Trossinger Zeitung

Solarmodul­e statt Hagelnetze

Agri-Photovolta­ik soll in der Bodenseere­gion den Obstbau und die Energieerz­eugung voranbring­en

- Von Andreas Knoch

BAVENDORF - Die Schwierigk­eiten mit den globalen Lieferkett­en reichen bis ins Kompetenzz­entrum Obstbau Bodensee (KOB) in Bavendorf im Landkreis Ravensburg. Auf dem Gelände der Stiftung, die im Jahr 2000 von etlichen öffentlich­rechtliche­n und gewerblich­en Trägern gegründet wurde, und deren Zweck die Förderung des Obstanbaus in der Bodenseere­gion ist, steht eine von fünf Modellanla­gen für Agri-Photovolta­ik (APV) in BadenWürtt­emberg.

Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein Konzept, das Obstbau und Energieerz­eugung auf ein und derselben Fläche kombiniert. Dafür werden unter einem Dach mit Photovolta­ikmodulen Apfelbäume angepflanz­t oder bereits bestehende Kulturen überdacht. Welche pflanzenba­ulichen Auswirkung­en und wirtschaft­lichen Ergebnisse sich bei der kombiniert­en Nutzung von Obstanbauf­lächen zur Energieerz­eugung mit Photovolta­ik ergeben, soll in Bavendorf herausgefu­nden werden.

Eigentlich wollte das KOB die 450 000 Euro teure Testanlage, die zu großen Teilen vom Zweckverba­nd Oberschwäb­ische Elektrizit­ätswerke (350 000 Euro) und vom Land BadenWürtt­emberg (100 000 Euro) finanziert wird, anlässlich des Besuchs von Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) am Freitag bereits fertig haben. Doch ein Teil der Photovolta­ikmodule, die das KOB zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesys­teme und weiteren Projektpar­tnern aus der Wirtschaft verbauen will, hängen im Hafen von Rotterdam fest. Deshalb ist erst die Hälfte der rund 0,35 Hektar großen Versuchsan­lage überdacht, und zwar der Teil mit fest installier­ten Modulen. Die Module, die auf eine bewegliche Unterkonst­ruktion montiert werden sollen, und die im Tagesverla­uf dem Sonnenstan­d folgen, erwartet Ulrich Mayr, stellvertr­etender KOB-Geschäftsf­ührer und verantwort­lich für das Projekt, in den nächsten Tagen.

Für einen ersten Eindruck der Technologi­e reicht die überdachte Fläche allemal aus: Auf einem Ständerwer­k thronen in rund dreieinhal­b Meter Höhe semitransp­arente Photovolta­ikmodule. Bei diesen sind die Solarzelle­n in lichtdurch­lässige Materialie­n eingebette­t, zwischen denen die Sonne hindurchsc­heinen kann. Darunter, in einem Reihenabst­and von ebenfalls dreieinhal­b Metern, junge Apfelbäumc­hen der Sorten Topaz, Natyra, Freya und Rustica.

Wie gut die Apfelkultu­ren mit der Verschattu­ng zurechtkom­men und welchen Einfluss das auf die Erntemenge

hat sind zwei der Fragen, auf die Ulrich Mayr und seine Mitstreite­r in den kommenden drei Jahren Antworten finden wollen. „Wir wissen, dass Äpfel mit einem 30-prozentige­n Lichtverlu­st noch gut gedeihen“, sagt Mayr und stellt klar: „Im Vordergrun­d steht eine sichere und qualitativ hochwertig­e Apfelprodu­ktion mit zusätzlich­er Solarstrom­produktion – nicht andersheru­m.“

Von der Verschattu­ngsproblem­atik abgesehen haben die Projektpar­tner aber auch handfeste Vorteile von APV-Anlagen ausgemacht, die es nun in der Praxis zu verifizier­en gilt.

Da ist zuvorderst ein deutlich sparsamere­r Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n, „weil die Bäume durch das Solardach nicht mehr so nass werden“, glaubt Mayr. Dadurch würden sich Schaderreg­er wie Schorf nicht mehr so gut vermehren, was Pflanzensc­hutzmittel spare. Im Frühling könnte das Dach aus Solarmodul­en die Kulturen vor Spätfröste­n und im Hochsommer vor Sonnenbran­d und Hitzestres­s schützen – und natürlich vor Hagelschlä­gen. Kurzum: Solarmodul­e könnten die bislang üblichen Hagelschut­znetze in den Schutzsyst­emen der Obstbauern ersetzen.

Kritikern der APV-Technologi­e, die auch im Bodenseera­um zu hören sind und die eine Verschande­lung der Kulturland­schaft durch überdachte Obstkultur­en befürchten, nimmt Landwirtsc­haftsminis­ter Hauk am Freitag den Wind aus den Segeln: Bei Energiefra­gen gehe es nicht um Schönheit sondern um Zweckmäßig­keit. Die Technologi­e, so der Minister, könnte ein weiterer wichtiger Baustein für den Klimaschut­z und ein zusätzlich­es Einkommens­standbein von landwirtsc­haftlichen Betrieben sein. AgriPhotov­oltaik, da ist sich Hauk sicher, werde Teil des Landschaft­sbildes.

Sollten sich die Testanlage­n in der Praxis bewähren, böte die Bodenseere­gion durchaus Potenzial für mehr: Aktuell sind rund 5000 Hektar Obstanbauf­lächen unter Hagelschut­znetzen. Würde man diese Flächen in Zukunft konsequent für Agri-Photovolta­ik nutzen, könnten 1,5 Millionen Haushalte mit Strom versorgt werden, hat der Energiever­sorger Regionalwe­rk Bodensee errechnet.

Um dieses Potenzial zu heben, das wurde am Freitag in Bavendorf ebenfalls deutlich, brauche es aber deutlich schnellere Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n. Landwirtsc­haftsminis­ter Hauk schweben dabei standardis­ierte APV-Anlagen vor, die auch im Rahmen von standardis­ierten Verwaltung­sprozessen genehmigt werden könnten. Politisch ist der Ausbau der Agri-Photovolta­ik jedenfalls gewollt. Im sogenannte­n Osterpaket von Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne), ein riesiger Katalog an Vorhaben zum Ausbau von Windenergi­e und der Förderung der Photovolta­ik, ist die Agri-Photovolta­ik neu hinzugekom­men und soll wegen der höheren Kosten beim Bau einen Bonus in den Ausschreib­ungen erhalten, um wettbewerb­sfähig zu sein.

 ?? FOTO: ANDREAS KNOCH ?? Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU), Landtagsab­geordneter Martin Hahn (Grüne) und KOB-Vizegeschä­ftsführer Ulrich Mayr (vorn, von rechts) pflanzen unter der APV-Versuchsan­lage in Bavendorf den letzten Apfelbaum. In den kommenden drei Jahren soll dort untersucht werden, wie sich Obstanbau mit Energieerz­eugung verträgt.
FOTO: ANDREAS KNOCH Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU), Landtagsab­geordneter Martin Hahn (Grüne) und KOB-Vizegeschä­ftsführer Ulrich Mayr (vorn, von rechts) pflanzen unter der APV-Versuchsan­lage in Bavendorf den letzten Apfelbaum. In den kommenden drei Jahren soll dort untersucht werden, wie sich Obstanbau mit Energieerz­eugung verträgt.

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