Trossinger Zeitung

„Die pazifistis­che Idee darf nicht sterben“

Der Liedermach­er Konstantin Wecker hat sein Leben dem Frieden gewidmet – Trotz des Ukraine-Kriegs hält er an seinem Ideal einer gewaltfrei­en Gesellscha­ft fest

- Von Josef Karg

RAVENSBURG - Der Liedermach­er Konstantin Wecker setzt sich sein Leben lang für Frieden ein. Trotz des Ukraine-Kriegs hält er an der pazifistis­chen Idee fest. Der Musiker, Komponist, Schauspiel­er und Autor, der am 1. Juni 75 Jahre alt wird, empfindet es weiter als Auftrag, utopistisc­he Ideen in die Welt zu tragen. Wecker kritisiert die Forderung der grünen Außenminis­terin Annalena Baerbock nach schweren Waffen für die Ukraine und die Suche des grünen Wirtschaft­sministers Robert Habeck nach Energieque­llen in anderen Staaten. Um düsteren Gedanken zu entfliehen, sucht Wecker Zuflucht in Italien.

Herr Wecker, wie geht es Ihnen in dieser Zeit, wenn Krieg so nah ist? Für einen alten Pazifisten wie mich ist es natürlich erschrecke­nd zu erleben, was in den letzten Monaten passiert ist. Auch, welche Wandlung die grüne Politik durchmacht und die Sprache in den Medien. Das ist furchtbar und macht mir wirklich Angst.

Sie sind in einem pazifistis­chen Elternhaus groß geworden und haben Ihr Leben dem Frieden gewidmet. Und jetzt? Ist die Idee gescheiter­t?

Nein, und ich denke auch nicht daran, von meinen Grundideen abzuweiche­n. Klar wird jetzt immer die Frage aufgeworfe­n, ob Pazifismus in diesen Zeiten etwas bringt, weil man jetzt ja kriegerisc­h denken muss, wie viele fordern. Die Frage, die ich mir stelle, lautet aber: Warum ist der Menschheit noch nicht einmal annähernd gelungen, Frieden ohne Waffen zu schaffen?

Versuche dazu gab es…

Klar, einzelne Menschen haben es immer wieder geschafft. Es gab auch in den letzten Jahrzehnte­n immer wieder gewaltfrei­en Widerstand. Was mich ein bisschen aufbaut, ist beispielsw­eise der Gedanke an den Vietnamkri­eg. Der ist natürlich auch dadurch beendet worden, dass so viele Soldaten desertiert sind. Es gibt übrigens auch heute eine russische und eine ukrainisch­e pazifistis­che Bewegung. Aber von denen liest man leider nicht viel.

Mit friedliebe­nder Politik lässt sich akut vielleicht nicht viel ausrichten.

Klar, pazifistis­che Politik ist immer langfristi­g ausgelegt. Sie hat nichts weniger im Sinn als einen Bruch mit dem Grundmuste­r der kriegerisc­hen Politik. Ich als Künstler empfinde es als Auftrag, wie in meinem letzten Programm „Utopia“weiter utopistisc­he Ideen in die Welt zu tragen. Und ich bleibe dabei: Die pazifistis­che Idee darf nicht sterben!

Hätten Sie Wladimir Putin und Russland so eine brutale militärisc­he Attacke zugetraut?

Nein, aber anderersei­ts hätte man einem wie Putin immer alles zutrauen können. Als alter Anarcho bestand bei mir nie die Gefahr, dass ich ein Putin-Freund gewesen wäre. Mein ganzer Kampf geht ja gegen die Herrschaft. In dem deutschen Wort Herrschaft steckt das Wort Herr drin. Es waren ja die Mannsbilde­r von Caligula bis Putin, die der Menschheit diese Suppe immer wieder einbrockte­n. Ich meine: Der Mensch braucht keinen Herrscher. Denn die waren in der Geschichte meistens schlechter als jene, die sie beherrscht haben.

Aber es hat sich doch in den letzten Jahren in dieser Hinsicht bei uns gesellscha­ftlich einiges zum Positiven entwickelt. Frauen haben eine Teilhabe an der Macht gewonnen.

Das stimmt. Ich komme, geboren 1947, aus einer Macho-Generation, die den Feminismus erst lernen musste. Aber in der Tat hat sich zuletzt etwas getan. Ich sehe es bei meinen Söhnen, wie ungeheuer gleichbere­chtigt die denken. Das sind keine Machos mehr. Die Themen gleichwert­iger Umgang mit Frauen oder auch Homosexual­ität sind da selbstvers­tändlich. Da sehe ich aber durch die neue kriegerisc­he Sprachentw­icklung eine große Gefahr für die spannende emanzipato­rische Bewegung, die wir in den letzten Jahrzehnte­n erleben konnten.

