Sind hohe Lohnforderungen in diesen Tagen angemessen?
Es gibt keinen Grund für zurückhaltende Lohnforderungen in den kommenden Tarifrunden. Die Arbeitnehmer werden auf breiter Front mit happigen Preissteigerungen konfrontiert. Es ist daher angemessen, wenigsten auf einen Ausgleich der Teuerung zu pochen. Alles andere käme einem realen Verlust an Kaufkraft gleich. Anders gesagt: Die Beschäftigten würden trotz guter Arbeit ärmer. Entsprechend verständlich ist die Forderung der Metaller nach einem satten Lohnplus. So eine Phase gab es vor fast 50 Jahren schon einmal. Daran ist die Wirtschaft damals nicht gescheitert. Das wird auch in der aktuellen Situation nicht passieren.
Damals stieg die Arbeitslosigkeit auch aufgrund der steigenden Preise stark an. Diese Gefahr besteht heute bei Weitem nicht in gleichem Maße. Es fehlt allerorten an Arbeitskräften. Die hohen Dividendenausschüttungen zeigen, dass auch die Unternehmen nicht zu Einbußen bereit sind. Es gibt noch einen weiteren wichtigen Unterschied. In den 1970er-Jahren war die Lohnspreizung bei Weitem nicht so hoch wie heute. Daraus lässt sich für die Tarifpolitik eine andere Strategie ableiten als damals. Gesuchte Fachkräfte haben weder Probleme bei der Jobsuche noch geraten sie durch hohe Lebenshaltungskosten schnell in Not. Hier reguliert der Arbeitsmarkt letztlich das Lohnniveau schon zugunsten der Arbeitnehmer. Die unteren Lohngruppen leiden dagegen stark unter der Inflation. Einkommenssteigerungen für sie sollten daher bei den Forderungen der Gewerkschaften im Zentrum stehen. So könnte auch die Schere beim Einkommensniveau wieder etwas geschlossen werden.
Unter dem Strich käme bei dieser Lohnpolitik für alle Arbeitnehmer gerechnet wohl ein Zuwachs unterhalb der Teuerungsrate heraus. So bliebe die Lohnpolitik zwar ein Preistreiber, aber nur ein kleiner. Auch gesellschaftlich sollte eine etwas gerechtere Verteilung der Einkommen wünschenswert sein. Für Panikmache gegen eine verteilungswirksame Lohnpolitik gibt es folglich keinen Grund.
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Die Beschäftigten sollen keine Kaufkraft verlieren. Das gab Jörg Hofmann, Chef der Gewerkschaft IG Metall, unlängst als Devise für die Tarifverhandlungen in diesem Jahr aus. In der Stahlindustrie will die Organisation eine Lohnerhöhung von 8,2 Prozent durchsetzen – das ist vermutlich mehr als die Inflationsrate 2022. Weil am
Ende von Tarifverhandlungen immer Kompromisse stehen, bewegt sich die tatsächliche Lohnerhöhung dann vielleicht bei vier oder fünf Prozent pro Jahr. Klingt erstmal nicht dramatisch. Aber die Unternehmen werden die höheren Lohnkosten in Form von Preisaufschlägen an ihre Kunden, letztlich an die eigenen Beschäftigten weitergeben. Andere Gewerkschaften könnten dem Beispiel folgen und noch etwas drauflegen. Aus der IG Chemie kam bereits die Forderung nach Erhöhungen oberhalb der Teuerungsrate. Das alles kann schnell in eine LohnPreis-Spirale führen, die die Inflation anheizt. Es muss nicht so kommen. Noch ist es früh genug, davor zu warnen.
Ohne Frage haben satte Lohnerhöhungen Vorteile. Sie beteiligen die
Beschäftigten angemessen am Unternehmenserfolg. Volkswirtschaftlich betrachtet stabilisieren sie die Nachfrage. Zumal eine steil ansteigende Arbeitslosigkeit wie in den 1970er-Jahren jetzt wegen des Fachkräftemangels wohl nicht droht.
Doch diese Argumentation lässt den Inflationseffekt außer Acht. Durch das unglückliche Zusammentreffen von lockerer Geldpolitik, Corona, Krieg und Energieknappheit drohen die Preissteigerungen außer Kontrolle zu geraten. Die Zentralbanken leiten gerade erst die Zinswende ein. Wann sie wirkt, bleibt abzuwarten. Währenddessen haben gerade in Deutschland Bürger große Angst vor der Inflation. Ein anhaltender Gegensatz von niedrigen Zinsen und großen Preiszuwächsen könnte zu sozialem Unmut führen. Daher ist eine gewisse Zurückhaltung bei den Lohnforderungen angezeigt. Gewerkschaften haben nicht nur eine Verantwortung für ihre Mitglieder, sondern sollten auch die Destabilisierung der Gesellschaft vermeiden.
Bloß kein Verzicht ist das Motto Von Wolfgang Mulke
Die Devise heißt Maßhalten Von Hannes Koch
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