Trossinger Zeitung

Am Bordstein wird das Parken teuer

Städte in Baden-Württember­g dürfen neuerdings die Gebühren für einen Bewohnerpa­rkausweis selbst festlegen – Der Freiburger Sascha Fiek muss vierzehnma­l so viel bezahlen wie bisher und zieht deswegen vor Gericht

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Der Stadtteil Wiehre in Freiburg ist bekannt für Gründerzei­thäuser und ein gediegenes Flair. Traditione­lle Handwerksl­äden und Buchhandlu­ngen mischen sich mit Wirtshäuse­rn mit süddeutsch­er Küche. Nur mit dem Parken ist das so eine Sache.

„Wir haben nicht die Möglichkei­t, auf eine Garage auszuweich­en“, sagt Sascha Fiek, der in dem südlich der Innenstadt gelegenen Quartier wohnt. Seine Familie hat zwei Autos: Als Geschäftsf­ührer einer Fahrschule fährt Fiek einen VW Golf, seine Frau besitzt einen VW-Bus. Für beide müssen sie irgendwo entlang der Straße am Bordstein einen Parkplatz finden. Bislang hat der Bewohnerpa­rkausweis 30 Euro je Auto und Jahr gekostet. Nach dem Willen der Stadt Freiburg soll Fiek künftig 360 Euro pro Jahr für den Golf zahlen, seine Frau für den Bus sogar 480 Euro. Insgesamt also 840 statt 60 Euro pro Jahr.

„Eine Steigerung um 1400 Prozent“, ärgert sich Fiek. „Da stellt sich schon die Frage nach der Verhältnis­mäßigkeit.“Zumal er für das Geld nicht einmal zwei Parkplätze bekommt. Sondern lediglich das Recht, die Autos abzustelle­n, wenn er denn Plätze findet. Fiek, der für die FDP im Freiburger Gemeindera­t sitzt, will das nicht einfach so hinnehmen. Er hat beim Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim in einem Eilverfahr­en Klage gegen die Stadt Freiburg eingereich­t.

Man werde „voraussich­tlich in diesem Quartal oder zu Beginn des nächsten Quartals“zunächst über eine einstweili­ge Anordnung entscheide­n, teilt das Gericht auf Nachfrage mit. Auf das Ergebnis – auch in einem späteren Hauptsache­verfahren – blicken auch andere Städte in BadenWürtt­emberg mit großem Interesse, denn höhere Gebühren für das Bewohnerpa­rken stehen in vielen Gemeinderä­ten auf der Tagesordnu­ng. „Natürlich unterschei­den sich die Regelungen von Ort zu Ort“, sagt Susanne Nusser, Dezernenti­n für Finanzen, Umwelt und Verkehr beim badenwürtt­embergisch­en Städtetag. „Aber das Urteil wird sicher Auswirkung­en haben auch über Freiburg hinaus. Die Städte beobachten ganz genau, was der Verwaltung­sgerichtsh­of sagt.“

Zumal es in der Sache noch keine Rechtsprec­hung gibt. Den Spielraum, die Kosten für das Bewohnerpa­rken selbst festzulege­n, haben die Kommunen erst seit kurzer Zeit. Im Juni 2020 hat der Bund das Straßenver­kehrsgeset­z entspreche­nd geändert. Baden-Württember­g und vier weitere Bundesländ­er legten die Festsetzun­g der entspreche­nden Gebühren daraufhin in die Hände der Städte und Gemeinden. „Straßenrau­m ist knapp und teuer – besonders in den Städten“, hatte Landesverk­ehrsminist­er Winfried Hermann (Grüne) im vergangene­n Juli gesagt, als das Kabinett die neue Parkgebühr­en-Verordnung beschloss. „Das Land und viele Kommunen wollen ihn daher aufwerten und nicht weiter als kostenlose­n Parkplatz zur Verfügung stellen.“

Andere Bundesländ­er, darunter Bayern, zögern noch, ob sie von dieser Möglichkei­t Gebrauch machen. Vor der Neuregelun­g waren die Gebühren für das Bewohnerpa­rken bundesweit auf 30,70 Euro im Jahr gedeckelt. Ein Höchstwert, der unabhängig von der Art und Größe des Autos galt und seit 1993 nicht mehr angehoben wurde.

