„Die pazifistische Idee darf nicht sterben“
Der Liedermacher Konstantin Wecker hat sein Leben dem Frieden gewidmet – Trotz des Ukraine-Kriegs hält er an seinem Ideal einer gewaltfreien Gesellschaft fest
RAVENSBURG - Der Liedermacher Konstantin Wecker setzt sich sein Leben lang für Frieden ein. Trotz des Ukraine-Kriegs hält er an der pazifistischen Idee fest. Der Musiker, Komponist, Schauspieler und Autor, der am 1. Juni 75 Jahre alt wird, empfindet es weiter als Auftrag, utopistische Ideen in die Welt zu tragen. Wecker kritisiert die Forderung der grünen Außenministerin Annalena Baerbock nach schweren Waffen für die Ukraine und die Suche des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck nach Energiequellen in anderen Staaten. Um düsteren Gedanken zu entfliehen, sucht Wecker Zuflucht in Italien.
Herr Wecker, wie geht es Ihnen in dieser Zeit, wenn Krieg so nah ist? Für einen alten Pazifisten wie mich ist es natürlich erschreckend zu erleben, was in den letzten Monaten passiert ist. Auch, welche Wandlung die grüne Politik durchmacht und die Sprache in den Medien. Das ist furchtbar und macht mir wirklich Angst.
Sie sind in einem pazifistischen Elternhaus groß geworden und haben Ihr Leben dem Frieden gewidmet. Und jetzt? Ist die Idee gescheitert?
Nein, und ich denke auch nicht daran, von meinen Grundideen abzuweichen. Klar wird jetzt immer die Frage aufgeworfen, ob Pazifismus in diesen Zeiten etwas bringt, weil man jetzt ja kriegerisch denken muss, wie viele fordern. Die Frage, die ich mir stelle, lautet aber: Warum ist der Menschheit noch nicht einmal annähernd gelungen, Frieden ohne Waffen zu schaffen?
Versuche dazu gab es…
Klar, einzelne Menschen haben es immer wieder geschafft. Es gab auch in den letzten Jahrzehnten immer wieder gewaltfreien Widerstand. Was mich ein bisschen aufbaut, ist beispielsweise der Gedanke an den Vietnamkrieg. Der ist natürlich auch dadurch beendet worden, dass so viele Soldaten desertiert sind. Es gibt übrigens auch heute eine russische und eine ukrainische pazifistische Bewegung. Aber von denen liest man leider nicht viel.
Mit friedliebender Politik lässt sich akut vielleicht nicht viel ausrichten.
Klar, pazifistische Politik ist immer langfristig ausgelegt. Sie hat nichts weniger im Sinn als einen Bruch mit dem Grundmuster der kriegerischen Politik. Ich als Künstler empfinde es als Auftrag, wie in meinem letzten Programm „Utopia“weiter utopistische Ideen in die Welt zu tragen. Und ich bleibe dabei: Die pazifistische Idee darf nicht sterben!
Hätten Sie Wladimir Putin und Russland so eine brutale militärische Attacke zugetraut?
Nein, aber andererseits hätte man einem wie Putin immer alles zutrauen können. Als alter Anarcho bestand bei mir nie die Gefahr, dass ich ein Putin-Freund gewesen wäre. Mein ganzer Kampf geht ja gegen die Herrschaft. In dem deutschen Wort Herrschaft steckt das Wort Herr drin. Es waren ja die Mannsbilder von Caligula bis Putin, die der Menschheit diese Suppe immer wieder einbrockten. Ich meine: Der Mensch braucht keinen Herrscher. Denn die waren in der Geschichte meistens schlechter als jene, die sie beherrscht haben.
Aber es hat sich doch in den letzten Jahren in dieser Hinsicht bei uns gesellschaftlich einiges zum Positiven entwickelt. Frauen haben eine Teilhabe an der Macht gewonnen.
Das stimmt. Ich komme, geboren 1947, aus einer Macho-Generation, die den Feminismus erst lernen musste. Aber in der Tat hat sich zuletzt etwas getan. Ich sehe es bei meinen Söhnen, wie ungeheuer gleichberechtigt die denken. Das sind keine Machos mehr. Die Themen gleichwertiger Umgang mit Frauen oder auch Homosexualität sind da selbstverständlich. Da sehe ich aber durch die neue kriegerische Sprachentwicklung eine große Gefahr für die spannende emanzipatorische Bewegung, die wir in den letzten Jahrzehnten erleben konnten.