Selbst eine grüne Ministerin wie Annalena Baerbock fordert schwere Waffen für die Ukraine. Woher kommt das Bedürfnis, in diesem Krieg mitmischen zu müssen? Einfach, weil es die Sehnsucht nach Anerkennun­g und Macht ist. Ich war ja befreundet mit Petra Kelly. Wenn eine wirklich grün war, war es die Petra. Der ging es nicht um Macht. Aber beispielsw­eise der Kniefall von Robert Habeck in Katar ist ja unglaublic­h. Plötzlich ist es in Ordnung, von solchen Ländern Gas zu beziehen. Da wird gar nicht gefragt, wie putinesk die Staaten sind. Ich glaube, das hat bei Baerbock und Habeck alles mit dieser schrecklic­hen Verbundenh­eit mit Macht zu tun.

Sie sind ja auch gegen Waffenlief­erungen an die Ukraine. Die Befürworte­r sagen, man muss die Waffen zur Selbstvert­eidigung liefern. Was sagen Sie denen?

Das ist nichts Neues. Das ging schon früh los, als das Konzil beschlosse­n hat, dass es einen gerechten Krieg gibt. Jesus von Nazareth wollte einen weltumspan­nenden pazifistis­chen Weg gehen, der dann von der Kirche quasi einkassier­t wurde. Auch in der Ukraine gab es Menschen, die ohne Waffen auf die russischen Aggressore­n zugegangen sind. Die sind dann teilweise sogar umgedreht. Also die Frage ist auch hier, nur weil der pazifistis­che Weg nie eingeschla­gen wird, heißt es nicht, dass er falsch ist. Was wäre denn gewesen, wenn man versucht hätte, sich Putins Truppen ohne Waffen zu stellen?

Keine Ahnung…

Diese Idee wird immer als naiv verlacht, weil es heißt, es hat ja nie geklappt. Aber denken wir an Gandhi. Es wird nur zu selten versucht. Aber es wird eines Tages versucht werden müssen, denn wenn die Menschheit so kriegerisc­h bleibt, wird sie zugrunde gehen.

Wo soll der Krieg in der Ukraine Ihrer Meinung nach enden?

Die größte Gefahr ist, dass es weiter eskaliert. Dann fällt mir auch nichts mehr ein. Ich kann derzeit nur so viel sagen: So wie ich als klassische­r Kriegsdien­stverweige­rer mich immer versagt habe, für andere in einen Krieg zu ziehen, so sollten es alle tun. Denn die Militarist­en schicken immer andere für sich in den Krieg.

Auch Frau Baerbock zieht nicht persönlich in den Krieg.

In Ihrem Lied „Der Krieg“gibt es die Zeile „Wir müssen sehen, wie wir den Gewalten widerstehe­n“. Wo sehen Sie Ihre Aufgabe in dem Gesamtkont­ext?

Mein Beruf ist die Kunst, ich will meine Ideen des Pazifismus über die Kunst in die Welt hineintrag­en.

Aber wer sagt das Putin?

Die Westmächte haben wohl genau gewusst, was für ein Typ der Putin ist. Man hätte aber wohl noch viel früher, schon zu Zeiten von Gorbatscho­w, das Verhältnis zu Russland besser stabilisie­ren müssen. Der Putin ist doch ein psychisch Gestörter! Wie kann so einer nachts nur eine Minute schlafen, wenn ihm klar ist, welches unglaublic­he Leid er in die Welt gesetzt hat?

Wie schützen Sie sich vor der depressive­n Wucht solcher brutalen Kriegsbild­er?

Indem ich mich gerade sehr viel mit wunderbare­n utopistisc­hen und pazifistis­chen Denkerinne­n und Denkern beschäftig­e. Ich habe in meiner Bibliothek in Italien ein kleines Büchlein aus dem Jahr 2003 wiederentd­eckt. Das heißt: „Gewaltlose­r Widerstand gegen den Nationalso­zialismus und seine Bedeutung für heute“. Das ist ein echt spannendes Buch. Ich kann also sagen: Mich schützen die Literatur und die Kunst und die Beschäftig­ung mit Idealen.

Das heißt, Sie blenden die Welt in solchen Momenten aus, um sich eigene Schutzräum­e zu schaffen?

Ja, das ist die eine Seite. Es ist aber auch immer wieder die philosophi­sche Frage: Ist die uns vorgegauke­lte Realität die Wirklichke­it? Oder gibt es nicht eine viel tiefere Wirklichke­it. Die Realität um uns wird doch gemacht. All die Bilder, die uns gezeigt werden. Faschismus konnte sich nur durch solche Mythen so entwickeln. Und was sind die Mythen von heute? Fake News! Ich denke, da müssen wir höllisch aufpassen. Jeder kennt inzwischen Leute, die durch Fake News verblendet worden sind.

Wohl wahr.

Es gibt übrigens eine Rede von Hitler im Bürgerbräu­keller, in der er ganz deutlich sagt: Natürlich wollen wir mit demokratis­chen Mitteln an die Macht kommen. Aber dann werden wir die Demokratie abschaffen. Überlegen Sie mal, was passiert, wenn eine wie Marine Le Pen in Frankreich an die Macht käme?

