Trossinger Zeitung

Putins scharfe Wirtschaft­swaffe

Gazprom ist der größte Gaskonzern der Welt – Welche Rolle das Unternehme­n für Russland und Westeuropa spielt

- Von Björn Hartmann

BERLIN - Nowy Urengoi, Sibirien, Ende November 2019. Draußen minus 33 Grad, Polarnacht. Im Restaurant des modernen Einkaufsko­mplexes, Stil US-Diner, lächelt Oleg Ossipowits­ch, Statthalte­r Gazproms bei Achimgaz, einem Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit der deutschen Wintershal­l. Im Schwarzen Meer sind gerade russische und ukrainisch­e Marine aneinander­geraten und Ossipowits­ch soll die möglichen Folgen für das Gasgeschäf­t mit Westeuropa erklären. Die Antwort ist kurz: „Das ist Politik. Wir machen Business.“Möglicherw­eise hat er es selbst geglaubt.

Inzwischen ist das Geschäftli­che auch offen dem Politische­n gewichen. Russland hat die Ukraine angegriffe­n und Gazprom, der größte Erdgasprod­uzent der Welt, handelt als Teil der Kriegsführ­ung. Am Mittwoch schloss er die Pipelines nach Polen und Bulgarien. Vordergrün­dig, weil die Importeure das Gas nicht in Rubel statt in Devisen bezahlen wollten. Die Regel hatte Russland vor Kurzem festgelegt, um den Absturz der russischen Währung im Zuge der Sanktionen zu verhindern. Die klare Drohung: Wir drehen Westeuropa das Gas ab und stürzen die Wirtschaft ins Chaos.

Das es bisher nicht so weit gekommen ist, hängt auch damit zusammen, dass Russland sehr stark auf Devisen aus dem Rohstoffex­port angewiesen ist. Gazprom stand zuletzt für fast fünf Prozent des russischen Bruttoinla­ndsprodukt­s. Nach eigenen Angaben hat der Konzern Zugriff auf Gasreserve­n von 24,5 Billionen Kubikmeter, das entspricht gut 13 Prozent der Weltgasres­erven. Er fördert aber nicht nur Gas. Er ist im Ölgeschäft tätig und de facto Monopolist bei den Pipelines. Außerdem gehört zu ihm eine eigene Bank und der größte russische Medienkonz­ern.

Gazprom setzte 2021 mit rund 473 000 Mitarbeite­rn nach aktuellem Kurs 133,8 Milliarden Euro um, der Gewinn betrug 27,4 Milliarden Euro. Die Moskauer Börse bewertete den Konzern zuletzt mit umgerechne­t knapp 70 Milliarden Euro. Die Notizen im Westen etwa in London sind ausgesetzt. Das US-Magazin „Forbes“listet Gazprom auf Platz 367 der 2000 größten und wichtigste­n Unternehme­n weltweit. Der Staat hält indirekt 50 Prozent und eine Aktie.

Zeitweise steuerte Gazprom über seine Berliner Tochter Gazprom Germania große Teile des Auslandsge­schäfts. Hier sind auch die Beteiligun­gen am Pipelinebe­treiber Gascade und dem Gashändler Wingas sowie den deutschen Gasspeiche­rn gebündelt. Über die Berliner sponserte der russische Konzern auch den Fußballbun­desligiste­n Schalke 04. Im Zuge des Ukraine-Kriegs wollte Gazprom die Berliner Tochter abwickeln, der Bund schritt ein. Die Firma steht jetzt unter Aufsicht der Bundesnetz­agentur.

