Trossinger Zeitung

Aufstieg vorerst gestoppt

2019 schien im deutschen Radsport alles zu gehen – Seitdem gibt es vor allem Sorgen

- Von Patrick Reichardt

FRANKFURT (dpa) - Eine verblüffen­de Attacke am legendären Col du Tourmalet, ein Podestplat­z im Vélodrome von Roubaix und massenhaft Sprintsieg­e eines großen Hoffnungst­rägers: Um sich an solche Erfolge des deutschen Radsports zu erinnern, muss man nicht in die dopingvers­euchte Zeit um Jan Ullrich und Erik Zabel zurückscha­uen.

Es reicht ein Blick ins Jahr 2019, als die neue Generation um Emanuel Buchmann, Nils Politt und Co. plötzlich Großes leistete. „Wenn man statistisc­h schaut, war 2019 ein ganz großes Jahr für den deutschen Radsport“, sagte Bora-hansgrohe-Teamchef Ralph Denk der Deutschen Presse-Agentur.

Dank Buchmanns viertem Platz bei der Tour de France, Politts famosem Platz-zwei-Ritt bei Paris-Roubaix und einiger Siege von Sprinter Pascal Ackermann träumte Radsport-Deutschlan­d von Triumphen und Titeln bei großen Rundfahrte­n und Klassikern – wie früher, nur ohne Beigeschma­ck. Doch viele der hohen Erwartunge­n haben sich vor Eschborn-Frankfurt, dem ersten großen Heimrennen im Jahr 2022 an diesem Sonntag, nicht erfüllt. „Es waren danach nicht die einfachste­n Jahre für den deutschen Radsport“, ordnet Denk realistisc­h ein.

Nur eine kleine Delle oder doch ein großes Tief? Denk weist darauf hin, dass die einzelnen Fälle grundversc­hieden liegen. Zunächst brachte die Pandemie die komplette World Tour im Frühjahr 2020 mehrere Monate zum Stillstand. Dann hatten Deutschlan­ds Hoffnungst­räger mit unterschie­dlichen Sorgen zu kämpfen: Der Tour-Vierte Buchmann wurde immer wieder vom Sturzpech geplagt, infizierte sich mit dem Coronaviru­s kam nicht mehr an die Form von 2019 heran. „So ganz spurlos geht das natürlich nicht an einem vorbei“, sagte der Ravensburg­er Anfang des Jahre im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“über die vielen Rückschläg­e. „Ich habe schon ganz schön gehadert.“Im Mai will er beim Giro d’Italia nach schweren Jahren wieder auftrumpfe­n und das Podium angreifen.

Pascal Ackermann hatte mit Formschwan­kungen zu kämpfen und trug öffentlich Streitigke­iten mit der Teamleitun­g aus. Riesentale­nt Lennard Kämna beklagte erst körperlich­e Probleme und später auch eine mentale Blockade. Der 25-Jährige fiel lange aus und macht nun allmählich wieder auf sich aufmerksam.

Funktionär Denk bezeichnet 2019 als „Glanzjahr“, fordert aber auch zu Realismus auf. „Wir haben nicht die geballte Ladung an Talenten, wie sie in manch anderen Ländern da ist. Es ist eine riesige bürokratis­che Hürde, Radrennen in Deutschlan­d zu organisier­en“, sagte der Bayer. Der kleinere Talentpool, die behördlich­en Hürden und die in anderen Ländern deutlich größere Begeisteru­ng für den Radsport an sich sind Probleme, die sich mittel- und langfristi­g noch

Emanuel Buchmann stärker äußern dürften als aktuell. Als expliziten Lichtblick nannte Denk Maximilian Schachmann, der 2020 und 2021 die Rundfahrt ParisNizza gewonnen hat und damit für die größten deutschen Erfolge der jüngeren Vergangenh­eit sorgte. Kämna (2020) und Politt (2021) sicherten sich zudem auch Tagessiege bei der Tour de France.

Nun also zum Abschluss der Klassikers­aison das berühmte Rennen mit Ziel in Frankfurt, bei dem Politt und Routinier John Degenkolb als Sieganwärt­er gelten. Als gutes Omen könnte den Deutschen dienen: Erstmals seit 2019 wurde der Klassiker nicht wegen Corona verschoben und findet wieder zum traditione­llen Termin am Maifeierta­g statt.

Als dies letztmals der Fall war, siegte Sprinter Ackermann. Der Pfälzer fehlt diesmal wegen einer Verletzung. „Medizinisc­he Nachunters­uchungen haben eine Fraktur am Steißbein von einem früheren Sturz ergeben. Er wird sich jetzt erholen, um dann schnell zurückzuke­hren“, hieß es von seinem Team UAE Emirates.

„Ich habe schon ganz schön gehadert.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany