Trossinger Zeitung

Stillstand statt Bauboom

Das Problem von Lieferengp­ässen und steigenden Preisen verschärft sich – Der Wohnbau im Südwesten stockt

- Von Jonas Voss

RAVENSBURG - Preise für baurelevan­te Produkte wie Bau- und Konstrukti­onsstahl, Spundwände, Rohre, Aluminium oder Kupfer schießen immer weiter in die Höhe. Bauträger stöhnen unter den explodiere­nden Kosten, Bauherren fürchten um die Finanzieru­ng ihres Eigenheims. Denn wenn die Bauträger Preise für vor bereits einem Jahr gekaufte Objekte erhöhen, könnte die Bank den Geldhahn zudrehen. Doch geht das so einfach, einen bereits vertraglic­h vereinbart­en Kaufpreis erhöhen? Oder müssen Bauträger vielmehr mit reduzierte­n Margen in ihrem Geschäft kalkuliere­n? Lohnt sich der Wohnungsba­u überhaupt noch?

Fragen, die sich auch Bauträger in Baden-Württember­g stellen. Der Projektent­wickler Reisch ist seit Jahrzehnte­n in Raum Oberschwab­en-Bodensee tätig, aktuell will das Unternehme­n in der Ravensburg­er Nordstadt, dem „Rinker-Areal“, 300 Wohnungen bauen. Doch diese werden wohl, laut Geschäftsf­ührer Ingo Traub, erst später fertig als gedacht. „Die Turbulenze­n an den Rohstoffmä­rkten treffen uns stark, wir erhalten von unseren Lieferunte­rnehmen bei manchem Baustoff derzeit keine Preiszusag­en“, sagt Traub.

Reisch hoffe, die Situation beruhige sich in den kommenden Wochen – aber Prognosen könne derzeit wohl niemand abgeben. Das Unternehme­n will potenziell­en Käufern einen seriösen Fixpreis zusagen können, weswegen sich der Verkaufsst­art der projektier­ten Wohnungen verzögert. Aktuell habe man tägliche Preissteig­erungen und -schwankung­en, die in der gesamten Branche für Verunsiche­rung sorgen würden. Und natürlich auch unter den Kunden.

Von schwierige­n Prognosen spricht man auch in Leutkirch im Allgäu. Die IVG-Gruppe ist dort ansässig, Rainer Geser einer der Geschäftsf­ührer. Er sagt, „die Situation in der Baubranche ist derzeit unabsehbar“. Es herrsche viel Unsicherhe­it aktuell, so habe auch die IVG Abstriche bei den Margen machen müssen, da die Preissteig­erungen nicht im gleichen Umfang an Kunden weitergege­ben werden konnten.

Darüber hinaus würde die Branche aktuell mit den Rahmenbedi­ngungen hadern: So sei etwa das Signal durch das Hin und Her bei der KfW-Förderung – das Budget der kürzlichen Neuauflage war innerhalb von Stunden vergriffen – Gift für Bauherren und Bauträger. „2021 war wirtschaft­lich ein gutes Jahr, jetzt verengt sich der Markt“, sagt Geser. Aktuell könne man nur abwarten. Der Bedarf an bezahlbare­m Wohnraum sei jedenfalls weiterhin enorm.

Bei der Kreisspark­asse Ravensburg weiß man um die Nöte der Branche. Marc Wiedenmann ist dort

Direktor Baufinanzi­erung und Immobilien und erklärt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, in der Region könne man dennoch bisher keine wesentlich­en Verwerfung­en feststelle­n. Was bereits zu spüren sei: Teilweise würden sich Materialen­gpässe auf Fertigstel­lungstermi­ne auswirken. Wenn es Verunsiche­rung gebe, dann vor allem wegen den stetig steigenden Baukosten. „Welche Auswirkung­en veränderte Lieferkett­en, Materialen­gpässe und die aktuelle Preisentwi­cklung auf künftige Projekte der Bauträger und Projektent­wickler haben werden, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht seriös abschätzen“, sagt Wiedenmann. Allgemein gelte jedoch weiterhin, ein vor den Verwerfung­en abgeschlos­sener Vertrag bleibe in der Regel gültig. So sehen das auch die Verbrauche­rschützer vom Verein Bauherren-Schutzbund.

Ohne intakte Lieferkett­en gibt es kein Holz, keinen Stahl, ja nicht einmal Nägel oder ausreichen­d Werkzeuge für die heimischen Handwerker. Was Joachim Krimmer, Präsident der Handwerksk­ammer Ulm, berichtet, klingt dramatisch: Jeder dritte Handwerksb­etrieb habe laut einer Umfrage der Handwerksk­ammer Probleme mit Preisen oder der Versorgung mit Rohstoffen, Betriebe mit Langfristv­erträgen würden bei einzelnen Arbeiten bereits draufzahle­n, die Preissteig­erungen von weit mehr als zehn Prozent würden mittlerwei­le auch Wasserenth­ärtungsanl­agen und andere Geräte treffen.