Selbst eine grüne Ministerin wie Annalena Baerbock fordert schwere Waffen für die Ukraine. Woher kommt das Bedürfnis, in diesem Krieg mitmischen zu müssen? Einfach, weil es die Sehnsucht nach Anerkennung und Macht ist. Ich war ja befreundet mit Petra Kelly. Wenn eine wirklich grün war, war es die Petra. Der ging es nicht um Macht. Aber beispielsweise der Kniefall von Robert Habeck in Katar ist ja unglaublich. Plötzlich ist es in Ordnung, von solchen Ländern Gas zu beziehen. Da wird gar nicht gefragt, wie putinesk die Staaten sind. Ich glaube, das hat bei Baerbock und Habeck alles mit dieser schrecklichen Verbundenheit mit Macht zu tun.
Sie sind ja auch gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Befürworter sagen, man muss die Waffen zur Selbstverteidigung liefern. Was sagen Sie denen?
Das ist nichts Neues. Das ging schon früh los, als das Konzil beschlossen hat, dass es einen gerechten Krieg gibt. Jesus von Nazareth wollte einen weltumspannenden pazifistischen Weg gehen, der dann von der Kirche quasi einkassiert wurde. Auch in der Ukraine gab es Menschen, die ohne Waffen auf die russischen Aggressoren zugegangen sind. Die sind dann teilweise sogar umgedreht. Also die Frage ist auch hier, nur weil der pazifistische Weg nie eingeschlagen wird, heißt es nicht, dass er falsch ist. Was wäre denn gewesen, wenn man versucht hätte, sich Putins Truppen ohne Waffen zu stellen?
Keine Ahnung…
Diese Idee wird immer als naiv verlacht, weil es heißt, es hat ja nie geklappt. Aber denken wir an Gandhi. Es wird nur zu selten versucht. Aber es wird eines Tages versucht werden müssen, denn wenn die Menschheit so kriegerisch bleibt, wird sie zugrunde gehen.
Wo soll der Krieg in der Ukraine Ihrer Meinung nach enden?
Die größte Gefahr ist, dass es weiter eskaliert. Dann fällt mir auch nichts mehr ein. Ich kann derzeit nur so viel sagen: So wie ich als klassischer Kriegsdienstverweigerer mich immer versagt habe, für andere in einen Krieg zu ziehen, so sollten es alle tun. Denn die Militaristen schicken immer andere für sich in den Krieg.
Auch Frau Baerbock zieht nicht persönlich in den Krieg.
In Ihrem Lied „Der Krieg“gibt es die Zeile „Wir müssen sehen, wie wir den Gewalten widerstehen“. Wo sehen Sie Ihre Aufgabe in dem Gesamtkontext?
Mein Beruf ist die Kunst, ich will meine Ideen des Pazifismus über die Kunst in die Welt hineintragen.
Aber wer sagt das Putin?
Die Westmächte haben wohl genau gewusst, was für ein Typ der Putin ist. Man hätte aber wohl noch viel früher, schon zu Zeiten von Gorbatschow, das Verhältnis zu Russland besser stabilisieren müssen. Der Putin ist doch ein psychisch Gestörter! Wie kann so einer nachts nur eine Minute schlafen, wenn ihm klar ist, welches unglaubliche Leid er in die Welt gesetzt hat?
Wie schützen Sie sich vor der depressiven Wucht solcher brutalen Kriegsbilder?
Indem ich mich gerade sehr viel mit wunderbaren utopistischen und pazifistischen Denkerinnen und Denkern beschäftige. Ich habe in meiner Bibliothek in Italien ein kleines Büchlein aus dem Jahr 2003 wiederentdeckt. Das heißt: „Gewaltloser Widerstand gegen den Nationalsozialismus und seine Bedeutung für heute“. Das ist ein echt spannendes Buch. Ich kann also sagen: Mich schützen die Literatur und die Kunst und die Beschäftigung mit Idealen.
Das heißt, Sie blenden die Welt in solchen Momenten aus, um sich eigene Schutzräume zu schaffen?
Ja, das ist die eine Seite. Es ist aber auch immer wieder die philosophische Frage: Ist die uns vorgegaukelte Realität die Wirklichkeit? Oder gibt es nicht eine viel tiefere Wirklichkeit. Die Realität um uns wird doch gemacht. All die Bilder, die uns gezeigt werden. Faschismus konnte sich nur durch solche Mythen so entwickeln. Und was sind die Mythen von heute? Fake News! Ich denke, da müssen wir höllisch aufpassen. Jeder kennt inzwischen Leute, die durch Fake News verblendet worden sind.
