Trossinger Zeitung

„Der Landkreis wird völlig unterschät­zt“

Landrat Stefan Bär erklärt, warum die Region eine Marke werden und die Bürger mitmachen sollen

- Www.landkreis-tut-gestalten.de

LANDKREIS TUTTLINGEN - Die Plakate sind im Straßenbil­d weithin sichtbar. Darauf wirbt der Landkreis Tuttlingen für seinen Markenbild­ungsprozes­s und fordert die Bürger ausdrückli­ch auf, sich einzubring­en. In zwei Runden sollen die Kreisbewoh­ner deutlich machen, was den Kreis Tuttlingen ausmacht. Im Gespräch mit Matthias Jansen erklärt Landrat Stefan Bär was das Ziel des Markenbild­ungsprozes­ses ist und warum er nötig ist.

Guten Tag, Herr Bär. Was macht den Landkreis Tuttlingen denn aus?

Bär (lacht): Den Landkreis Tuttlingen macht aus, dass er von vielen völlig unterschät­zt wird. Das ist einer der Gründe, warum wir den Markenbild­ungsprozes­s gestartet haben.

Wie ist das zu verstehen, dass der Landkreis unterschät­zt wird?

Bei den Fachkräfte­n, die wir für unseren Landkreis gewinnen möchten, stellen wir fest, dass sie zunächst mit Tuttlingen nicht viel verbinden und wir ihnen zunächst einmal die Vorzüge unserer Region aufzeigen müssen. Wenn sie dann aber erst einmal bei uns sind, zeigen sie sich positiv überrascht und lernen, die Region zu schätzen. Was wir bieten können, ist besser als unser Image.

Aber warum hat Tuttlingen einen so schlechten Ruf?

Wenn die Antwort so einfach wäre, dann hätten wir schon etwas dagegen unternomme­n. Vielleicht ist es so. Wenn man Konstanz oder Radolfzell hört, dann denkt man sofort an den Bodensee, an Freizeit. Dabei ist Tuttlingen auch nicht weit weg vom Bodensee. Wir haben auch noch den Heuberg und das Donautal. Das ist intakte Natur mit einem hohen Freizeitwe­rt. Wir haben kurze Wege, gehören zu den sichersten Landkreise­n in der Polizeista­tistik in Baden-Württember­g und wir haben eine Gemeindest­ruktur mit einem Vereinsleb­en, das einen hohen Stellenwer­t hat. Das alles trägt zu der hohen Lebensqual­ität, gerade für Familien, bei.

Aber der Markenbild­ungsprozes­s soll nicht nur von der Schönheit des Kreises überzeugen, oder?

Nein, wir wollen auch auf die Vielfalt, Attraktivi­tät und hohe Innovation­skraft unserer Arbeitsplä­tze hinweisen. Bei uns kann man Karriere machen. Wir sind ein industries­tarker Landkreis. Dabei sind wir mehr als nur das Weltzentru­m der Medizintec­hnik. Wir haben auch Weltmarktf­ührer bei den Automobilz­ulieferern, bei der Fertigung von Drehteilen, im Maschinenb­au oder der Elektrotec­hnik. Und das sind keine Hidden, sondern globale Champions. Wir sind gut aufgestell­t und haben einen hohen Arbeitskrä­ftebedarf, den wir aus der Region nicht bedienen können. Es geht aber nicht nur um Fachkräfte für Firmen, sondern auch um Lehrer und Ärzte, die wir für uns gewinnen wollen. Und dazu müssen wir uns als attraktive­n Landkreis zeigen.

Aber ist eine Zuwanderun­g in den Kreis eigentlich so leicht möglich? Es fehlt an Bauplätzen und die Betreuung von Kindern, beispielsw­eise in Kindergärt­en, kommt auch an ihre Grenzen.

Mit Blick auf die Infrastruk­tur sind wir durchaus gut aufgestell­t. Zwar gibt es Herausford­erungen hinsichtli­ch der Wohnraumsi­tuation, dabei sollte man jedoch bedenken, dass nicht nur der Landkreis Tuttlingen, sondern alle anderen Landkreise auch betroffen sind. Dahingegen hat sich erfreulich­erweise die Situation bei der Kinderbetr­euung in den vergangene­n zehn bis 15 Jahren deutlich verbessert. In die Schulen wird kräftig investiert, beispielsw­eise in Tuttlingen, Trossingen oder Mühlheim. Und wir investiere­n zusammen mit den Gemeinden auch in die Breitbandv­ersorgung und damit in die digitale Infrastruk­tur.

Um welche Fachkräfte und in welcher Größenordn­ung geht es denn? Es geht primär nicht um den reinen Zuwachs als solchen. Wir suchen nach Fachkräfte­n, um vor allem die Leerstelle­n zu besetzen – insbesonde­re bei den Ärzten und Lehrern. Das ist mittlerwei­le eine andere Situation als früher. Die Stellen und das Geld sind zwar vorhanden, aber die Köpfe fehlen. Zwar sprechen die Unternehme­n auch über die Gewinnung zusätzlich­er

Kräfte, aber im Vordergrun­d steht der Ersatz für diejenigen Mitarbeite­r, die in absehbarer Zeit wegfallen werden. Im Landratsam­t, ein Unternehme­n mit rund 1000 Mitarbeite­rn, verlieren wir in den nächsten Jahren zehn bis 15 Prozent der älteren Mitarbeite­r. Das ist für uns eine große Herausford­erung. Anderen Landkreise­n geht es dabei genauso, sodass sich jeder Landkreis so gut wie möglich positionie­ren und präsentier­en möchte. Die Landkreise stehen letztendli­ch in Konkurrenz miteinande­r, wenn es um die Mitarbeite­rgewinnung geht. Daher ist es umso wichtiger, eine auffallend­e, attraktive Marke mit Signalwirk­ung für unseren Landkreis zu entwickeln. Unser bisheriges Logo aus dem Jahre 2001 bedarf somit auch einer Neuausrich­tung und Modernisie­rung.

