Fehlende Flächen bedrohen langfristig Existenz
Landwirt Werner Kohler gingen viele Hektar zur Bewirtschaftung verloren - Stadt verweist auf dringend benötigte Wohnbauflächen
TROSSINGEN - Trossingen wächst und mehr Einwohner brauchen mehr Fläche. Diese einfache Rechnung trifft jedoch die Trossinger Landwirte hart - Gebiete, die als Baufläche ausgewiesen werden, waren zuvor oftmals landwirtschaftlich genutzt. Diese Entwicklung kann langfristig die wirtschaftliche Existenz von Landwirten bedrohen. So hat der Schuraer Werner Kohler vom DreiLinden-Hof in den vergangenen Jahren viele Hektar an Fläche verloren. Die Stadt betont, dass Wohnbauflächen dringend benötigt würden.
„Wir haben etwa fünf Prozent weniger Umsatz als noch vor fünf Jahren“, schildert der 65-Jährige die Lage. Die Existenz des Hofs sei noch nicht bedroht, sagt er. „Aber irgendwann ist es nicht mehr zu kompensieren, wenn weitere Flächen wegfallen - dann geht es an die Existenz.“
Etwa drei Hektar von ihm bewirtschaftete Flächen seien vom Bau der Umgehungsstraße betroffen gewesen, nennt er ein Beispiel. Insgesamt habe er „sicher 20 Hektar verloren“so auch vor drei, vier Jahren an der Viehweide zwischen Schura und Spaichingen, die „seit 50 Jahren gepachtet gewesen“seien - „die Flächen gehören der Stadt Spaichingen, und die braucht sie für ihre eigenen Landwirte als Ausgleich für etwa neue Gewerbeflächen oder den geplanten Bau der dortigen Umgehungsstraße“.
Auch im künftigen Baugebiet Brühl 4 in Schura hat Werner Kohler Flächen von Privateigentümern gepachtet. Auf knapp sechs Hektar sollen dort 75 Bauplätze entstehen. „Die fallen weg, wenn sie bebaut werden jedes Baugebiet nimmt Flächen, Landwirte sind immer tangiert.“Dass ihnen Flächen entzogen würden und nicht mehr verfügbar seien, betreffe alle Trossinger Landwirte Kohler beziffert die Zahl der im Vollerwerb Tätigen in der Stadt auf zirka zehn. „Früher waren es mal rund zwei Dutzend.“
„Wir sollten eigentlich jedes Jahr Fläche dazu kriegen, um unser Einkommen zu erhalten - und nicht weniger“, meint Kohler. So benötige Biodiversität den nötigen Raum. „Die Landwirtschaft soll weniger intensiv sein, aber dafür braucht sie eigentlich mehr Fläche.“Diese sei auch notwendig, „um unsere Tiere zu ernähren“: Der Drei-Linden-Hof zählt 130 Kühe, „wir produzieren Milch und sind auf Flächen für deren Futter angewiesen“. Rund die Hälfte der Flächen sei Grünland, die andere diene dem Ackerbau, dort wachse auch das Futter für die Tiere. Auch falle dort „das Getreide weg, das wir sonst verkauft hätten“.
Auch die Entwicklung der Milchpreise fällt finanziell ins Gewicht: Momentan bekomme er 35 Cent je Liter, „normalerweise müsste ich für jeden Liter zehn Cent draufschlagen“. Vor 40 Jahren habe er mehr bekommen für den Liter, „da waren es 80 Pfennige“.
1995 war der Drei-Linden-Hof als GbR an den jetzigen Standort gezogen. Zwei Familien leben und arbeiten dort, neben Werner Kohler unter anderem sein Cousin Heinz Kohler und dessen Tochter Anna - „insgesamt fünf Leute plus Aushilfsfahrer“. Die 25-jährige Anna Kohler würde den Drei-Linden-Hof am liebsten weiterführen, wenn Werner und Heinz Kohler in ein paar Jahren aufhören. „Aber ich frage mich, ob ich den Beruf wechseln soll, wenn es hier so weiterläuft.“Die staatlich geprüfte Landtechnikerin würde „eher in Richtung Direktvermarktung gehen, wenn ich den Hof weiterführe“. Oder diesen „im Nebenerwerb betreiben, und das Geld woanders verdienen“.
In Schura bewirtschaften die Kohlers „diverse Äcker, aber keine größeren Flächen am Stück“- immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass „Privatleute sie verkaufen und wir sie nicht mehr als Pacht bekommen“, so Werner Kohler. Auch städtische Flächen hat der Drei-LindenHof gepachtet. Was es für diesen bedeute, wenn immer mehr Areale wegfielen? „Wir versuchen, Ersatzflächen zu kriegen, aber das ist nicht möglich - das heißt, dass wir weniger produzieren können.“Die hiesigen Landwirte seien „deprimiert, wenn wir sehen, was in Trossingen in den letzten zehn Jahren gebaut worden ist - es ist ein völlig ungesundes Wachstum, das uns auf die Füße fällt“. Bei einer Infoveranstaltung der Stadt Ende Oktober seien die Landwirte „vertröstet worden, dass wir Ersatzflächen kriegen - die die Stadt gar nicht hat“. Im Endeffekt sei jeder hiesige Landwirt davon betroffen.
Bei der Infoveranstaltung war es um einen neuen Flächenpool für der Landwirtschaft entzogene Flächen gegangen. Durch ihn sollen laut Stadt „Härtefälle solidarisch abgemildert werden und Landwirte, die freiwillig Auskunft darüber geben, welche Flächen sie bewirtschaften, im Rahmen des Möglichen städtische Flächen zur Pacht erhalten“. Parallel will die
Stadt „versuchen, landwirtschaftliche Flächen wo immer möglich aufzukaufen - insbesondere von Landwirten, die altersbedingt aufhören und keine Nachfolger haben“.
