Yoga und Jodeln? Doch, das geht!
Schallen beim Alm-Jodl-Walk freudige Jauchzer durchs Tal, hat in Gastein der Yogafrühling begonnen
Bänder und Becken müssen unverkrampft sein. Sind die Stimmbänder nicht locker, steigt der Jodler nicht klar und frei zum Himmel hinauf. Also: Einen tiefen Ton summen, mit den Händen leicht auf die Brust klopfen, den Ton schwingen lassen und dann – und das ist nach dieser Vorarbeit nicht schwierig – laut lachen. Auch die Körpermitte muss schwingen. „Wir brauchen ein lockeres Becken“, mahnt Jodl-Instruktorin und Yogalehrerin Johma, die in vollem Zug Johanna Magdalena Haslinger heißt und in Linz zu Hause ist. Folgsam wippen alle in den Hüften; zum Glück ist das Tal menschenleer. Und: Ein Jodler dürfe nicht geschrien werden – das schade den Stimmbändern –, sondern müsse rufend aus dem Bauch kommen: „Je schmutziger, desto schöner.“A und O bilden tiefe Töne, U und I schicke man in die Höhe. Text braucht es nicht zum Jodeln, Konsonanten und Vokale dienen einzig dem Transport der Töne. Schon geht es los, locker aus Hüfte, Bauch und Kehle: „Trie ho do re-i du jo“, jodeln die sechs Deutschen und zwei Österreicherinnen, die an diesem Morgen zum Alm-Jodl-Walk die Gasteiner Alpenstraße nach Sportgastein am Rand des Nationalparks Hohe Tauern genommen haben.
Jodeln setze Glückshormone frei und verleihe Energie, hatte Johma versprochen. Sie muss es wissen, denn zu ihrer Vita gehören neben Yoga-Expertise auch Gesangsunterricht, Studien samischer Gesänge und Jodelerfahrung. Umgekehrt lässt sich Glück durch Jodeln gut ventilieren. Sie selbst begann spontan mit dem Jodeln, als sie an einem perfekten Tag über Dorfgastein ins Tal blickte. „Die Emotion musste raus“, sagt sie. Auch heute ist ein solcher Tag. Und so jubeln ihre Elevinnen bald freudig und zweistimmig: „Trie ho da re-i hul jo!“Dabei versuchen sie sich an einer dem Schuhplattler verwandten Choreografie. Die motorischen Aufgaben verstärken die Heiterkeit. Neben ihnen plätschert munter ein Gebirgsbach, oben wölbt sich zartblauer Himmel, der nach einer Kommentierung geradezu verlangt: „Jo-vi, Jo-vi - i diri i - jo-vi, jo-vi, i!“Es scheint, als befördere das Panorama ganz natürlich den Jodler, und bald kann sich keine der Neujodlerinnen mehr vorstellen, einen Sonnentag stimmlos zu begrüßen – zumal einen in den Bergen.
Seit acht Jahren finden mit dem Yogaherbst im Oktober und dem Yogafrühling im Mai im Gasteiner Tal die womöglich größten offenen Yoga-Veranstaltungen Europas statt. Im
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Herbst ist das Programm meditationslastiger, um die Teilnehmer mental gestärkt in den Winter zu entlassen. Im Frühling, der in den Bergen erst Ende Mai wirklich beginnt, ist es dynamischer. 400 Einheiten von Waldbaden über Hatha Yoga und Stressmanagement bis zu Meditation bei 40 Lehrern stehen zur Wahl, dazu Vorträge und Workshops. Die Schauplätze liegen auf Gipfeln, im Wald, im Kurpark in Bad Hofgastein, in Sportgastein im Nationalpark Hohe Tauern sowie in einem guten Dutzend Hotels, was bei schlechtem Wetter nützlich ist. Ansonsten aber stehen Kraftplätze im Mittelpunkt. Wenngleich sich Bergpanoramen nicht zuverlässig in Muskelkraft umwandeln lassen, vermitteln sie doch mehr Freude als der Blick in den Geräteraum in der heimischen Turnhalle. Auf der Yogaplattform Schlossalm lässt sich unter tiefblauem Himmel und bei klarster Fernsicht vieles vergessen: die Erschöpfungen bei Dreieck und Sonnengruß ebenso wie der eisige Bergwind, der beim hinabschauenden Hund jäh unter die Oberbekleidung und den Rücken hinauf fährt.
Lange vor dem Yoga lockten Gold- und Silberminen Fremde ins Gasteiner Tal – und Wasser. Die fünf Millionen Liter Wasser, die Tag für
Tag aus achtzehn heißen Thermalquellen sprudeln, machten das auf 1000 Meter gelegene Bad Gastein früh zum gefragten Urlaubsziel. Schon im Mittelalter leistete sich mancher eine mehrwöchige Badekur. Das benachbarte Bad Hofgastein, das von Kaiser Franz I. im Jahr 1828 die Erlaubnis zum Bau einer Leitung erhielt und so ab 1830 am Thermalwasser-Reichtum teilhaben konnte, begrüßt seither ebenfalls zahlreiche Gäste. Die Mutter Mozarts verbrachte in Gastein 95 Stunden im Bad, um nach zwei Fehlgeburten doch noch Kinder bekommen zu können. Später kurten hier so unterschiedliche Gäste wie Kaiserin Sisi,
Kaiser Wilhelm I., Sir Arthur Conan Doyle sowie Thomas und Heinrich Mann. Gustav Klimt malte, der Schah von Persien lernte Skifahren, Luis Trenker feierte seinen 90. Geburtstag, Billy Wilder hofierte Produzenten, Liza Minelli, Ray Charles und Shirley Bassey traten auf, Hugh Grant aß jeden Tag mit seinen Kindern Spaghetti mit Tomatensoße und Wim Wenders kommt zum
Schreiben hierher. Obwohl Bad Gastein mit seinen mehrstöckigen Häusern aussieht wie eine zwischen Steilhängen in die Höhe gestapelte Stadt, wohnen hier nur knapp 4000 Menschen. Man kennt einander und weder Präsenz noch Ernährungsgewohnheiten Prominenter bleiben lange ein Geheimnis.
Durch die Untätigkeit eines Investors, der früh im Jahrtausend fünf historische Bauten im Herzen Bad Gasteins erwarb und dann verfallen ließ, hatte das Wolkenkratzerdorf zuletzt auch morbides Flair entwickelt. Mit der Hirmer-Gruppe, einem deutschen Modeunternehmen mit Immobilien- und Hotelsparte, fand sich schließlich ein Investor, dessen Plänen auch Baukräne folgten. Sie sollen die Ruinen in gehobene Hotels verwandeln. Yogafans ließen sich indes auch von maroder Bausubstanz nicht schrecken. Der Wasserfall, der neben dem verlassenen und 2013 durch Brandstiftung beschädigten Hotel Badeschloss – einst die bevorzugte Adresse von Kaiser Wilhelm I. – durchs Dorf donnert und an dem Sisi bei ihren sechs Aufenthalten in Bad Gastein oft nächtens sinnend stand, zählt zu den Schauplätzen der Yogastunden.
Bald schon begegnet man einander wieder. Wer morgens in Sportgastein
jodelte, findet später auch den Weg zum Waldbad im Angertal. Viele reichern mit den Yoga- und Meditationseinheiten einen Wanderurlaub an, andere kommen eigens wegen des Yogas. „Es ist mega“, sagt eine Sozialarbeiterin aus Deutschland, die jeden Tag zwei Einheiten gebucht hat. Yoga auf dem Berg sei zwar am Morgen saukalt, aber mit drei Hosen übereinander einfach toll. Beim Waldbad sollen die Teilnehmer auf 1200 Meter Höhe das Naturerlebnis intensivieren und Entspannungstipps für den Alltag zu Hause erhalten.
Auch Johma ist dabei. Zusammen mit Stefan Wildling, der im Tourismusbüro tätig ist und sich seit Längerem mit Waldbaden beschäftigt, leitet sie den entspannenden Spaziergang durch den Wald. Um Höhenmeter oder Entfernung gehe es hier nicht, erklärt Stefan. „Entschleunigung, Ruhe, Langsamkeit – das alles haben wir verlernt“, sagt er. „Waldbaden ist ein Gegengift zum digitalisierten, stressigen Alltag.“Mit allen Sinnen und ganzer Aufmerksamkeit in den Wald einzutauchen, steigere sofort das Wohlbefinden. Waldluft rege das Immunsystem an, senke Puls, Blutdruck und Stresslevel.
Neben einem Gebirgsbach führt er sein Grüppchen in den Wald. Sonnenstrahlen fallen durchs Blätterdach. Die leichte Bewaldung vermittelt ein Gefühl von Schutz, das Plätschern des Wassers und das Grün der Bäume signalisieren günstige Lebensbedingungen. „Das sorgt für instinktives Wohlbefinden, der Geist kommt zur Ruhe“, so Stefan. Die Waldbadenden schließen die Augen und lauschen den Geräuschen der Natur. Sie schnuppern an struppigen Fichtenzweiglein und fassen Äste und Steine an. Wie kleine Kinder solle man im Wald auch mit den Händen schauen, das erhöhe die Aufmerksamkeit, erklärt Stefan. Johma flicht zwischendurch Atemübungen ein. Schließlich erreicht die Gruppe eine Lichtung. Nun heißt es Tuchfühlung aufnehmen mit dem Wald: Jeder sucht sich einen Baum, berührt ihn oder lehnt sich an den Stamm. Fast ist es noch einen Jodler wert.