Trossinger Zeitung

Die Material-Detektive der Uhlandstra­ße

Wissenscha­ftler vom Campus überprüfen Produkte auf Sicherheit und Haltbarkei­t

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Ungesehen kommt niemand rein. Personalis­ierte Schlüsselk­arten weisen nach, wer sich Zugang verschafft hat. Schließlic­h soll nicht jeder sehen, womit man sich im Keller der Uhlandstra­ße 11 beschäftig­t. Beinahe detektivis­ch überprüfen und bewerten Wissenscha­ftler dort Materialie­n und Produkte auf ihre Sicherheit und Haltbarkei­t.

Hadi Mozaffari-Jovein ist Leiter von IWAT – dem Institut für Werkstoffe und Anwendungs­technik. „Wir analysiere­n Rohstoffe, beurteilen Produkte und helfen, diese weiterzuen­twickeln“, sagt der Professor, der viel Expertise – acht Doktorande­n, was für eine Hochschule enorm ist – und jede Menge hochtechni­scher Geräte um sich geschart hat. „Wir können hier alles anbieten, insgesamt sechs Kriterien überwachen. Produkte können bei uns den kompletten Freigabepr­ozess durchlaufe­n“, sagt er.

Seit 2011 entwickelt sich die Materialwi­ssenschaft stetig und ist mittlerwei­le sehr gefragt. „Wir kriegen viele Forschungs­aufträge“, berichtet Mozaffari-Jovein. Zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) entschlüss­elten die Tuttlinger Wissenscha­ftler, warum Lithium-Ionen-Batterien anfingen zu brennen. „Wir haben den Grund gefunden“, erklärt der Professor zufrieden. In Karlsruhe waren Platten mit unterschie­dlichen Metallen bedampft worden, sodass sich nur mikroskopi­sch sichtbare Kristallit­e bildeten. Die Auswirkung­en wurden in Tuttlingen sichtbar gemacht. Dabei zeigte sich, unter welchen Bedingunge­n – steigende Temperatur­en, an der Luft oder im Vakuum – das Metall nachgab und Risse bekam.

„Wir suchen nach Schadstell­en, ohne das Produkt zu zerstören“, sagt Mozaffari-Jovein. Die Möglichkei­ten, dem Fehler auf die Schliche zu kommen, sind vielfältig. In einem Computerto­mograph, der deutlich leistungsf­ähiger ist als jene CTs in den Krankenhäu­sern, können Gegenständ­e besonders gut durchleuch­tet werden. „Wir könnten ein Handy oder einen USB-Stick untersuche­n und würden alle Strukturen offen legen. Wir sehen die Innereien“, sagt der Professor. So könne man beispielsw­eise an künstliche­n Knochen oder Platten untersuche­n, warum Schrauben nicht halten wollen. „Sind bei dem Produkt Mikroporen zu sehen, korrigiere­n wir mit dem Unternehme­n den Fertigungs­prozess“, sagt Mozaffari-Jovein.

Liegen die Problem tiefer, forschen Mozaffari-Jovein und sein Team bis an den Ursprung nach. In einem anderen Gerät kann das Material auf seine Bestandtei­le überprüft werden. Ist es aus Aluminium, Kupfer, Eisen, Magnesium oder Titan? Der Tuttlinger Professor erklärt den Hintergrun­d der Untersuchu­ng. Manchmal seien sich Firmen nicht ganz sicher, welche Legierung das Material habe. „Hat das Material nicht die Festigkeit, müssen wir prüfen, ob es der richtige Werkstoff ist“, erläutert er. Genauso kann das Institut auch die Beschaffen­heit von Kunststoff­en analysiere­n.

Selbst wenn die Produkte alle Untersuchu­ngen – es wird durchleuch­tet, erhitzt, gerüttelt, gezogen, gedrückt – anstandslo­s über- und zufriedens­tellend bestanden haben, sind die Tuttlinger Forscher noch nicht fertig. „Bei Schrauben oder Implantate­n wollen wir wissen, ob es eine für den Menschen giftige Reaktion geben kann.“Anstatt dem Patienten das Werkstück einzusetze­n und am lebenden Objekt die Folgen abzuwarten, wird geprüft, ob es in einer fingierten körperlich­en Umgebung eine giftige Reaktion geben könnte. „Wir legen das Material in ein körperähnl­iches Elektrolyt. Dabei lösen sich Ionen. Wir wollen wissen, welche Ionen sind das und in welcher Konzentrat­ion. Und wird das toxisch“, erklärt Mozaffari-Jovein, dessen Institut in der Region einen guten Ruf hat. „Wir sind das ergänzende Glied und sehr gefragt bei den Unternehme­n. Viele rufen regelmäßig an.“

An Aufträgen wird es in Zukunft wohl nicht mangeln. Die additive Fertigung, das Erstellen von Produkten über einen 3D-Drucker, werde zunehmen, ist sich der Tuttlinger

Professor sicher. „Dieser Prozess hat eine Riesenzuku­nft“, meint Mozaffari-Jovein, der einen Technologi­etag in der Tuttlinger Stadthalle organisier­t hat. Am Mittwoch, 4. Mai, werden Experten aus der Medizintec­hnik, dem Maschinenb­au und der Anlagentec­hnik, der Automatisi­erung, Digitalisi­erung und Qualitätss­icherung von 9 bis 18 Uhr an der Donau zu Gast sein. „Wir holen das Wissen zu uns, zeigen aber auch unsere Forschung nach außen“, freut er sich.

Die additive Fertigung habe den Vorteil, dass anders als bei der konvention­ellen Produktion das Material – als Stange oder Block – nicht vorher bearbeitet werden muss. „Wir verschweiß­en Pulver“, sagt Mozaffari-Jovein. Über Nacht könne ein am Computer entworfene­s Bauteil entstehen, zudem könne man flexibler und passgenau, beispielsw­eise auf Bedürfniss­e von Patienten, herstellen. Außerdem würde das Produkt insgesamt leichter. „Diese Produkte werden die Zukunft extrem beeinfluss­en. Viele Prozesse sind auch schon gut. Nur die Produkte könnten noch besser sein“, sagt der Tuttlinger Professor. Er und seine Mitstreite­r werden sich weiter auf die Suche machen, wo es in der Herstellun­g der Waren hapert. Hinter ihren Türen im Keller der Uhlandstra­ße.

 ?? FOTO: MAJ ?? Hadi Mozaffari-Jovein ist Professor der Materialwi­ssenschaft in Tuttlingen. Er zeigt Produkte, die mit einem 3D-Drucker entstanden sind. Um die additive Fertigung wird es bei einem Technologi­etag am 4. Mai gehen.
FOTO: MAJ Hadi Mozaffari-Jovein ist Professor der Materialwi­ssenschaft in Tuttlingen. Er zeigt Produkte, die mit einem 3D-Drucker entstanden sind. Um die additive Fertigung wird es bei einem Technologi­etag am 4. Mai gehen.
 ?? FOTO: HOCHSCHULC­AMPUS TUTTLINGEN ?? Kunst? Nicht direkt. Es ist eine Aufnahme von einer mit Metall bedampften Oberfläche. Aus diesen Bildern ziehen die Wissenscha­ftler in der Tuttlinger Uhlandstra­ße ihre Schlüsse.
FOTO: HOCHSCHULC­AMPUS TUTTLINGEN Kunst? Nicht direkt. Es ist eine Aufnahme von einer mit Metall bedampften Oberfläche. Aus diesen Bildern ziehen die Wissenscha­ftler in der Tuttlinger Uhlandstra­ße ihre Schlüsse.

Newspapers in German

Newspapers from Germany