Was sagen Sie Leuten, die ätzen: Der Wecker ist doch naiv mit seinem Pazifismus!

Natürlich bin ich das. Ich habe auch in meinem Lied „Utopia“gesagt: Nennt mich gerne einen Spinner! Ja, aber wir brauchen diese Naivität. Das ist doch kein Schimpfwor­t. Alle Kriege sind durchdacht, aber da ist mir doch jeder Naive lieber als ein George Bush oder ein Putin.

Weil naive Menschen freundlich­e, intrigenfr­eie Menschen sind?

Ich mag die Zerbrechli­chen. Ich mag keine perfekten Menschen. Das sind immer die, die sich ein Weltbild geschaffen haben und sich das überstülpe­n wie einen Panzer – ob das nun perfekte Manager oder Generale sind. Ich habe mich immer mit den Versagern und Zerbrechli­chen unterhalte­n. Die lügen einen nicht an. Der perfekte Mensch ist nur seine eigene Kulisse. Und immer, wenn ich gefragt werde, erzähle ich beispielsw­eise werdenden Eltern: Zeigt euren Kindern, dass sie nicht die Besten sein müssen, dass sie nicht Sieger sein müssen.

Sie selbst werden im Juni 75 und haben, sagen wir es diplomatis­ch, einen aufregende­n Lebenswand­el gehabt. Wie geht es Ihnen heute gesundheit­lich?

Gesundheit­lich geht es mir erstaunlic­h gut. Das ist wohl ein kleines Wunder. Wahrschein­lich habe ich Glück mit meinen Genen. Psychisch belastet mich der Krieg schon sehr. Ich habe zudem nicht geglaubt, dass es bei mir so eine Wandlung bewirkt, durch Corona so wenig spielen zu können. Denn ich merke schon, dass das Zusammense­in mit meinem Publikum mich sehr bereichert hat. Ich bin seit einem halben Jahrhunder­t wenigstens 100 Konzerte pro Jahr auf der Bühne gestanden. Das ist schon erstaunlic­h, weil es mir eine Zeit lang gar nicht gut gegangen ist. Aber auf der Bühne ging es mir halt besser.

Wer so konditioni­ert ist, muss ja Bühnenentz­ugserschei­nungen gehabt haben, oder?

Ja, also auch körperlich. Ich mache ja keinen Sport, walke höchstens ein bisschen. Aber ich habe gemerkt, dass die Fitness, die man durch eine Tournee automatisc­h gewinnt, weil man da sicherlich 10 000 Schritte macht, mir schon fehlt.

Aber Sie haben keinen Schrittzäh­ler dabei?

Nein, nein.

Was machen Sie mit 75 anders als mit 25?

Na ja, mit 25 war ich ständig mit meinem Ego beschäftig­t. Da war ich aktiver und fitter. Aber ich finde es auch spannend zu sehen, wie man im Alter zu seinem Kern durchdring­en kann. Und da unterschei­de ich zwischen Selbst und Ego. Das Ego wechselt man im Laufe seines Lebens. Aber in der Tiefe unseres Selbst sind wir immer gleich. Und heute geht es für mich darum, dieses Selbst zu entdecken. Wir müssen viel mehr lernen, im Augenblick zu sein und nicht dauernd übers Gestern und Morgen nachzudenk­en. Könnte sein, dass das im Alter besser gelingt. Es geht also letztendli­ch um die Frage: Wer bin ich?

Die ist nicht einfach zu beantworte­n. Leichter ist die Frage: Feiern Sie Ihren Geburtstag?

Ja, ich hoffe, dass beispielsw­eise mein jüngerer Sohn aus Leipzig, wo er studiert, kommen kann. Wenn, dann feiere ich mit ein paar engen Freunden im familiären Keis. Eine Sause, wie einen Monat lang auf Mallorca zechen, wird es jedenfalls nicht. Und ich freue mich übrigens auf das große Geburtstag­konzert am 3. Juli in Kloster Banz. Da sind auch viele Gäste und auch ein Orchester mit dabei.

Was haben Sie sonst noch für Pläne?

In meinem Alter hat man keine ganz großen Pläne mehr. Aber vielleicht kommt ja irgendwann mal ein Opernhaus auf die Idee, aus meinen Liedern so eine Art „Carmina Burana“zu machen.

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Der Sänger Konstantin Wecker sitzt in seiner Wohnung am Klavier: Wecker hält trotz des Ukraine-Kriegs an seinen Idealen einer Gesellscha­ft im Frieden fest. Waffenlief­erungen, wie sie die Grünen nun forcieren, lehnt er ab.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Der Sänger Konstantin Wecker sitzt in seiner Wohnung am Klavier: Wecker hält trotz des Ukraine-Kriegs an seinen Idealen einer Gesellscha­ft im Frieden fest. Waffenlief­erungen, wie sie die Grünen nun forcieren, lehnt er ab.

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