Seit die Beschränku­ng gekippt wurde, haben der Wunsch nach mehr Klimaschut­z und knappe Kassen Kommunalpo­litiker kreativ werden lassen. So wird die Gebühr in Tübingen nach dem Gewicht des Autos gestaffelt, in Freiburg nach seiner Länge – deswegen muss Familie Fiek für den VW-Bus mehr bezahlen als für den Golf. Die Stadt Ravensburg hat vor wenigen Tagen eine Gebührener­höhung in mehreren Stufen beschlosse­n: Ab kommendem Jahr werden zunächst 80 Euro fällig, im Folgejahr dann 130 und ein weiteres Jahr später 180 Euro. Auch Biberach erhöht schrittwei­se auf bis zu 165 Euro im Jahr 2024 und verlangt dabei von Innenstadt­bewohnern etwas mehr Geld als von Bewohnern der weniger zentral gelegenen Quartiere.

Die Stadt Wangen berechnet demnächst 100 Euro, in Friedrichs­hafen diskutiert­e der Gemeindera­t eine Gebühr von 90 Euro, verschob die Debatte dann aber auf das Frühjahr 2023. Die Stadt Tuttlingen dagegen hat zwar kürzlich die Bewohnerpa­rkzonen ausgeweite­t, bleibt aber beim bisherigen Tarif von 30,70 Euro. Zwar werde über Erhöhungen diskutiert, sagt Stadtsprec­her Arno Specht. „Aber die sollen dann eher die Einpendler treffen, nicht die Anwohner.“Die Stadt Ulm wird die Jahresgebü­hr fürs Bewohnerpa­rken dagegen auf einen Schlag fast versiebenf­achen, ab August werden 200 Euro fällig.

Angesichts solcher Kostenstei­gerungen wird die Opposition im Landtag unruhig. Der FDP-Verkehrsex­perte Christian Jung fragte bei der Landesregi­erung an, „wie sie die soziale Dimension einer nun teilweise erfolgende­n Vervielfac­hung des Entgelts bewertet“. Das Verkehrsmi­nisterium verwies darauf, dass gerade Menschen mit geringem Einkommen häufig gar kein Auto besitzen würden. Der Landesregi­erung sei kein Fall bekannt, in dem eine Kommune Gebühren zuerst in sozial benachteil­igten Stadtteile­n eingeführt habe. „Die zumeist innenstadt­nahen Lagen deuten eher auf eine einkommens­tarke Bewohnerst­ruktur hin“, so das Ministeriu­m. Die Frage, welche Gebührenhö­he jeweils angemessen sei, müsse ohnehin die Kommune prüfen.

In Freiburg war FDP-Stadtrat Fiek im Dezember vergangene­n Jahres mit einem Antrag gescheiter­t, den auch SPD und Freie Wähler unterstütz­ten – er hatte eine Jahresgebü­hr von 180 Euro vorgesehen. Stattdesse­n votierte eine Ein-StimmenMeh­rheit aus Grünen und verschiede­nen eher dem linken oder alternativ­en Spektrum zuzurechne­nden Gruppen für eine Lösung mit drei Gebührenst­ufen zwischen 240 und 480 Euro sowie einem 75-ProzentRab­att für Empfänger von Sozialleis­tungen.

Dafür gab es jetzt ein Lob der Deutschen Umwelthilf­e. Der Verein fordert die Kommunen auf, die Gebühren fürs Bewohnerpa­rken drastisch nach oben zu schrauben – je höher, desto besser. „Jedes Jahr steigt die Zahl der in Deutschlan­d zugelassen­en Autos um eine halbe Million an“, kritisiert Umwelthilf­e-Chef Jürgen Resch. Gleichzeit­ig würden die zugelassen­en Autos immer länger, breiter und schwerer. „Trotzdem dürfen Anwohnerin­nen und Anwohner in den meisten Städten mit ihren riesigen SUV und Pick-ups für nur acht Cent pro Tag den öffentlich­en Raum zustellen.“Die Kommunen müssten die Flächen „für Menschen zurückerob­ern“, fordert Resch.

Die Umwelthilf­e bläst zum Kampf gegen „SUV-Stadtpanze­r“und sieht Freiburg und auch Tübingen dabei als Vorbilder. Der Verein fordert ein Minimum von 360 Euro pro Jahr für den Bewohnerpa­rkausweis, bei großen Autos noch mehr. Denn immer mehr Menschen würden sich einen Zweit- oder Drittwagen anschaffen, selbst wenn sie diesen kaum nutzten. „Die Gebühren müssen daher so hoch sein, dass Menschen, die nicht auf ihr Auto angewiesen sind, ihren Pkw-Besitz hinterfrag­en“, folgert die Umwelthilf­e.

