Solarmodule statt Hagelnetze
Agri-Photovoltaik soll in der Bodenseeregion den Obstbau und die Energieerzeugung voranbringen
BAVENDORF - Die Schwierigkeiten mit den globalen Lieferketten reichen bis ins Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (KOB) in Bavendorf im Landkreis Ravensburg. Auf dem Gelände der Stiftung, die im Jahr 2000 von etlichen öffentlichrechtlichen und gewerblichen Trägern gegründet wurde, und deren Zweck die Förderung des Obstanbaus in der Bodenseeregion ist, steht eine von fünf Modellanlagen für Agri-Photovoltaik (APV) in BadenWürttemberg.
Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein Konzept, das Obstbau und Energieerzeugung auf ein und derselben Fläche kombiniert. Dafür werden unter einem Dach mit Photovoltaikmodulen Apfelbäume angepflanzt oder bereits bestehende Kulturen überdacht. Welche pflanzenbaulichen Auswirkungen und wirtschaftlichen Ergebnisse sich bei der kombinierten Nutzung von Obstanbauflächen zur Energieerzeugung mit Photovoltaik ergeben, soll in Bavendorf herausgefunden werden.
Eigentlich wollte das KOB die 450 000 Euro teure Testanlage, die zu großen Teilen vom Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (350 000 Euro) und vom Land BadenWürttemberg (100 000 Euro) finanziert wird, anlässlich des Besuchs von Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) am Freitag bereits fertig haben. Doch ein Teil der Photovoltaikmodule, die das KOB zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und weiteren Projektpartnern aus der Wirtschaft verbauen will, hängen im Hafen von Rotterdam fest. Deshalb ist erst die Hälfte der rund 0,35 Hektar großen Versuchsanlage überdacht, und zwar der Teil mit fest installierten Modulen. Die Module, die auf eine bewegliche Unterkonstruktion montiert werden sollen, und die im Tagesverlauf dem Sonnenstand folgen, erwartet Ulrich Mayr, stellvertretender KOB-Geschäftsführer und verantwortlich für das Projekt, in den nächsten Tagen.
Für einen ersten Eindruck der Technologie reicht die überdachte Fläche allemal aus: Auf einem Ständerwerk thronen in rund dreieinhalb Meter Höhe semitransparente Photovoltaikmodule. Bei diesen sind die Solarzellen in lichtdurchlässige Materialien eingebettet, zwischen denen die Sonne hindurchscheinen kann. Darunter, in einem Reihenabstand von ebenfalls dreieinhalb Metern, junge Apfelbäumchen der Sorten Topaz, Natyra, Freya und Rustica.
Wie gut die Apfelkulturen mit der Verschattung zurechtkommen und welchen Einfluss das auf die Erntemenge
hat sind zwei der Fragen, auf die Ulrich Mayr und seine Mitstreiter in den kommenden drei Jahren Antworten finden wollen. „Wir wissen, dass Äpfel mit einem 30-prozentigen Lichtverlust noch gut gedeihen“, sagt Mayr und stellt klar: „Im Vordergrund steht eine sichere und qualitativ hochwertige Apfelproduktion mit zusätzlicher Solarstromproduktion – nicht andersherum.“
Von der Verschattungsproblematik abgesehen haben die Projektpartner aber auch handfeste Vorteile von APV-Anlagen ausgemacht, die es nun in der Praxis zu verifizieren gilt.
Da ist zuvorderst ein deutlich sparsamerer Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, „weil die Bäume durch das Solardach nicht mehr so nass werden“, glaubt Mayr. Dadurch würden sich Schaderreger wie Schorf nicht mehr so gut vermehren, was Pflanzenschutzmittel spare. Im Frühling könnte das Dach aus Solarmodulen die Kulturen vor Spätfrösten und im Hochsommer vor Sonnenbrand und Hitzestress schützen – und natürlich vor Hagelschlägen. Kurzum: Solarmodule könnten die bislang üblichen Hagelschutznetze in den Schutzsystemen der Obstbauern ersetzen.
Kritikern der APV-Technologie, die auch im Bodenseeraum zu hören sind und die eine Verschandelung der Kulturlandschaft durch überdachte Obstkulturen befürchten, nimmt Landwirtschaftsminister Hauk am Freitag den Wind aus den Segeln: Bei Energiefragen gehe es nicht um Schönheit sondern um Zweckmäßigkeit. Die Technologie, so der Minister, könnte ein weiterer wichtiger Baustein für den Klimaschutz und ein zusätzliches Einkommensstandbein von landwirtschaftlichen Betrieben sein. AgriPhotovoltaik, da ist sich Hauk sicher, werde Teil des Landschaftsbildes.
Sollten sich die Testanlagen in der Praxis bewähren, böte die Bodenseeregion durchaus Potenzial für mehr: Aktuell sind rund 5000 Hektar Obstanbauflächen unter Hagelschutznetzen. Würde man diese Flächen in Zukunft konsequent für Agri-Photovoltaik nutzen, könnten 1,5 Millionen Haushalte mit Strom versorgt werden, hat der Energieversorger Regionalwerk Bodensee errechnet.
Um dieses Potenzial zu heben, das wurde am Freitag in Bavendorf ebenfalls deutlich, brauche es aber deutlich schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Landwirtschaftsminister Hauk schweben dabei standardisierte APV-Anlagen vor, die auch im Rahmen von standardisierten Verwaltungsprozessen genehmigt werden könnten. Politisch ist der Ausbau der Agri-Photovoltaik jedenfalls gewollt. Im sogenannten Osterpaket von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), ein riesiger Katalog an Vorhaben zum Ausbau von Windenergie und der Förderung der Photovoltaik, ist die Agri-Photovoltaik neu hinzugekommen und soll wegen der höheren Kosten beim Bau einen Bonus in den Ausschreibungen erhalten, um wettbewerbsfähig zu sein.