Tuttlingens erstes Naturschutzgebiet wird eingeweiht
Erste Überlegungen bereits in den 90er-Jahren – Menschen werden „nicht verbannt“, aber sollen Natur respektieren
TUTTLINGEN-MÖHRINGEN/-ESSLINGEN - Das Bächetal zwischen Möhringen und Eßlingen ist nun Naturschutzgebiet – und ist in dieser Funktion feierlich eingeweiht worden. Bis zur Entwicklung von Tuttlingens erstem Naturschutzgebiet dauerte es allerdings Jahrzehnte.
„Es ist das erste und einzige Naturschutzgebiet auf der Gemarkung Tuttlingen und wir können stolz darauf sein“, betont Oberbürgermeister Michael Beck in seiner einführenden Rede. In einem Satz zieht Beck das Fazit zur Erschließung des Naturschutzgebietes: „ Die so wichtige Nachhaltigkeit für die Natur ist hier mit Händen greifbar.“
Beck erinnert sich deutlich an die Chronologie des Projekts. In den neunziger Jahren sei das Gebiet am damals noch „stangengerade verlaufenden schmalen Krähenbach intensiv bewirtschaftet worden“, so Beck. „Es musste ein Konzept her, um Möhringen vor dem vielfach auftretenden Hochwasser zu schützen.“Der Startschuss für die Renaturierung des drei Kilometer langen und siebzig Hektar umfassenden Gebietes wurde mit großer Akzeptanz aus der Bevölkerung gegeben.
„Nun startete mit dem Bächletal ein Projekt, das in meinem Berufsleben zu einem sehr dominanten wurde“, erinnert sich Michael Hensch, Leiter Umwelt und Grünplanung der Stadt Tuttlingen. Ein Bach-Erlebnispfad und Retentionsflächen wurden angelegt. „Doch der Biber hat dann ganze Arbeit geleistet und die Retentionsflächen deutlich erweitert“, so Hensch.
Auch Karl-Heinz Lieber, Abteilungsleiter für Naturschutz im Umweltministerium, freut sich über das gelungene Projekt: „Die Biodiversitätskrise ist ja in diesen unruhigen Zeiten nur eine von vielen Krisen. Sie droht im Bewusstsein der Menschen deutlich in den Hintergrund zu rücken“, mahnt er. Es brauche „lange Linien mit Perspektiven, um auch den nachfolgenden Generationen ein nachhaltiges Leben zu gewährleisten“, betont Lieber. Hierzu müssten Nutzungspläne angepasst und Schutzgebiete ausgedehnt werden. Dabei ginge es nicht um Konfrontation mit den einzelnen Interessengruppen, sondern um Kooperation. „Diese Projekt ist lebendiger Beweis, dass die Kooperation zwischen den einzelnen Verwaltungen und den Bürgern auf erfreuliche Weise gelungen ist“, schlussfolgert Lieber.
Joachim Genser hat als Naturschutzbeauftragter des Regierungspräsidiums vor knapp zwanzig Jahren den Landkreis Tuttlingen übernommen. „Zunächst erschien mir das Bächetal als unscheinbar, aber nach Kontaktaufnahme mit Herrn Hensch wurde mein Interesse geweckt“, erinnert sich Genser.
Zwei Gutachten wurden in den Jahren 2015/17 erstellt und brachten verblüffende Ergebnisse: „Obwohl es damals kein Bestandteil des Auftrages war, so fanden die Gutachter hier eine beachtliche Libellenfauna vor. Insgesamt vierundzwanzig verschiedene Libellenarten wurden gezählt. Das ist knapp ein Drittel des Libellenvorkommens in Baden-Württemberg“, schwärmt er. Und er betont: „Naturschutzgebiete sind keine Glasglocken. Sie sind enorm wichtig für die Erhaltung und den Schutz der für alle Generationen nötigen Biodiversität.“
Menschen würden aus diesen Gebieten nicht verbannt, doch sollten sie lernen, als Besucher der Flora und Fauna mit Respekt zu begegnen.
Am Ende des Festakts freut sich Möhringens Ortsvorsteher Günther Dreher: „Wir können uns über das schönste Naturschutzgebiet in Baden-Württemberg freuen und stolz sein auf unsere engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten für den Naturschutz engagieren.“Er äußert seine Hoffnung auf weitere kooperative Schritte mit den überregionalen Behörden und der Stadt Tuttlingen.
Besonderen Applaus erntet die erste Klasse der Anton-Braun-Schule aus Möhringen, die unter Leitung ihrer Lehrerin Sylvia Hornung den Festakt mit ideenreichen Liedern zum Thema Natur musikalisch-freudig umrahmten.