Warnungen vor Gasembargo mehren sich
BASF-Chef schließt bei Verzicht auf Lieferungen aus Russland Produktionsstopp nicht aus
BERLIN/SCHWERIN (dpa/AFP) Während in Berlin die Politik weiter über ein komplettes Embargo für russisches Gas debattiert, gibt es immer mehr Stimmen, die eindringlich vor den Folgen einer derartigen Maßnahme für Wirtschaft und Bevölkerung warnen. In Schwerin erklärte Detlef Scheele, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, dies würde zu hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland führen. „Ein Gasembargo zu diesem Zeitpunkt wäre mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht aufzufangen“, sagte Scheele. Martin Brudermüller, der Vorstandschef des weltgrößten Chemiekonzerns BASF erklärte am Freitag bei der Hauptversammlung des Unternehmens: „Wenn über Nacht die Erdgaslieferungen aus Russland wegfallen, würde das zu einer irreversiblen
Schädigung der Volkswirtschaft führen.“Sogar ein Produktionsstopp im Hauptwerk Ludwigshafen sei dann nicht auszuschließen.
Gleichwohl nimmt die Debatte Fahrt auf, wer zuerst leer ausgeht, sollte hierzulande tatsächlich zu wenig Gas zur Verfügung stehen.
Der Notfallplan des Bundes ist in dem Punkt klar: Privathaushalte haben Vorrang. Daran möchten sowohl die Ampel-Regierung als auch die Opposition festhalten, obwohl sich von-seiten der Industrie Widerstand regt. So hatte etwa Karl-Ludwig Kley, Aufsichtsratschef des Energiekonzerns Eon, zuvor gefordert, beim Notfallplan für die Gasversorgung über eine „umgedrehte“Reihenfolge nachzudenken. Er wolle nicht in Katastrophenszenarien schwelgen, sagte dazu Finanzminister Christian
Lindner (FDP) am Freitag der Funke Mediengruppe. „Aber eines ist klar: Es ist undenkbar, dass bei der Großmutter zu Hause die Wohnung kalt ist.“Deshalb dürfe es gar nicht zu einer Situation kommen, in der man diese Abwägung treffen müsste. Andreas Jung (CDU), Mitglied des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie, sagte: „Es muss noch mal sensibel diskutiert werden, wo welche Einsparungen vertretbar sind. Aber klar ist: Niemand soll frieren, Privathaushalte brauchen besonderen Schutz.“
Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnte ebenfalls davor, Privathaushalte im Fall eines Gas-Lieferstopps vor der Industrie abzuschalten. „Ich verstehe das Anliegen, die Industrie so lange wie möglich mit
Gas zu versorgen. Doch es steht nicht nur im Gesetz, dass die privaten Haushalte geschützte Kunden sind. Eine Abschaltung der Haushalte wäre auch mit Sicherheitsfragen verbunden“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Vor allem wäre es für die Netzagentur im Vorhinein auch gar nicht möglich, eine massenhafte Abschaltung sicher zu planen.“
Deren Präsident, Klaus Müller, mahnte, Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen. „Trotzdem ist die Frage legitim und notwendig, was ich in einer Gasnotlage zu Hause tun kann oder muss, um Gas, CO2 und Geld zu sparen, damit unser Land insgesamt gut durch die Krise kommt. Sie gilt aber für die Industrie wie für private Verbraucher gleichermaßen“, so der Chef der Bundesnetzagentur.