„Die Landwirte sind über den neuen Flächennutzungsplan nicht glücklich, die Stimmung war gereizt und das kann ich auch verstehen“,
Bürgermeisterin Susanne Irion zum neuen Flächenpool
sagt Bürgermeisterin Susanne Irion zum Tenor der Infoveranstaltung. Tatsache sei, „dass wir mit jeder Baugebietsausweisung landwirtschaftliche Flächen entziehen, die ja jetzt schon nicht brachliegen, sondern bewirtschaftet werden und schlichtweg fehlen“. In der Regel treffe es „dann einen Landwirt, der größere zusammenhängende Flächen bewirtschaftet, eben besonders hart und existenzbedrohend“, so Irion. „Unsere Idee war, Flächenentzug durch einen Flächenpool zu solidarisieren. Wir haben Landwirte darum gebeten, uns mitzuteilen, welche Flächen sie bewirtschaften. Dann wäre ein fairer Ausgleich möglich. Leider war bislang nur ein einziger Landwirt zur Mitwirkung bereit.“Die Stadt stehe im Gespräch zum Kauf von landwirtschaftlichen Flächen aller Arten und Eigentümer.
Die Siedlungsfläche in Trossingen hat laut Stadtverwaltung in den vergangenen zehn Jahren von 27,3 auf 28,1 Prozent zugelegt. Dies habe vor allem an der Ausweisung des Gebiets Albblick gelegen. Bei der Infoveranstaltung hätten die Trossinger Landwirte „deutlich gemacht, dass jede ausgewiesene Baufläche einerseits der Erzeugung von Nahrungsmitteln entzogen wird, andererseits Flächenentzug wirtschaftliche Existenzen der Bewirtschafter bedroht“.
„Selbst die bereits überholten Prognosen des Statistischen Landesamtes gehen davon aus, dass die Stadt bis 2035 rund 300 Einwohner gewinnt - ohne Neuausweisung von Baugebieten“, betont die Bürgermeisterin, dass Trossingen weiter wachsen werde. „Gleichzeitig wissen wir, dass es mehr Haushalte Alleinstehender gibt, die Zahl der im Haushalt lebenden Personen sinkt und schon aus diesem Effekt heraus werden Bauflächen benötigt.“Zusätzlich würden die Statistiken „nicht abbilden, dass Trossingen für Familien attraktiv ist und unsere Geburtenrate über dem Landesdurchschnitt liegt“. Gleichzeitig könne man Trossingen mit nur 2420 Hektar Fläche als „Stadt mit kompakter Gemarkung“bezeichnen. In fast allen landwirtschaftlichen Betrieben gebe es eine Hofnachfolge, „das ist eher ungewöhnlich“, so Irion.
Mehrere Effekte befeuerten also von unterschiedlicher Seite den Konflikt um benötigte Wohnbauflächen für viele Menschen oder landwirtschaftliche Flächen, „die die wirtschaftliche Existenz der Landwirte bilden“, schildert Irion das Dilemma. „Beiden Bedürfnissen in vollem Umfang gerecht zu werden, wird bei der endlichen Ressource Boden nicht gelingen.“
„Für mich ist klar, dass wir sorgsam mit Boden umgehen müssen“, schlussfolgert die Bürgermeisterin. Die Stadt könne nicht mehr so schnell wachsen wie in der Vergangenheit, „aber es muss trotzdem möglich sein, dass junge Trossinger hier bleiben können“. Dazu habe der Gemeinderat vor einigen Monaten ein gutes Konzept beschlossen, „das wir Zug um Zug umsetzen, begonnen mit der Bauplatzvergabe nach dem Einheimischenmodell“. Im ländlichen Verdichtungsraum BadenWürttembergs benötige ein Einwohner durchschnittlich 314 Quadratmeter Siedlungsfläche. Dieser Wert sei in den vergangenen zehn Jahren um 2,3 Quadratmeter gestiegen. In Trossingen liege der Wert bei 288 Quadratmetern und sei in den vergangenen Jahren um 9,1 Quadratmeter gesunken. „In Sachen ressourcenschonenden Siedlungsverhaltens wurden die Hausaufgaben erledigt und es wird deutlich verdichteter gebaut, was übrigens auch nicht allen Bürgern gefällt und das Gesicht unserer Stadt auch verändert.“
Tatsächlich sei der Anteil von Ackerland in Trossingen sogar seit 1999 von 731 auf 761 Hektar gestiegen, so Susanne Irion. Die Wiesenflächen gingen hingegen von 727 auf 586 Hektar zurück. Das Gras diene einerseits als Tierfutter und damit der Nahrungsmittelproduktion. Aber rund 30 bis 40 Prozent aller Biogasanlagen würden deutschlandweit „eben auch mit Gras oder Grassilage betrieben“, sagt die Trossinger Bürgermeisterin.
„Und in der Wertigkeit stehen für mich persönlich dringend benötigte Wohnbauflächen dann im Zweifel in ihrer Wertigkeit über Flächen zur reinen Energiegewinnung.“Insofern sei „ressourcenschonender Umgang mit Flächen keine Einbahnstraße, die nur die Stadt angeht, sondern sie setzt auch auf die Verantwortlichkeit der Landwirte“.
„Leider war bisher nur ein einziger Landwirt zur Mitwirkung bereit.“