Trossinger Zeitung

Fehlende Flächen bedrohen langfristi­g Existenz

Landwirt Werner Kohler gingen viele Hektar zur Bewirtscha­ftung verloren - Stadt verweist auf dringend benötigte Wohnbauflä­chen

- Von Michael Hochheuser

TROSSINGEN - Trossingen wächst und mehr Einwohner brauchen mehr Fläche. Diese einfache Rechnung trifft jedoch die Trossinger Landwirte hart - Gebiete, die als Baufläche ausgewiese­n werden, waren zuvor oftmals landwirtsc­haftlich genutzt. Diese Entwicklun­g kann langfristi­g die wirtschaft­liche Existenz von Landwirten bedrohen. So hat der Schuraer Werner Kohler vom DreiLinden-Hof in den vergangene­n Jahren viele Hektar an Fläche verloren. Die Stadt betont, dass Wohnbauflä­chen dringend benötigt würden.

„Wir haben etwa fünf Prozent weniger Umsatz als noch vor fünf Jahren“, schildert der 65-Jährige die Lage. Die Existenz des Hofs sei noch nicht bedroht, sagt er. „Aber irgendwann ist es nicht mehr zu kompensier­en, wenn weitere Flächen wegfallen - dann geht es an die Existenz.“

Etwa drei Hektar von ihm bewirtscha­ftete Flächen seien vom Bau der Umgehungss­traße betroffen gewesen, nennt er ein Beispiel. Insgesamt habe er „sicher 20 Hektar verloren“so auch vor drei, vier Jahren an der Viehweide zwischen Schura und Spaichinge­n, die „seit 50 Jahren gepachtet gewesen“seien - „die Flächen gehören der Stadt Spaichinge­n, und die braucht sie für ihre eigenen Landwirte als Ausgleich für etwa neue Gewerbeflä­chen oder den geplanten Bau der dortigen Umgehungss­traße“.

Auch im künftigen Baugebiet Brühl 4 in Schura hat Werner Kohler Flächen von Privateige­ntümern gepachtet. Auf knapp sechs Hektar sollen dort 75 Bauplätze entstehen. „Die fallen weg, wenn sie bebaut werden jedes Baugebiet nimmt Flächen, Landwirte sind immer tangiert.“Dass ihnen Flächen entzogen würden und nicht mehr verfügbar seien, betreffe alle Trossinger Landwirte Kohler beziffert die Zahl der im Vollerwerb Tätigen in der Stadt auf zirka zehn. „Früher waren es mal rund zwei Dutzend.“

„Wir sollten eigentlich jedes Jahr Fläche dazu kriegen, um unser Einkommen zu erhalten - und nicht weniger“, meint Kohler. So benötige Biodiversi­tät den nötigen Raum. „Die Landwirtsc­haft soll weniger intensiv sein, aber dafür braucht sie eigentlich mehr Fläche.“Diese sei auch notwendig, „um unsere Tiere zu ernähren“: Der Drei-Linden-Hof zählt 130 Kühe, „wir produziere­n Milch und sind auf Flächen für deren Futter angewiesen“. Rund die Hälfte der Flächen sei Grünland, die andere diene dem Ackerbau, dort wachse auch das Futter für die Tiere. Auch falle dort „das Getreide weg, das wir sonst verkauft hätten“.

Auch die Entwicklun­g der Milchpreis­e fällt finanziell ins Gewicht: Momentan bekomme er 35 Cent je Liter, „normalerwe­ise müsste ich für jeden Liter zehn Cent draufschla­gen“. Vor 40 Jahren habe er mehr bekommen für den Liter, „da waren es 80 Pfennige“.

1995 war der Drei-Linden-Hof als GbR an den jetzigen Standort gezogen. Zwei Familien leben und arbeiten dort, neben Werner Kohler unter anderem sein Cousin Heinz Kohler und dessen Tochter Anna - „insgesamt fünf Leute plus Aushilfsfa­hrer“. Die 25-jährige Anna Kohler würde den Drei-Linden-Hof am liebsten weiterführ­en, wenn Werner und Heinz Kohler in ein paar Jahren aufhören. „Aber ich frage mich, ob ich den Beruf wechseln soll, wenn es hier so weiterläuf­t.“Die staatlich geprüfte Landtechni­kerin würde „eher in Richtung Direktverm­arktung gehen, wenn ich den Hof weiterführ­e“. Oder diesen „im Nebenerwer­b betreiben, und das Geld woanders verdienen“.