Wohl wahr.
Es gibt übrigens eine Rede von Hitler im Bürgerbräukeller, in der er ganz deutlich sagt: Natürlich wollen wir mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen. Aber dann werden wir die Demokratie abschaffen. Überlegen Sie mal, was passiert, wenn eine wie Marine Le Pen in Frankreich an die Macht käme?
Was sagen Sie Leuten, die ätzen: Der Wecker ist doch naiv mit seinem Pazifismus!
Natürlich bin ich das. Ich habe auch in meinem Lied „Utopia“gesagt: Nennt mich gerne einen Spinner! Ja, aber wir brauchen diese Naivität. Das ist doch kein Schimpfwort. Alle Kriege sind durchdacht, aber da ist mir doch jeder Naive lieber als ein George Bush oder ein Putin.
Weil naive Menschen freundliche, intrigenfreie Menschen sind?
Ich mag die Zerbrechlichen. Ich mag keine perfekten Menschen. Das sind immer die, die sich ein Weltbild geschaffen haben und sich das überstülpen wie einen Panzer – ob das nun perfekte Manager oder Generale sind. Ich habe mich immer mit den Versagern und Zerbrechlichen unterhalten. Die lügen einen nicht an. Der perfekte Mensch ist nur seine eigene Kulisse. Und immer, wenn ich gefragt werde, erzähle ich beispielsweise werdenden Eltern: Zeigt euren Kindern, dass sie nicht die Besten sein müssen, dass sie nicht Sieger sein müssen.
Sie selbst werden im Juni 75 und haben, sagen wir es diplomatisch, einen aufregenden Lebenswandel gehabt. Wie geht es Ihnen heute gesundheitlich?
Gesundheitlich geht es mir erstaunlich gut. Das ist wohl ein kleines Wunder. Wahrscheinlich habe ich Glück mit meinen Genen. Psychisch belastet mich der Krieg schon sehr. Ich habe zudem nicht geglaubt, dass es bei mir so eine Wandlung bewirkt, durch Corona so wenig spielen zu können. Denn ich merke schon, dass das Zusammensein mit meinem Publikum mich sehr bereichert hat. Ich bin seit einem halben Jahrhundert wenigstens 100 Konzerte pro Jahr auf der Bühne gestanden. Das ist schon erstaunlich, weil es mir eine Zeit lang gar nicht gut gegangen ist. Aber auf der Bühne ging es mir halt besser.
Wer so konditioniert ist, muss ja Bühnenentzugserscheinungen gehabt haben, oder?
Ja, also auch körperlich. Ich mache ja keinen Sport, walke höchstens ein bisschen. Aber ich habe gemerkt, dass die Fitness, die man durch eine Tournee automatisch gewinnt, weil man da sicherlich 10 000 Schritte macht, mir schon fehlt.
Aber Sie haben keinen Schrittzähler dabei?
Nein, nein.
Was machen Sie mit 75 anders als mit 25?
Na ja, mit 25 war ich ständig mit meinem Ego beschäftigt. Da war ich aktiver und fitter. Aber ich finde es auch spannend zu sehen, wie man im Alter zu seinem Kern durchdringen kann. Und da unterscheide ich zwischen Selbst und Ego. Das Ego wechselt man im Laufe seines Lebens. Aber in der Tiefe unseres Selbst sind wir immer gleich. Und heute geht es für mich darum, dieses Selbst zu entdecken. Wir müssen viel mehr lernen, im Augenblick zu sein und nicht dauernd übers Gestern und Morgen nachzudenken. Könnte sein, dass das im Alter besser gelingt. Es geht also letztendlich um die Frage: Wer bin ich?
Die ist nicht einfach zu beantworten. Leichter ist die Frage: Feiern Sie Ihren Geburtstag?
Ja, ich hoffe, dass beispielsweise mein jüngerer Sohn aus Leipzig, wo er studiert, kommen kann. Wenn, dann feiere ich mit ein paar engen Freunden im familiären Keis. Eine Sause, wie einen Monat lang auf Mallorca zechen, wird es jedenfalls nicht. Und ich freue mich übrigens auf das große Geburtstagkonzert am 3. Juli in Kloster Banz. Da sind auch viele Gäste und auch ein Orchester mit dabei.
Was haben Sie sonst noch für Pläne?
In meinem Alter hat man keine ganz großen Pläne mehr. Aber vielleicht kommt ja irgendwann mal ein Opernhaus auf die Idee, aus meinen Liedern so eine Art „Carmina Burana“zu machen.