Stimmung der Baubranche auf Tiefpunkt
Firmen leiden unter Materialmangel und Preisdruck – Wohnungsbau im Südwesten stockt
RAVENSBURG/MÜNCHEN/BERLIN Am Mittwoch hatte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) angekündigt, dass die Bundesregierung an ihrem Plan festhält, künftig pro Jahr gut 400 000 neue Wohnungen zu schaffen. Der Optimismus der SPD-Politikerin steht im Kontrast zur Einschätzung der deutschen Baufirmen. Wegen des stetig zunehmenden Materialmangels und unkalkulierbarer Kostensteigerungen sind deren Erwartungen auf einen historischen Tiefpunkt gesunken.
In der am Donnerstag veröffentlichten monatlichen Unternehmensumfrage des Münchner ifo-Instituts klagten 54,2 Prozent der Hochbauunternehmen über Lieferengpässe. Das waren so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahre 1991. Im Tiefbau berichteten 46,2 der Firmen über Materialmangel, ebenfalls ein neuer Höchststand. Dementsprechend sind laut ifo die Geschäftserwartungen in der Baubranche abgestürzt, im Hochbau sank der Indikator auf minus 46,9 Punkte, der tiefste Stand seit 1991. Im Tiefbau waren es sogar minus 48,6 Punkte.
Die Branche berichtete demnach auch über eine steigende Zahl von Auftragsstornierungen. Im April meldeten 7,5 Prozent der Hochbauer und 9,3 Prozent der Tiefbauer stornierte Aufträge, deutlich mehr als noch im März. „Bei laufenden Projekten stellt sich die Frage, inwieweit Kostensteigerungen weitergegeben werden können“, sagte ifo-Baufachmann Felix Leiss dazu. „Neue Projekte sind kaum kalkulierbar. Auf der anderen Seite steigen für Bauherren die Zinsen für die Finanzierung.“
Projektentwickler in der Region berichten ebenfalls über ein zunehmend schwieriges Geschäftsumfeld. Das Unternehmen Reisch etwa, seit Jahrzehnten in der Region Bodensee-Oberschwaben tätig, kalkuliert derzeit bei einem großen Wohnbauprojekt in Ravensburg mit Verzögerungen. Und der baden-württembergische Landesverband Freier Immobilienund Wohnungsunternehmen rechnet mit einem Rückgang des Wohnbaus im Jahr 2023. Geschäftsführer Gerald Lipka fordert im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, bauliche Vorschriften, etwa Infrastrukturmaßnahmen, zu verschlanken.