Stillstand statt Bauboom
Das Problem von Lieferengpässen und steigenden Preisen verschärft sich – Der Wohnbau im Südwesten stockt
RAVENSBURG - Preise für baurelevante Produkte wie Bau- und Konstruktionsstahl, Spundwände, Rohre, Aluminium oder Kupfer schießen immer weiter in die Höhe. Bauträger stöhnen unter den explodierenden Kosten, Bauherren fürchten um die Finanzierung ihres Eigenheims. Denn wenn die Bauträger Preise für vor bereits einem Jahr gekaufte Objekte erhöhen, könnte die Bank den Geldhahn zudrehen. Doch geht das so einfach, einen bereits vertraglich vereinbarten Kaufpreis erhöhen? Oder müssen Bauträger vielmehr mit reduzierten Margen in ihrem Geschäft kalkulieren? Lohnt sich der Wohnungsbau überhaupt noch?
Fragen, die sich auch Bauträger in Baden-Württemberg stellen. Der Projektentwickler Reisch ist seit Jahrzehnten in Raum Oberschwaben-Bodensee tätig, aktuell will das Unternehmen in der Ravensburger Nordstadt, dem „Rinker-Areal“, 300 Wohnungen bauen. Doch diese werden wohl, laut Geschäftsführer Ingo Traub, erst später fertig als gedacht. „Die Turbulenzen an den Rohstoffmärkten treffen uns stark, wir erhalten von unseren Lieferunternehmen bei manchem Baustoff derzeit keine Preiszusagen“, sagt Traub.
Reisch hoffe, die Situation beruhige sich in den kommenden Wochen – aber Prognosen könne derzeit wohl niemand abgeben. Das Unternehmen will potenziellen Käufern einen seriösen Fixpreis zusagen können, weswegen sich der Verkaufsstart der projektierten Wohnungen verzögert. Aktuell habe man tägliche Preissteigerungen und -schwankungen, die in der gesamten Branche für Verunsicherung sorgen würden. Und natürlich auch unter den Kunden.
Von schwierigen Prognosen spricht man auch in Leutkirch im Allgäu. Die IVG-Gruppe ist dort ansässig, Rainer Geser einer der Geschäftsführer. Er sagt, „die Situation in der Baubranche ist derzeit unabsehbar“. Es herrsche viel Unsicherheit aktuell, so habe auch die IVG Abstriche bei den Margen machen müssen, da die Preissteigerungen nicht im gleichen Umfang an Kunden weitergegeben werden konnten.
Darüber hinaus würde die Branche aktuell mit den Rahmenbedingungen hadern: So sei etwa das Signal durch das Hin und Her bei der KfW-Förderung – das Budget der kürzlichen Neuauflage war innerhalb von Stunden vergriffen – Gift für Bauherren und Bauträger. „2021 war wirtschaftlich ein gutes Jahr, jetzt verengt sich der Markt“, sagt Geser. Aktuell könne man nur abwarten. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum sei jedenfalls weiterhin enorm.
Bei der Kreissparkasse Ravensburg weiß man um die Nöte der Branche. Marc Wiedenmann ist dort
Direktor Baufinanzierung und Immobilien und erklärt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, in der Region könne man dennoch bisher keine wesentlichen Verwerfungen feststellen. Was bereits zu spüren sei: Teilweise würden sich Materialengpässe auf Fertigstellungstermine auswirken. Wenn es Verunsicherung gebe, dann vor allem wegen den stetig steigenden Baukosten. „Welche Auswirkungen veränderte Lieferketten, Materialengpässe und die aktuelle Preisentwicklung auf künftige Projekte der Bauträger und Projektentwickler haben werden, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht seriös abschätzen“, sagt Wiedenmann. Allgemein gelte jedoch weiterhin, ein vor den Verwerfungen abgeschlossener Vertrag bleibe in der Regel gültig. So sehen das auch die Verbraucherschützer vom Verein Bauherren-Schutzbund.
Ohne intakte Lieferketten gibt es kein Holz, keinen Stahl, ja nicht einmal Nägel oder ausreichend Werkzeuge für die heimischen Handwerker. Was Joachim Krimmer, Präsident der Handwerkskammer Ulm, berichtet, klingt dramatisch: Jeder dritte Handwerksbetrieb habe laut einer Umfrage der Handwerkskammer Probleme mit Preisen oder der Versorgung mit Rohstoffen, Betriebe mit Langfristverträgen würden bei einzelnen Arbeiten bereits draufzahlen, die Preissteigerungen von weit mehr als zehn Prozent würden mittlerweile auch Wasserenthärtungsanlagen und andere Geräte treffen.
