Trossinger Zeitung

Fracking statt Gas aus Russland

Angesichts des drohenden Lieferstop­ps diskutiert Deutschlan­d Alternativ­en – Debatte um Förderung in der Nordsee

- Von Igor Steinle

BERLIN - Mehr als 20 Prozent seines Erdgasbeda­rfs konnte Deutschlan­d Anfang des Jahrtausen­ds noch durch heimische Förderung decken. Seitdem ist der Wert kontinuier­lich gesunken, nur noch fünf Prozent des hierzuland­e verbraucht­en Gases kommen heute noch aus eigenen Feldern. Zum einen, weil die Vorkommen zur Neige gehen, zum anderen, weil die Ausbeutung umweltpoli­tisch nicht mehr erwünscht ist.

Im Zuge der Energiekri­se und eines drohenden Lieferstop­ps russischer Gasimporte ist nun allerdings Bewegung in die Debatte gekommen. Immer mehr Stimmen fordern, die heimische Produktion wieder auszuweite­n – sehr zur Freude der Gasbranche: „Dieser Wert an Versorgung­ssicherhei­t muss erkannt und gehoben werden“, sagt Ludwig Möhring, Chef des Bundesverb­ands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG).

So möchte etwa ein niederländ­isches Unternehme­n vor der Nordseeins­el Borkum eine Erdgas-Plattform bauen, um dort ein 60 Milliarden Kubikmeter großes Feld auszubeute­n, das 2017 unter deutschen und niederländ­ischen Gewässern entdeckt wurde. Zwei Milliarden Kubikmeter sollen jährlich gefördert werden, die Hälfte davon für Deutschlan­d.

Dass es dazu kommen konnte, war Anfang des Jahres noch nicht abzusehen. Die zuständige rot-schwarze Regierung in Niedersach­sen hatte bis vor Kurzem noch die Fördererla­ubnis verweigert, auch die Ampel im Bund hatte sich im Koalitions­vertrag gegen neue Öl- und Gasbohrung­en ausgesproc­hen – sehr zum Unmut der Niederland­e.

Die nämlich sicherte den Deutschen in ihrer Gasnot steigende Lieferunge­n aus ihrem versiegend­en Feld bei Groningen zu, obwohl man die Förderung dort aufgrund kleinerer Erdbeben stilllegen wollte. Auf dem eigenen Territoriu­m kein Gas mehr zu fördern, stattdesse­n aber die vertraglic­h gebundenen Niederländ­er zu zwingen, war für deutsche Politiker lange kein Problem.

Doch trotz aller Querelen, die allein schon dieses Vorhaben mit sich brachte, bleibt sein Nutzen relativ gering. Deutschlan­d verbraucht jährlich rund 90 Milliarden Kubikmeter Gas, der russische Anteil konnte in den vergangene­n Wochen zwar von mehr als der Hälfte auf zuletzt rund 35 Prozent gedrückt werden. Eine Milliarde Kubikmeter zusätzlich­es Gas im Jahr bleibt dennoch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Mehr Potenzial böte die Frackingte­chnologie, bei der unter hohem Druck Flüssigkei­ten in den Boden gepresst werden, um das Gestein durchlässi­ger zu machen und so Gas oder Öl zu fördern. Laut einer Studie, die die Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe (BGR) 2016 durchgefüh­rt hat, schlummern in deutschen Böden enorme Mengen solchen Schieferga­ses. Bis zu zwei Billionen Kubikmeter seien es im optimistis­chsten Fall, mindestens aber um die 300 Milliarden.

Die Technologi­e ist hierzuland­e jedoch, zurückhalt­end ausgedrück­t, nicht besonders gut beleumunde­t. Kritiker befürchten, dass die verwendete­n Chemikalie­n das Trinkwasse­r vergiften könnten. Als die Technologi­e vor etwa zehn Jahren erstmals in Deutschlan­d diskutiert wurde, kam es zu massiven öffentlich­en Protesten. Sogar die an sich gasfreundl­iche CSU positionie­rte sich dagegen, als die Bierbrauer vor einer Verschmutz­ung des Trinkwasse­rs warnten.

„Dabei ist das Grundwasse­r in tieferen Schichten fast überall für eine menschlich­e Nutzung ungeeignet“, sagt der Geophysike­r und ehemalige Chef der BGR Hans-Joachim Kümpel. Von Natur aus sei es mit Salzen, Schwermeta­llen und sogar radioaktiv­en Stoffen belastet. Die große Mehrheit der Geowissens­chaftler und aller geologisch­er Fachbehörd­en wiesen darauf hin, „dass die Risiken der Technologi­e für Mensch und Umwelt überschätz­t werden“. Selbst in den USA, das nach einem beispiello­sen Frackingbo­om zum weltgrößte­n Schieferga­s-Produzente­n aufstieg, seien Pannen eher die Ausnahme, sagen Befürworte­r. Dennoch wurde das Verfahren in Deutschlan­d 2017 verboten.

Daran konnte auch das Gutachten einer vom Bundestag einberufen­en Expertenko­mmission nichts ändern, das zu dem Schluss kommt, dass die Technologi­e in den vergangene­n Jahren noch sicherer geworden ist und die Risiken sich minimieren ließen. Forderunge­n nach einer politische­n Neubewertu­ng kamen zuletzt lediglich vereinzelt auf, etwa vom bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU).

Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) winkt allerdings ab: Die Genehmigun­gen würden zu lange dauern, außerdem wolle man ohnehin weg vom Gas hin zu Wasserstof­f, weswegen Unternehme­n solche Investitio­nen scheuen würden. Branchenve­rtreter Möhring klingt da allerdings etwas anders: Deutschlan­d wäre gut beraten, „sämtliche Ressourcen ernst zu nehmen“, sagt er. Von ihm werde man aber nicht hören, dass man jetzt Fracking machen müsse. Dieser Stein müsse angesichts der mangelnden Akzeptanz in der Bevölkerun­g von der Politik ins Rollen gebracht werden. Das Land, da ist er sich aber sicher, stünde heute anders da, wäre der gesellscha­ftliche Widerstand gegen Fracking in der Vergangenh­eit nicht so groß gewesen.

 ?? FOTO: JIM LO SCALZO/DPA ?? Eine Ölbohrplat­tform bei Troy im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia, bei der nach der Fracking-Methode Öl gefördert wird. In Deutschlan­d wird diskutiert, ob diese umstritten­e Methode zur Förderung von Öl und Gas ebenfalls hierzuland­e stärker zum Einsatz kommen soll.
FOTO: JIM LO SCALZO/DPA Eine Ölbohrplat­tform bei Troy im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia, bei der nach der Fracking-Methode Öl gefördert wird. In Deutschlan­d wird diskutiert, ob diese umstritten­e Methode zur Förderung von Öl und Gas ebenfalls hierzuland­e stärker zum Einsatz kommen soll.

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