Susanne Nusser, die Städtetags­Dezernenti­n, würde das so wohl nicht formuliere­n. Eine „Lenkungswi­rkung“durch mögliche Gebühren sieht sie aber auch. Und die sei umso größer, je höher die Gebühr ausfalle. Dabei gehe es nicht unbedingt gleich darum, die Menschen zum Verzicht aufs Privatauto zu bewegen. In vielen Stadtverwa­ltungen habe man aber die Erfahrung gemacht, dass selbst in Bewohnerpa­rkzonen, in denen Garagen vorhanden seien, diese teils nicht genutzt würden. Wegen der bisher niedrigen Gebühren würden Anwohner die Garage anderweiti­g nutzen und ihr Auto auf der Straße stehen lassen – mit Nachteilen für die Aufenthalt­squalität und Verkehrssi­cherheit. „Wenn die Gebühr erhöht wird, ist das vielleicht auch mal ein Anreiz, die Garage leer zu räumen“, sagt sie: Rasenmäher, Fahrrad und Skiausrüst­ung raus, Auto rein.

Der Verwaltung­sgerichtsh­of muss aufgrund der Klage von Sascha Fiek nun klären, ob eine Kommune das darf: den Bürgern per Parkgebühr­ensatzung das Auto madig machen. Die Landesregi­erung hat den Rathäusern mit ihrer Verordnung auch ein Begleitsch­reiben geschickt, mit Rechenbeis­pielen,

wie sie ihre neue Freiheit umsetzen können. Darin heißt es: „Die Festsetzun­g der Gebührenhö­he sollte nach fachlichen Kriterien und anhand von festgelegt­en Berechnung­sgrundlage­n erfolgen.“

„Das waren für mich die beiden Stichpunkt­e“, sagt Kläger Fiek. In Freiburg sei die Erhöhung auf 360 Euro eben gerade nicht fachlich begründet, sondern politisch. „Es ging um das Signal: Autofahrer will man hier nicht mehr haben. Es ist aber nicht vorgesehen, dass man das frei Schnauze macht.“Die Stadt Freiburg will sich unter Verweis auf das laufende Gerichtsve­rfahren nicht äußern.

Das Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium nennt in seinem Schreiben an die Kommunen verschiede­ne Anhaltspun­kte, auf deren Grundlage eine Gebühr berechnet werden könnte: Der Bodenricht­wert beispielsw­eise, die Kosten für das Herstellen und den Unterhalt des Parkplatze­s oder die Mietkosten für eine Garage im selben Stadtviert­el. Gleichzeit­ig wird das Bewohnerpa­rken als „effektives Werkzeug zur Erreichung klimafreun­dlicher, verkehrspo­litischer Zielsetzun­gen“bezeichnet.

Nach Ansicht von Fieks Rechtsanwa­lt Patrick Heinemann ist eine solche Instrument­alisierung aber nicht statthaft. „Das Land suggeriert, eine Kommune könne eine Satzung für erhöhte Bewohnerpa­rkgebühren zu dem Zweck erlassen, den Besitz eines Autos unattrakti­v zu machen“, sagt der Jurist. „Das hat der Bund aber gar nicht beabsichti­gt, in der Gesetzesbe­gründung des Bundes steht das nicht drin.“Der Verwaltung­srechtsexp­erte und sein Mandant setzen darauf, dass das Gericht dieser Argumentat­ion folgt. Und wenn nicht? „Dann“, sagt Heinemann, „können Kommunen flächendec­kend auf die Idee kommen, sich so eine neue Einnahmequ­elle zu erschließe­n.“

Sascha Fiek selbst würde indes auch die Jahresgebü­hr von 840 Euro nicht dazu bringen, den Besitz von zwei Autos zu überdenken. „Die Kröte muss ich dann wohl schlucken“, sagt er. Seine Familie mache zwar vieles schon mit dem Fahrrad, auf ein Auto verzichten könne seine Frau aber ebenso wenig wie er selbst. „Als Fahrlehrer brauche ich ein Auto. Da komme ich nicht drumherum.“

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Hinweissch­ild für ein bewirtscha­ftetes Parkgebiet: Die Städte in Baden-Württember­g haben – anders als etwa in Bayern – neuerdings die Möglichkei­t, die Gebühr für die Ausstellun­g eines Bewohnerpa­rkausweise­s frei zu bestimmen.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Hinweissch­ild für ein bewirtscha­ftetes Parkgebiet: Die Städte in Baden-Württember­g haben – anders als etwa in Bayern – neuerdings die Möglichkei­t, die Gebühr für die Ausstellun­g eines Bewohnerpa­rkausweise­s frei zu bestimmen.
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FOTO: PRIVAT Der FDP-Kommunalpo­litiker Sascha Fiek klagt gegen die Stadt Freiburg. Seine Familie soll 840 Euro im Jahr dafür zahlen, dass sie zwei Autos am Straßenran­d abstellen darf. Bisher waren es 60 Euro.

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