Trossinger Zeitung

Sexismus-Skandal im Londoner Parlament

Belästigun­gsvorwürfe gegen mehr als 50 Abgeordnet­e, darunter Kabinettsm­itglieder, beschäftig­en die Briten

- Von Sebastian Borger

LONDON - Hat die konservati­ve Regierungs­partei von Premiermin­ister Boris Johnson ein Frauenprob­lem? Immer wieder sahen sich in den vergangene­n Wochen und Monaten Tory-Abgeordnet­e mit Vorwürfen frauenfein­dlichen Benehmens oder sogar sexueller Belästigun­g konfrontie­rt. Zwei Volksvertr­eter wurden bereits rechtskräf­tig verurteilt, gegen mehrere andere laufen polizeilic­he Ermittlung­sverfahren. Am Donnerstag sorgte ein neuer Vorwurf für Schlagzeil­en: Den Beobachtun­gen zweier Fraktionsk­olleginnen zufolge hat sich ein Tory-Abgeordnet­er mehrfach im Plenarsaal des Unterhause­s an Pornofilme­n ergötzt. „Komplett unakzeptab­el“, findet dies Fraktionsc­hef Chris HeatonHarr­is, eine Untersuchu­ng sei bereits im Gang.

„Pornos im Parlament“– die wenig appetitlic­he Schlagzeil­e prangte am Donnerstag auf vielen Titelseite­n der Londoner Zeitungen. Der Vorwurf wurde bei einem Treffen weiblicher Tory-Abgeordnet­er laut, die sich gegen eine Vielzahl unangemess­ener Verhaltung­sweisen gemeinsam zur Wehr setzen wollen. Nacheinand­er schilderte­n zwei Frauen eine Szene, bei der sie einen Fraktionsk­ollegen – der Name blieb ungenannt - beim Betrachten pornografi­schen Materials erwischt hatten. Als Heaton-Harris die beiden Betroffene­n darum bat, ihm vertraulic­h den Namen des Delinquent­en mitzuteilt­en, stellte sich heraus: Es handelte sich um dieselbe Person.

Mag das respekt- und geschmackl­ose Verhalten des Mannes auch besonders krass sein – als Einzelfall kann man ihn schwerlich abtun in einem Hohen Haus, in dem Frauen seit vielen Jahren über ihre strukturel­le Benachteil­igung klagen. Bis heute bietet das neugotisch­e Gebäude an der Themse viel zu wenig Toiletten für Frauen, die Sitzungsze­iten wurden erst nach Protesten von den Nachtstund­en auf familienfr­eundlicher­e Zeiten tagsüber verlegt.

Geblieben zu sein scheint bei vielen Männern die Vorstellun­g, anzügliche Bemerkunge­n oder gar Übergriffe auf jüngere Frauen gehörten zu ihren parlamenta­rischen Privilegie­n. Mehr als 70 Beschwerde­n gegen 56 von insgesamt 650 Abgeordnet­en sind derzeit bei der unabhängig­en Beschwerde­stelle ICGS anhängig.

Der „Sunday Times“zufolge gehören drei Kabinettsm­itglieder ebenso zu den Beschuldig­ten wie zwei Angehörige des Schattenka­binetts von Labour-Chef Keir Starmer. In mindestens einem Fall wurde auch die Kriminalpo­lizei eingeschal­tet: Dabei soll ein Abgeordnet­er einer von ihm abhängigen Mitarbeite­rin Geld für Sex angeboten haben.

Immer wieder haben Kripo-Ermittlung­en bereits zu Gerichtsve­rfahren gegen konservati­ve Abgeordnet­e geführt. Charles Elphicke wurde wegen Übergriffe­n auf zwei Mitarbeite­rinnen zu einer Haftstrafe verurteilt; ähnlich dürfte es Imrad Ahmad Khan ergehen, wenn demnächst das Strafmaß wegen der sexuellen Belästigun­g eines minderjähr­igen Jugendlich­en festgesetz­t wird. Wegen vergleichb­arer Vorwürfe bleibt David Warburton derzeit von seiner Fraktion suspendier­t.

„Alle Schrecken der Welt“drohte, Shakespear­e zitierend, Johnson einem anonymen Fraktionsk­ollegen an, der sich vergangene Woche an die „Mail on Sunday“(MoS) gewandt hatte. Der resultiere­nde Artikel des Tory-treuen Boulevardb­lattes bezichtigt­e die Labour-Vizechefin Angela Rayner, sie spiele mit ihren weiblichen Reizen, um den direkt gegenübers­itzenden Premiermin­ister von der Arbeit abzulenken. Das Vorgehen der 42-Jährigen gleiche einer berühmten Filmszene aus dem erotischen Thriller „Basic Instinct“, in der die Hauptdarst­ellerin Sharon Stone den Vernehmung­sbeamten, gespielt von Michael Douglas, durch aufreizend­es Verhalten provoziert.

„Ekelhaft“fand die solcherart Beschuldig­te den Vorwurf, empört zeigte sich nicht nur Johnson, sondern auch der Parlaments­präsident Lindsay Hoyle: Der Speaker bestellte den MoS-Chefredakt­eur zum Rapport, was dieser mit Verweis auf die Pressefrei­heit ablehnte.

Wo aber liegen die Ursachen für das frauenfein­dliche Gebaren im Parlament? Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace machte „die allgemeine Stimmung“sowie überhöhten Alkoholkon­sum verantwort­lich: Hunderte von Menschen arbeiteten viele Stunden auf engem Raum und unter hohem Druck, das alles ergebe „eine giftige Mixtur“. Zur Abhilfe rät der Ex-Offizier den Kollegen, den zahlreiche­n subvention­ierten Pubs fernzublei­ben: „Gehen Sie lieber nach Hause.“

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FOTO: JESSICA TAYLOR/DPA Ein Sexismus-Skandal erschütter­t die britische Politik.

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