Die Material-Detektive der Uhlandstraße
Wissenschaftler vom Campus überprüfen Produkte auf Sicherheit und Haltbarkeit
TUTTLINGEN - Ungesehen kommt niemand rein. Personalisierte Schlüsselkarten weisen nach, wer sich Zugang verschafft hat. Schließlich soll nicht jeder sehen, womit man sich im Keller der Uhlandstraße 11 beschäftigt. Beinahe detektivisch überprüfen und bewerten Wissenschaftler dort Materialien und Produkte auf ihre Sicherheit und Haltbarkeit.
Hadi Mozaffari-Jovein ist Leiter von IWAT – dem Institut für Werkstoffe und Anwendungstechnik. „Wir analysieren Rohstoffe, beurteilen Produkte und helfen, diese weiterzuentwickeln“, sagt der Professor, der viel Expertise – acht Doktoranden, was für eine Hochschule enorm ist – und jede Menge hochtechnischer Geräte um sich geschart hat. „Wir können hier alles anbieten, insgesamt sechs Kriterien überwachen. Produkte können bei uns den kompletten Freigabeprozess durchlaufen“, sagt er.
Seit 2011 entwickelt sich die Materialwissenschaft stetig und ist mittlerweile sehr gefragt. „Wir kriegen viele Forschungsaufträge“, berichtet Mozaffari-Jovein. Zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entschlüsselten die Tuttlinger Wissenschaftler, warum Lithium-Ionen-Batterien anfingen zu brennen. „Wir haben den Grund gefunden“, erklärt der Professor zufrieden. In Karlsruhe waren Platten mit unterschiedlichen Metallen bedampft worden, sodass sich nur mikroskopisch sichtbare Kristallite bildeten. Die Auswirkungen wurden in Tuttlingen sichtbar gemacht. Dabei zeigte sich, unter welchen Bedingungen – steigende Temperaturen, an der Luft oder im Vakuum – das Metall nachgab und Risse bekam.
„Wir suchen nach Schadstellen, ohne das Produkt zu zerstören“, sagt Mozaffari-Jovein. Die Möglichkeiten, dem Fehler auf die Schliche zu kommen, sind vielfältig. In einem Computertomograph, der deutlich leistungsfähiger ist als jene CTs in den Krankenhäusern, können Gegenstände besonders gut durchleuchtet werden. „Wir könnten ein Handy oder einen USB-Stick untersuchen und würden alle Strukturen offen legen. Wir sehen die Innereien“, sagt der Professor. So könne man beispielsweise an künstlichen Knochen oder Platten untersuchen, warum Schrauben nicht halten wollen. „Sind bei dem Produkt Mikroporen zu sehen, korrigieren wir mit dem Unternehmen den Fertigungsprozess“, sagt Mozaffari-Jovein.
Liegen die Problem tiefer, forschen Mozaffari-Jovein und sein Team bis an den Ursprung nach. In einem anderen Gerät kann das Material auf seine Bestandteile überprüft werden. Ist es aus Aluminium, Kupfer, Eisen, Magnesium oder Titan? Der Tuttlinger Professor erklärt den Hintergrund der Untersuchung. Manchmal seien sich Firmen nicht ganz sicher, welche Legierung das Material habe. „Hat das Material nicht die Festigkeit, müssen wir prüfen, ob es der richtige Werkstoff ist“, erläutert er. Genauso kann das Institut auch die Beschaffenheit von Kunststoffen analysieren.
Selbst wenn die Produkte alle Untersuchungen – es wird durchleuchtet, erhitzt, gerüttelt, gezogen, gedrückt – anstandslos über- und zufriedenstellend bestanden haben, sind die Tuttlinger Forscher noch nicht fertig. „Bei Schrauben oder Implantaten wollen wir wissen, ob es eine für den Menschen giftige Reaktion geben kann.“Anstatt dem Patienten das Werkstück einzusetzen und am lebenden Objekt die Folgen abzuwarten, wird geprüft, ob es in einer fingierten körperlichen Umgebung eine giftige Reaktion geben könnte. „Wir legen das Material in ein körperähnliches Elektrolyt. Dabei lösen sich Ionen. Wir wollen wissen, welche Ionen sind das und in welcher Konzentration. Und wird das toxisch“, erklärt Mozaffari-Jovein, dessen Institut in der Region einen guten Ruf hat. „Wir sind das ergänzende Glied und sehr gefragt bei den Unternehmen. Viele rufen regelmäßig an.“
An Aufträgen wird es in Zukunft wohl nicht mangeln. Die additive Fertigung, das Erstellen von Produkten über einen 3D-Drucker, werde zunehmen, ist sich der Tuttlinger
Professor sicher. „Dieser Prozess hat eine Riesenzukunft“, meint Mozaffari-Jovein, der einen Technologietag in der Tuttlinger Stadthalle organisiert hat. Am Mittwoch, 4. Mai, werden Experten aus der Medizintechnik, dem Maschinenbau und der Anlagentechnik, der Automatisierung, Digitalisierung und Qualitätssicherung von 9 bis 18 Uhr an der Donau zu Gast sein. „Wir holen das Wissen zu uns, zeigen aber auch unsere Forschung nach außen“, freut er sich.
Die additive Fertigung habe den Vorteil, dass anders als bei der konventionellen Produktion das Material – als Stange oder Block – nicht vorher bearbeitet werden muss. „Wir verschweißen Pulver“, sagt Mozaffari-Jovein. Über Nacht könne ein am Computer entworfenes Bauteil entstehen, zudem könne man flexibler und passgenau, beispielsweise auf Bedürfnisse von Patienten, herstellen. Außerdem würde das Produkt insgesamt leichter. „Diese Produkte werden die Zukunft extrem beeinflussen. Viele Prozesse sind auch schon gut. Nur die Produkte könnten noch besser sein“, sagt der Tuttlinger Professor. Er und seine Mitstreiter werden sich weiter auf die Suche machen, wo es in der Herstellung der Waren hapert. Hinter ihren Türen im Keller der Uhlandstraße.