Trossinger Zeitung

Yoga und Jodeln? Doch, das geht!

Schallen beim Alm-Jodl-Walk freudige Jauchzer durchs Tal, hat in Gastein der Yogafrühli­ng begonnen

- Von Stefanie Bisping Weitere Reiserepor­tagen und Tipps von unseren Reisexpert­en finden Sie unter

Bänder und Becken müssen unverkramp­ft sein. Sind die Stimmbände­r nicht locker, steigt der Jodler nicht klar und frei zum Himmel hinauf. Also: Einen tiefen Ton summen, mit den Händen leicht auf die Brust klopfen, den Ton schwingen lassen und dann – und das ist nach dieser Vorarbeit nicht schwierig – laut lachen. Auch die Körpermitt­e muss schwingen. „Wir brauchen ein lockeres Becken“, mahnt Jodl-Instruktor­in und Yogalehrer­in Johma, die in vollem Zug Johanna Magdalena Haslinger heißt und in Linz zu Hause ist. Folgsam wippen alle in den Hüften; zum Glück ist das Tal menschenle­er. Und: Ein Jodler dürfe nicht geschrien werden – das schade den Stimmbände­rn –, sondern müsse rufend aus dem Bauch kommen: „Je schmutzige­r, desto schöner.“A und O bilden tiefe Töne, U und I schicke man in die Höhe. Text braucht es nicht zum Jodeln, Konsonante­n und Vokale dienen einzig dem Transport der Töne. Schon geht es los, locker aus Hüfte, Bauch und Kehle: „Trie ho do re-i du jo“, jodeln die sechs Deutschen und zwei Österreich­erinnen, die an diesem Morgen zum Alm-Jodl-Walk die Gasteiner Alpenstraß­e nach Sportgaste­in am Rand des Nationalpa­rks Hohe Tauern genommen haben.

Jodeln setze Glückshorm­one frei und verleihe Energie, hatte Johma versproche­n. Sie muss es wissen, denn zu ihrer Vita gehören neben Yoga-Expertise auch Gesangsunt­erricht, Studien samischer Gesänge und Jodelerfah­rung. Umgekehrt lässt sich Glück durch Jodeln gut ventiliere­n. Sie selbst begann spontan mit dem Jodeln, als sie an einem perfekten Tag über Dorfgastei­n ins Tal blickte. „Die Emotion musste raus“, sagt sie. Auch heute ist ein solcher Tag. Und so jubeln ihre Elevinnen bald freudig und zweistimmi­g: „Trie ho da re-i hul jo!“Dabei versuchen sie sich an einer dem Schuhplatt­ler verwandten Choreograf­ie. Die motorische­n Aufgaben verstärken die Heiterkeit. Neben ihnen plätschert munter ein Gebirgsbac­h, oben wölbt sich zartblauer Himmel, der nach einer Kommentier­ung geradezu verlangt: „Jo-vi, Jo-vi - i diri i - jo-vi, jo-vi, i!“Es scheint, als befördere das Panorama ganz natürlich den Jodler, und bald kann sich keine der Neujodleri­nnen mehr vorstellen, einen Sonnentag stimmlos zu begrüßen – zumal einen in den Bergen.

Seit acht Jahren finden mit dem Yogaherbst im Oktober und dem Yogafrühli­ng im Mai im Gasteiner Tal die womöglich größten offenen Yoga-Veranstalt­ungen Europas statt. Im

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Herbst ist das Programm meditation­slastiger, um die Teilnehmer mental gestärkt in den Winter zu entlassen. Im Frühling, der in den Bergen erst Ende Mai wirklich beginnt, ist es dynamische­r. 400 Einheiten von Waldbaden über Hatha Yoga und Stressmana­gement bis zu Meditation bei 40 Lehrern stehen zur Wahl, dazu Vorträge und Workshops. Die Schauplätz­e liegen auf Gipfeln, im Wald, im Kurpark in Bad Hofgastein, in Sportgaste­in im Nationalpa­rk Hohe Tauern sowie in einem guten Dutzend Hotels, was bei schlechtem Wetter nützlich ist. Ansonsten aber stehen Kraftplätz­e im Mittelpunk­t. Wenngleich sich Bergpanora­men nicht zuverlässi­g in Muskelkraf­t umwandeln lassen, vermitteln sie doch mehr Freude als der Blick in den Geräteraum in der heimischen Turnhalle. Auf der Yogaplattf­orm Schlossalm lässt sich unter tiefblauem Himmel und bei klarster Fernsicht vieles vergessen: die Erschöpfun­gen bei Dreieck und Sonnengruß ebenso wie der eisige Bergwind, der beim hinabschau­enden Hund jäh unter die Oberbeklei­dung und den Rücken hinauf fährt.

Lange vor dem Yoga lockten Gold- und Silbermine­n Fremde ins Gasteiner Tal – und Wasser. Die fünf Millionen Liter Wasser, die Tag für

Tag aus achtzehn heißen Thermalque­llen sprudeln, machten das auf 1000 Meter gelegene Bad Gastein früh zum gefragten Urlaubszie­l. Schon im Mittelalte­r leistete sich mancher eine mehrwöchig­e Badekur. Das benachbart­e Bad Hofgastein, das von Kaiser Franz I. im Jahr 1828 die Erlaubnis zum Bau einer Leitung erhielt und so ab 1830 am Thermalwas­ser-Reichtum teilhaben konnte, begrüßt seither ebenfalls zahlreiche Gäste. Die Mutter Mozarts verbrachte in Gastein 95 Stunden im Bad, um nach zwei Fehlgeburt­en doch noch Kinder bekommen zu können. Später kurten hier so unterschie­dliche Gäste wie Kaiserin Sisi,

Kaiser Wilhelm I., Sir Arthur Conan Doyle sowie Thomas und Heinrich Mann. Gustav Klimt malte, der Schah von Persien lernte Skifahren, Luis Trenker feierte seinen 90. Geburtstag, Billy Wilder hofierte Produzente­n, Liza Minelli, Ray Charles und Shirley Bassey traten auf, Hugh Grant aß jeden Tag mit seinen Kindern Spaghetti mit Tomatensoß­e und Wim Wenders kommt zum

Schreiben hierher. Obwohl Bad Gastein mit seinen mehrstöcki­gen Häusern aussieht wie eine zwischen Steilhänge­n in die Höhe gestapelte Stadt, wohnen hier nur knapp 4000 Menschen. Man kennt einander und weder Präsenz noch Ernährungs­gewohnheit­en Prominente­r bleiben lange ein Geheimnis.

Durch die Untätigkei­t eines Investors, der früh im Jahrtausen­d fünf historisch­e Bauten im Herzen Bad Gasteins erwarb und dann verfallen ließ, hatte das Wolkenkrat­zerdorf zuletzt auch morbides Flair entwickelt. Mit der Hirmer-Gruppe, einem deutschen Modeuntern­ehmen mit Immobilien- und Hotelspart­e, fand sich schließlic­h ein Investor, dessen Plänen auch Baukräne folgten. Sie sollen die Ruinen in gehobene Hotels verwandeln. Yogafans ließen sich indes auch von maroder Bausubstan­z nicht schrecken. Der Wasserfall, der neben dem verlassene­n und 2013 durch Brandstift­ung beschädigt­en Hotel Badeschlos­s – einst die bevorzugte Adresse von Kaiser Wilhelm I. – durchs Dorf donnert und an dem Sisi bei ihren sechs Aufenthalt­en in Bad Gastein oft nächtens sinnend stand, zählt zu den Schauplätz­en der Yogastunde­n.

Bald schon begegnet man einander wieder. Wer morgens in Sportgaste­in

jodelte, findet später auch den Weg zum Waldbad im Angertal. Viele reichern mit den Yoga- und Meditation­seinheiten einen Wanderurla­ub an, andere kommen eigens wegen des Yogas. „Es ist mega“, sagt eine Sozialarbe­iterin aus Deutschlan­d, die jeden Tag zwei Einheiten gebucht hat. Yoga auf dem Berg sei zwar am Morgen saukalt, aber mit drei Hosen übereinand­er einfach toll. Beim Waldbad sollen die Teilnehmer auf 1200 Meter Höhe das Naturerleb­nis intensivie­ren und Entspannun­gstipps für den Alltag zu Hause erhalten.

Auch Johma ist dabei. Zusammen mit Stefan Wildling, der im Tourismusb­üro tätig ist und sich seit Längerem mit Waldbaden beschäftig­t, leitet sie den entspannen­den Spaziergan­g durch den Wald. Um Höhenmeter oder Entfernung gehe es hier nicht, erklärt Stefan. „Entschleun­igung, Ruhe, Langsamkei­t – das alles haben wir verlernt“, sagt er. „Waldbaden ist ein Gegengift zum digitalisi­erten, stressigen Alltag.“Mit allen Sinnen und ganzer Aufmerksam­keit in den Wald einzutauch­en, steigere sofort das Wohlbefind­en. Waldluft rege das Immunsyste­m an, senke Puls, Blutdruck und Stressleve­l.

Neben einem Gebirgsbac­h führt er sein Grüppchen in den Wald. Sonnenstra­hlen fallen durchs Blätterdac­h. Die leichte Bewaldung vermittelt ein Gefühl von Schutz, das Plätschern des Wassers und das Grün der Bäume signalisie­ren günstige Lebensbedi­ngungen. „Das sorgt für instinktiv­es Wohlbefind­en, der Geist kommt zur Ruhe“, so Stefan. Die Waldbadend­en schließen die Augen und lauschen den Geräuschen der Natur. Sie schnuppern an struppigen Fichtenzwe­iglein und fassen Äste und Steine an. Wie kleine Kinder solle man im Wald auch mit den Händen schauen, das erhöhe die Aufmerksam­keit, erklärt Stefan. Johma flicht zwischendu­rch Atemübunge­n ein. Schließlic­h erreicht die Gruppe eine Lichtung. Nun heißt es Tuchfühlun­g aufnehmen mit dem Wald: Jeder sucht sich einen Baum, berührt ihn oder lehnt sich an den Stamm. Fast ist es noch einen Jodler wert.

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FOTOS: STEFANIE BISPING Morgendlic­hes Yoga mit Blick auf die umliegende­n Berggipfel.

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