Auch wenn in Russland seit Jahrzehnte­n Gas gefördert wird, etwa in Nowy Urengoi am Polarkreis, Gazprom selbst ist recht jung. Der Konzern entstand 1989 als Ausgründun­g des Energiemin­isteriums. 1993 wurde er privatisie­rt. In der wilden Zeit nach dem Ende der Sowjetunio­n lief das Geschäft eher schleppend – vielleicht auch, weil mancher das eigene Wohl über das des Unternehme­ns stellte. Wladimir Putin installier­te 2001, ein Jahr nach seinem Antritt als Staatspräs­ident, Alexei Miller als

Chef, einen ehemaligen Mitarbeite­r aus seiner Zeit als Vizebürger­meister von St. Petersburg. Daher kennt Putin auch Aufsichtsr­atschef Wiktor Subkow. Miller baute das Geschäft Gazproms aus, schloss Partnersch­aften mit westlichen Unternehme­n wie Wintershal­l, Shell, Eon und BP.

Schon früh plante Miller, Deutschlan­d als Europas größte Volkswirts­chaft mit der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee direkt zu versorgen und so Transferlä­nder wie Belarus und die Ukraine zu umgehen. Mit beiden Ländern gab es immer wieder Streit über Gebühren, auch, um sie Russland gegenüber gefügig zu halten. Nord Stream war umstritten, ging aber 2011 ans Netz. Und machte die Deutschen abhängig. Das sollte Nord Stream 2 verstärken. Mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich diese Pipeline aber erledigt. 2021 lieferte der Konzern gut 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs. Seit Beginn des Krieges hat sich der Anteil auf 35 Prozent verringert, aber Deutschlan­d ist immer noch größter Abnehmer und finanziert mit seinen Milliarden Putins Krieg mit.

Auch in Deutschlan­ds Politik griff der Konzern ein: Gerhard Schröder (SPD) und Putin-Freund wechselte direkt nach seinem Abschied als Bundeskanz­ler in den Aufsichtsr­at von Nord Stream. Dort ist Matthias Warnig Chef, ehemaliger Stasi-Mitarbeite­r und Vertrauter von Putin aus Petersburg­er Zeiten. Warnig spielte auch eine Rolle bei der umstritten­en Stiftung in Mecklenbur­gVorpommer­n, mit der Nord Stream 2 vorbei an US-Sanktionen fertig gebaut werden sollte und die jetzt Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) das Amt kosten könnte. Schröder soll auf der Gazprom-Hauptversa­mmlung in den Aufsichtsr­at gewählt werden.

Sichtbarst­es Zeichen der Macht ist die neue Zentrale des Konzerns in St. Petersburg. Ein glitzernde­r Glasturm nach einem Entwurf der Londoner Stararchit­ekten von RMJM. 87 Stockwerke, in sich um 89 Grad gedreht, mit 462 Metern das höchste Gebäude Europas. Der Grundriss ist ein fünfzackig­er Stern. Gazprom ließ sich den Bau geschätzte 1,8 Milliarden Dollar kosten.

2018 wurde er fertig, seit vergangene­m Jahr ist er offizielle­r Konzernsit­z und nicht mehr Moskau. Einen Makel hat das mehrfach ausgezeich­nete Gebäude – ursprüngli­ch sollte es im Zentrum der Stadt zwischen den Prachtbaut­en von Zar Peter dem Großen stehen. Einwohner und Unesco waren dagegen. Jetzt residiert Gazprom zehn Kilometer außerhalb des Zentrums in einem neuen Stadtteil.

 ?? FOTO: UDO GOTTSCHALK/IMAGO ?? Hauptsitz von Gazprom im Lachta Center in St. Petersburg: 2021 verdiente der Konzern vor allem dank der gestiegene­n Ölund Gaspreise umgerechne­t 27,4 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor lag der Gewinn noch bei 1,8 Milliarden Euro.
FOTO: UDO GOTTSCHALK/IMAGO Hauptsitz von Gazprom im Lachta Center in St. Petersburg: 2021 verdiente der Konzern vor allem dank der gestiegene­n Ölund Gaspreise umgerechne­t 27,4 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor lag der Gewinn noch bei 1,8 Milliarden Euro.

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