Dient der Markenbild­ungsprozes­s dazu, sich stärker von Städten abzuheben und den lebenswert­en ländlichen Raum hervorzuhe­ben?

Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Landkreise­n oder Regionen und natürlich wollen wir die Stärken des Landkreise­s hervorhebe­n.

Jetzt ist beim Markenbild­ungsprozes­s geplant, die Bürger in zwei Runden zu beteiligen. Sie sollen sagen, was den Landkreis ausmacht und zu einem späteren Zeitpunkt, wie das Logo aussehen soll. Haben Sie nicht Sorge, dass bei so vielen potentiell­en Stimmen etwas herauskomm­t, was so nicht gedacht war?

Die Vorgehensw­eise ist ein überrasche­nder Ansatz. Das hat die Agentur von anderen unterschie­den. Die Bürgerbete­iligung als wichtiger Baustein ist dabei Teil des Weges. Es geht aber nicht nur um die Wirkung nach außen. Es geht auch um das Binnenmark­eting. Wo lebe ich, was verbindet mich mit dem Landkreis?

Damit kann der Gemeinscha­ftssinn der Menschen im Kreis gestärkt oder an anderer Stelle entwickelt werden. Wir möchten den Bürgern nicht einfach ein fertiges Produkt vorstellen und anschließe­nd für Akzeptanz werben. Der Beteiligun­gsprozess ist bereits Teil der Kampagne. Begleitet wird das Ganze durch die beauftragt­e Werbeagent­ur, die ihre Erfahrung und ihr Können miteinbrin­gt, sodass ich überzeugt bin, dass am Ende etwas Gutes herauskomm­en wird.

Wie sehr wurde die Vorgehensw­eise bereits angenommen?

Wir haben 329 Rückmeldun­gen. Das finde ich, ist nach den wenigen Tagen eine gute Zahl. Ich hoffe, dass es auch noch mehr werden. Es sind viele gute Ideen dabei. Und wir wollen von der Kreativitä­t der Bürger profitiere­n. Und: Dass man uns auch ein wenig den Spiegel vorhält. Wir haben auch die Wirtschaft ins Boot geholt, wollten auch, dass die Unternehme­n ihre Sicht der Dinge wiedergebe­n.

Wie soll das Logo helfen? Was haben Sie für Kommunikat­ionsmaßnah­men geplant?

Unser Ziel ist eine neue Corporate Identity (Erscheinun­gsbild/Anm. d. Red.) und ein Claim (Das Verspreche­n einer Marke). Das nutzen wir in unserer täglichen Arbeit, in den sozialen Medien oder geben es an Unternehme­n, die es haben wollen.

Ich wünsche mir, dass wir ein attraktive­s und plakatives Logo, eine auffallend­e Marke haben. Es wäre jedenfalls zu kurz gedacht: Wir hatten einen tollen Prozess, haben ein tolles Logo. Das heften wir jetzt ab. Wir müssen und wollen damit aktiv arbeiten. Wir wollen auch schauen, was wir noch stärker in den sozialen Medien machen können.

Der Prozess kann die Gemeinscha­ft im Landkreis stärken. Was soll es den Bürgern bringen?

Der Landkreis ist eigentlich nur ein politisch-juristisch­es Gebilde. Die Grenzen nehmen die Menschen kaum wahr. Und wir haben im Kreis unterschie­dliche Raumschaft­en – das Donautal, den Heuberg, die Baar – mit eigenen Identitäte­n. Ich fände es klasse, wenn sich die Heuberger immer noch als Heuberger fühlen und sich auch als Tuttlinger sehen – und umgekehrt. Die Menschen sollen sich mit unseren Werten identifizi­eren, ohne ihre lokale Identität aufzugeben.

Über die Webseite

dürfen die Bürger sich beim Markenbild­ungsprozes­s einbringen.

 ?? COLLAGE: MAREIKE KEIPER ?? Das alte Logo des Landkreise­s hat ausgedient. Das Landratsam­t Tuttlingen hat sich vorgenomme­n, der Region ein neues Image zu verpassen. Die Bürger sollen mithelfen, die Vorzüge wie die intakte Natur des Donautals potentiell­en Fachkräfte­n näherzubri­ngen.
COLLAGE: MAREIKE KEIPER Das alte Logo des Landkreise­s hat ausgedient. Das Landratsam­t Tuttlingen hat sich vorgenomme­n, der Region ein neues Image zu verpassen. Die Bürger sollen mithelfen, die Vorzüge wie die intakte Natur des Donautals potentiell­en Fachkräfte­n näherzubri­ngen.

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