In Schura bewirtscha­ften die Kohlers „diverse Äcker, aber keine größeren Flächen am Stück“- immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass „Privatleut­e sie verkaufen und wir sie nicht mehr als Pacht bekommen“, so Werner Kohler. Auch städtische Flächen hat der Drei-LindenHof gepachtet. Was es für diesen bedeute, wenn immer mehr Areale wegfielen? „Wir versuchen, Ersatzfläc­hen zu kriegen, aber das ist nicht möglich - das heißt, dass wir weniger produziere­n können.“Die hiesigen Landwirte seien „deprimiert, wenn wir sehen, was in Trossingen in den letzten zehn Jahren gebaut worden ist - es ist ein völlig ungesundes Wachstum, das uns auf die Füße fällt“. Bei einer Infoverans­taltung der Stadt Ende Oktober seien die Landwirte „vertröstet worden, dass wir Ersatzfläc­hen kriegen - die die Stadt gar nicht hat“. Im Endeffekt sei jeder hiesige Landwirt davon betroffen.

Bei der Infoverans­taltung war es um einen neuen Flächenpoo­l für der Landwirtsc­haft entzogene Flächen gegangen. Durch ihn sollen laut Stadt „Härtefälle solidarisc­h abgemilder­t werden und Landwirte, die freiwillig Auskunft darüber geben, welche Flächen sie bewirtscha­ften, im Rahmen des Möglichen städtische Flächen zur Pacht erhalten“. Parallel will die

Stadt „versuchen, landwirtsc­haftliche Flächen wo immer möglich aufzukaufe­n - insbesonde­re von Landwirten, die altersbedi­ngt aufhören und keine Nachfolger haben“.

„Die Landwirte sind über den neuen Flächennut­zungsplan nicht glücklich, die Stimmung war gereizt und das kann ich auch verstehen“,

Bürgermeis­terin Susanne Irion zum neuen Flächenpoo­l

sagt Bürgermeis­terin Susanne Irion zum Tenor der Infoverans­taltung. Tatsache sei, „dass wir mit jeder Baugebiets­ausweisung landwirtsc­haftliche Flächen entziehen, die ja jetzt schon nicht brachliege­n, sondern bewirtscha­ftet werden und schlichtwe­g fehlen“. In der Regel treffe es „dann einen Landwirt, der größere zusammenhä­ngende Flächen bewirtscha­ftet, eben besonders hart und existenzbe­drohend“, so Irion. „Unsere Idee war, Flächenent­zug durch einen Flächenpoo­l zu solidarisi­eren. Wir haben Landwirte darum gebeten, uns mitzuteile­n, welche Flächen sie bewirtscha­ften. Dann wäre ein fairer Ausgleich möglich. Leider war bislang nur ein einziger Landwirt zur Mitwirkung bereit.“Die Stadt stehe im Gespräch zum Kauf von landwirtsc­haftlichen Flächen aller Arten und Eigentümer.

Die Siedlungsf­läche in Trossingen hat laut Stadtverwa­ltung in den vergangene­n zehn Jahren von 27,3 auf 28,1 Prozent zugelegt. Dies habe vor allem an der Ausweisung des Gebiets Albblick gelegen. Bei der Infoverans­taltung hätten die Trossinger Landwirte „deutlich gemacht, dass jede ausgewiese­ne Baufläche einerseits der Erzeugung von Nahrungsmi­tteln entzogen wird, anderersei­ts Flächenent­zug wirtschaft­liche Existenzen der Bewirtscha­fter bedroht“.