Krimmer sagt, man müsse mit den Privatkunden das Gespräch suchen und die Situation erläutern. Einige hätten Verständnis für eventuelle Preissteigerungen, andere nicht. Das gelte es letztlich zu akzeptieren. Verträge seien Verträge. „Die Nachfrage ist nicht das Problem, unsere Auftragsbücher sind so voll, dass wir nur schwer Neukunden aufnehmen können.“Schlimm sei die Versorgungslage. Habe er im vergangenen Jahr etwas bestellt, sei dies zwei Tage später im Hof gestanden. Heute wartet er schon mal sechs Monate auf einzelne Rohstoffe oder Teile. Dasselbe Problem höre er aus vielen Betrieben.
400 000 Wohnungen pro Jahr. Das ist das erklärte Ziel der Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Für BadenWürttemberg bedeutet das jährlich rund 50 000 neue Wohnungen, gut 13 000 mehr als im Moment gebaut werden. Da kann man nur viel Glück wünschen – wie das aktuell vonstatten gehen soll, sei mehr als fraglich. Sagt einer, der es wissen muss, Gerald Lipka ist der Geschäftsführer des baden-württembergischen Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Er warnt im Interview mit der „Schwäbischen
Zeitung“vor einem baldigen, massiven Einbruch im Wohnungsbau.
Ein fiktives Szenario: Ein mittelständischer Projektentwickler hat für ein größeres Wohnbauprojekt den Preis für die geplanten Eigentumswohnungen auf 500 000 Euro je Wohnung festgelegt. Er rechnet mit einer – laut Lipka im freien Wohnungsbau üblichen – Rendite von rund acht Prozent. Und wird dann während des Bauprozesses mit stetig steigenden Preisen konfrontiert. „Holz, Material für Fenster, Estrich – wohin Sie blicken, steigen die Preise.“
Die Probleme beginnen aber bereits viel früher. Geschäftsführer Lipka erklärt, „ehe ein Bauträger mit der Vermarktung eines geplanten Immobilienprojekts beginnen kann, muss er erst einmal ein geeignetes Grundstück erwerben. Um die Finanzierung von Erwerb und Bau zu stemmen, geht es nicht ohne Bankkredite. Eine Bank will aber eine fundierte Einschätzung, wie sich das Projekt vermarkten lässt und letztendlich rechnet.“Das sei in normalen Zeiten schon kein Geschäft ohne Risiko, schließlich würden von der Vermarktungsphase bis Baubeginn zwölf bis 18 Monate vergehen. Dieser lange Zeitraum mache eine Kalkulation aktuell unmöglich. „Sie können ja jetzt nicht Preise festlegen für einen so in die Zukunft gerichteten Zeitraum, wenn die Preise querbeet so volatil sind“, erklärt Lipka. Die Schlussfolgerung: Zukunft ungewiss, Baden-Württemberg wird einen Einbruch im Wohnungsbau erleben. Lipka sagt, „ich kann in Gesprächen mit unseren Mitgliedsunternehmen in einer deutlich spürbaren Zahl vernehmen, dass größere Bauprojekte auf Eis gelegt werden“. Es herrsche eine „totale Verunsicherung“auf allen Ebenen, vom Bauträger über einzelne Gewerke bis zum Bauherren. „Vor allem 2023 wird sich die Krise durschlagen, dann rechnen wir mit deutlich geringeren Baufertigstellungszahlen.“Besonders schwerwiegend ist dieser Umstand, weil es sich bei rund der Hälfte aller Neubauprojekte um Mietangebote handelt.
Und Mietwohnungen oder -häuser sind in vielen Regionen des Bundeslandes ohnehin Mangelware. Lipka schwebt vor, dass die Politik reagiert und etwa bei den Investitionskosten für Projektentwickler ansetzt. Indem man etwa bestimmte Vorschriften lockert oder zeitweise außer Kraft setzt, würden sich Kosten reduzieren lassen. Dazu zählt er Infrastrukturvorgaben bei Quartiersentwicklungen, aber auch stetig steigende Anforderungen an den Brandoder Klimaschutz. So könne der Wohnbau vor dem Stillstand bewahrt werden. Sicher ist sich Geschäftsführer Lipka aber nicht.