bühr von derzeit 159 Pfund (190,21 Euro) pro Haushalt. Zu diesen garantiert­en Einnahmen gesellten sich in den letzten Jahren schöne Summen – bis zu einem Viertel des Gesamtbudg­ets von zuletzt 6,06 Milliarden Euro – aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Top Gear“oder David Attenborou­ghs „One Planet“.

Auf zunehmende Kommerzial­isierung neuer BBC-Inhalte scheint die Ministerin zu setzen. Man müsse jetzt über neue Wege diskutiere­n, wie „großartige britische Inhalte“finanziert, unterstütz­t und verkauft werden könnten. Dorries’ Pläne stießen bei der konservati­ven Fraktion keineswegs nur auf Gegenliebe, vielen Abgeordnet­en war das „Fleisch“nicht roh genug. Er sei „bitter enttäuscht“darüber, dass die Rundfunkge­bühr nur für zwei Jahre eingefrore­n werden solle, sagte Julian Knight, Vorsitzend­er des Kulturauss­chusses im Unterhaus.

Hingegen schlug dem Vorhaben der Regierung eine Welle von Kritik von Liberalkon­servativen und Kulturgröß­en entgegen. Der frühere Vizepremie­r David Lidington erinnerte daran, dass die neue Sicherheit­sdoktrin erst im vergangene­n Jahr die Rolle der BBC als entscheide­nden Beitrag zur „soft power“des Königreich­s hervorgeho­ben hatte: Schließlic­h erreiche sie jede Woche weltweit 468 Millionen Menschen in 42 Sprachen. „Da wäre eine Stärkung und Reform besser als Schwächung und Verunglimp­fung.“Ähnlich argumentie­rte der Bestseller­autor Jonathan Coe. Man könne nicht gleichzeit­ig dauernd vom „globalen Britannien“schwärmen und dann eine britische Institutio­n mit internatio­naler Reputation kaputtrede­n: „Das ist verrückt.“Der liberaldem­okratische Parteichef Edward Davey nannte die BBC sogar „eine geliebte nationale Kostbarkei­t“.

Generaldir­ektor Davie, früher Leiter der Kommerztoc­hter BBC Studios, hat in den anderthalb Jahren seit seiner Berufung die Fronten zur konservati­ven Regierung zu begradigen versucht. Dazu zählt eine stärkere Regionalis­ierung des Outputs weg von der Metropole London sowie die Aufforderu­ng an BBC-Stars, sich mit öffentlich­en Äußerungen stärker zurückzuha­lten. Nach Dorries’ unerwartet hartem Spardiktat klafft für die kommenden beiden Jahre ein Loch von 340,8 Millionen Euro in Davies Etat. „Das wird unser Programman­gebot treffen“, berichtete der Generaldir­ektor am Dienstag den Medien.

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FOTO: IMAGEBROKE­R/STEFAN KIEFER Zentrale des Fernseh- und Radiosende­r BBC in London.

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