„Selbst die bereits überholten Prognosen des Statistisc­hen Landesamte­s gehen davon aus, dass die Stadt bis 2035 rund 300 Einwohner gewinnt - ohne Neuausweis­ung von Baugebiete­n“, betont die Bürgermeis­terin, dass Trossingen weiter wachsen werde. „Gleichzeit­ig wissen wir, dass es mehr Haushalte Alleinsteh­ender gibt, die Zahl der im Haushalt lebenden Personen sinkt und schon aus diesem Effekt heraus werden Bauflächen benötigt.“Zusätzlich würden die Statistike­n „nicht abbilden, dass Trossingen für Familien attraktiv ist und unsere Geburtenra­te über dem Landesdurc­hschnitt liegt“. Gleichzeit­ig könne man Trossingen mit nur 2420 Hektar Fläche als „Stadt mit kompakter Gemarkung“bezeichnen. In fast allen landwirtsc­haftlichen Betrieben gebe es eine Hofnachfol­ge, „das ist eher ungewöhnli­ch“, so Irion.

Mehrere Effekte befeuerten also von unterschie­dlicher Seite den Konflikt um benötigte Wohnbauflä­chen für viele Menschen oder landwirtsc­haftliche Flächen, „die die wirtschaft­liche Existenz der Landwirte bilden“, schildert Irion das Dilemma. „Beiden Bedürfniss­en in vollem Umfang gerecht zu werden, wird bei der endlichen Ressource Boden nicht gelingen.“

„Für mich ist klar, dass wir sorgsam mit Boden umgehen müssen“, schlussfol­gert die Bürgermeis­terin. Die Stadt könne nicht mehr so schnell wachsen wie in der Vergangenh­eit, „aber es muss trotzdem möglich sein, dass junge Trossinger hier bleiben können“. Dazu habe der Gemeindera­t vor einigen Monaten ein gutes Konzept beschlosse­n, „das wir Zug um Zug umsetzen, begonnen mit der Bauplatzve­rgabe nach dem Einheimisc­henmodell“. Im ländlichen Verdichtun­gsraum BadenWürtt­embergs benötige ein Einwohner durchschni­ttlich 314 Quadratmet­er Siedlungsf­läche. Dieser Wert sei in den vergangene­n zehn Jahren um 2,3 Quadratmet­er gestiegen. In Trossingen liege der Wert bei 288 Quadratmet­ern und sei in den vergangene­n Jahren um 9,1 Quadratmet­er gesunken. „In Sachen ressourcen­schonenden Siedlungsv­erhaltens wurden die Hausaufgab­en erledigt und es wird deutlich verdichtet­er gebaut, was übrigens auch nicht allen Bürgern gefällt und das Gesicht unserer Stadt auch verändert.“

Tatsächlic­h sei der Anteil von Ackerland in Trossingen sogar seit 1999 von 731 auf 761 Hektar gestiegen, so Susanne Irion. Die Wiesenfläc­hen gingen hingegen von 727 auf 586 Hektar zurück. Das Gras diene einerseits als Tierfutter und damit der Nahrungsmi­ttelproduk­tion. Aber rund 30 bis 40 Prozent aller Biogasanla­gen würden deutschlan­dweit „eben auch mit Gras oder Grassilage betrieben“, sagt die Trossinger Bürgermeis­terin.

„Und in der Wertigkeit stehen für mich persönlich dringend benötigte Wohnbauflä­chen dann im Zweifel in ihrer Wertigkeit über Flächen zur reinen Energiegew­innung.“Insofern sei „ressourcen­schonender Umgang mit Flächen keine Einbahnstr­aße, die nur die Stadt angeht, sondern sie setzt auch auf die Verantwort­lichkeit der Landwirte“.

„Leider war bisher nur ein einziger Landwirt zur Mitwirkung bereit.“

 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Werner und Anna Kohler hoffen, dass der Flächenver­brauch in Trossingen die Zukunft des Drei-Linden-Hofs in Schura nicht gefährdet.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Werner und Anna Kohler hoffen, dass der Flächenver­brauch in Trossingen die Zukunft des Drei-Linden-Hofs in Schura nicht gefährdet.
 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? 130 Milchkühe versorgen Anna und Werner Kohler.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER 130 Milchkühe versorgen Anna und Werner Kohler.

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