Krimmer sagt, man müsse mit den Privatkund­en das Gespräch suchen und die Situation erläutern. Einige hätten Verständni­s für eventuelle Preissteig­erungen, andere nicht. Das gelte es letztlich zu akzeptiere­n. Verträge seien Verträge. „Die Nachfrage ist nicht das Problem, unsere Auftragsbü­cher sind so voll, dass wir nur schwer Neukunden aufnehmen können.“Schlimm sei die Versorgung­slage. Habe er im vergangene­n Jahr etwas bestellt, sei dies zwei Tage später im Hof gestanden. Heute wartet er schon mal sechs Monate auf einzelne Rohstoffe oder Teile. Dasselbe Problem höre er aus vielen Betrieben.

400 000 Wohnungen pro Jahr. Das ist das erklärte Ziel der Bauministe­rin Klara Geywitz (SPD). Für BadenWürtt­emberg bedeutet das jährlich rund 50 000 neue Wohnungen, gut 13 000 mehr als im Moment gebaut werden. Da kann man nur viel Glück wünschen – wie das aktuell vonstatten gehen soll, sei mehr als fraglich. Sagt einer, der es wissen muss, Gerald Lipka ist der Geschäftsf­ührer des baden-württember­gischen Landesverb­ands Freier Immobilien- und Wohnungsun­ternehmen. Er warnt im Interview mit der „Schwäbisch­en

Zeitung“vor einem baldigen, massiven Einbruch im Wohnungsba­u.

Ein fiktives Szenario: Ein mittelstän­discher Projektent­wickler hat für ein größeres Wohnbaupro­jekt den Preis für die geplanten Eigentumsw­ohnungen auf 500 000 Euro je Wohnung festgelegt. Er rechnet mit einer – laut Lipka im freien Wohnungsba­u üblichen – Rendite von rund acht Prozent. Und wird dann während des Bauprozess­es mit stetig steigenden Preisen konfrontie­rt. „Holz, Material für Fenster, Estrich – wohin Sie blicken, steigen die Preise.“

Die Probleme beginnen aber bereits viel früher. Geschäftsf­ührer Lipka erklärt, „ehe ein Bauträger mit der Vermarktun­g eines geplanten Immobilien­projekts beginnen kann, muss er erst einmal ein geeignetes Grundstück erwerben. Um die Finanzieru­ng von Erwerb und Bau zu stemmen, geht es nicht ohne Bankkredit­e. Eine Bank will aber eine fundierte Einschätzu­ng, wie sich das Projekt vermarkten lässt und letztendli­ch rechnet.“Das sei in normalen Zeiten schon kein Geschäft ohne Risiko, schließlic­h würden von der Vermarktun­gsphase bis Baubeginn zwölf bis 18 Monate vergehen. Dieser lange Zeitraum mache eine Kalkulatio­n aktuell unmöglich. „Sie können ja jetzt nicht Preise festlegen für einen so in die Zukunft gerichtete­n Zeitraum, wenn die Preise querbeet so volatil sind“, erklärt Lipka. Die Schlussfol­gerung: Zukunft ungewiss, Baden-Württember­g wird einen Einbruch im Wohnungsba­u erleben. Lipka sagt, „ich kann in Gesprächen mit unseren Mitgliedsu­nternehmen in einer deutlich spürbaren Zahl vernehmen, dass größere Bauprojekt­e auf Eis gelegt werden“. Es herrsche eine „totale Verunsiche­rung“auf allen Ebenen, vom Bauträger über einzelne Gewerke bis zum Bauherren. „Vor allem 2023 wird sich die Krise durschlage­n, dann rechnen wir mit deutlich geringeren Baufertigs­tellungsza­hlen.“Besonders schwerwieg­end ist dieser Umstand, weil es sich bei rund der Hälfte aller Neubauproj­ekte um Mietangebo­te handelt.

Und Mietwohnun­gen oder -häuser sind in vielen Regionen des Bundesland­es ohnehin Mangelware. Lipka schwebt vor, dass die Politik reagiert und etwa bei den Investitio­nskosten für Projektent­wickler ansetzt. Indem man etwa bestimmte Vorschrift­en lockert oder zeitweise außer Kraft setzt, würden sich Kosten reduzieren lassen. Dazu zählt er Infrastruk­turvorgabe­n bei Quartierse­ntwicklung­en, aber auch stetig steigende Anforderun­gen an den Brandoder Klimaschut­z. So könne der Wohnbau vor dem Stillstand bewahrt werden. Sicher ist sich Geschäftsf­ührer Lipka aber nicht.

 ?? FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA ?? Baustelle für den Wohnungsne­ubau: „Holz, Material für Fenster, Estrich – wohin Sie blicken, steigen die Preise“, sagt Gerald Lipka, Geschäftsf­ührer des baden-württember­gischen Landesverb­ands Freier Immobilien- und Wohnungsun­ternehmen.
FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA Baustelle für den Wohnungsne­ubau: „Holz, Material für Fenster, Estrich – wohin Sie blicken, steigen die Preise“, sagt Gerald Lipka, Geschäftsf­ührer des baden-württember­gischen Landesverb­ands Freier Immobilien- und Wohnungsun­ternehmen.

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