Boris Beckers schlimmste Niederlage
Ex-Tennisstar wegen Insolvenzverschleppung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt
Liebe Leserinnen und Leser, aus technischen Gründen werden die Zahlen des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Vortag (Stand 7.30 Uhr) veröffentlicht. Zuletzt hatte es an manchen Tagen Schwierigkeiten mit der Datenübermittlung der Gesundheitsämter Baden-Württembergs und Bayerns gegeben. Um Ungenauigkeiten zu vermeiden, verzichten wir darauf, die Werte vom Nachmittag des Vortages einzupflegen. Generell ist nach Wochenenden bei der Interpretation zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Ämter an allen Tagen Daten an das RKI übermittelt haben. Die 7-Tage-Inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab.
LONDON - Trauriges Ende einer großen Karriere: Das Krongericht von London-Southwark hat am Freitag Boris Becker wegen Insolvenzverschleppung zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Die Geschworenen hatten den einstigen Tennis-Weltstar vor drei Wochen in vier von 24 Anklagepunkten für schuldig befunden. Angesichts seiner deutschen Vorstrafe wegen Steuerhinterziehung sowie der Schwere der Vorwürfe sei nur eine Haftstrafe infrage gekommen, erläuterte Richterin Deborah Taylor. Der 54-Jährige wurde umgehend in Gewahrsam genommen.
Wie an allen Verhandlungstagen des Prozesses war Becker auch am Freitag in Begleitung seiner Partnerin Lilian de Carvalho Monteiro und seines ältesten Sohnes Noah erschienen. Zu dunkelblauem Anzug und hellblauem Hemd trug er eine Krawatte in den lila-grünen Farben des All England Lawn Tennis & Croquet Clubs. An dessen Heimstatt im Süd-Londoner Mittelschicht-Viertel Wimbledon hatte der damals 17-Jährige 1985 sensationell das GrandSlam-Turnier gewonnen und damit auf einen Schlag die Herzen der Tennisfans erobert. Zwei weitere Wimbledon-Siege sowie drei andere Grand-Slam-Triumphe machten den Deutschen zur Tennislegende, in den vergangenen Jahren arbeitete er bei der BBC als fachkundiger Kommentator vor Ort.
Damit ist es nun vorerst vorbei. Legt man die Erfahrung anderer in Southwark Verurteilter zugrunde – das dortige Krongericht verhandelt fast alle wichtigen Wirtschaftsstrafsachen Englands –, dürfte Becker die erste Nacht entweder im berüchtigten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Süd-Londoner Gefängnis Wandsworth oder im Hochsicherheitsknast Belmarsh weit im Osten der Hauptstadt verbringen. Nach dem langen Wochenende – die Briten feiern den 1. Mai arbeitnehmerfreundlich erst am Montag – kann der Delinquent auf die Verlegung in ein moderneres, weniger furchterregendes Quartier hoffen. Hingegen ist an Freigang erfahrungsgemäß frühestens nach einem Jahr zu denken.
Unter intensiver Anteilnahme der Londoner Boulevardmedien hatte Becker am Donnerstag noch einmal das Leben in Freiheit genossen. Sparen mochte der nunmehr verurteilte Insolvenzbetrüger dabei nicht: Nicht nur reiste er, so die „Daily Mail“, mit einem der berühmten schwarzen Taxis
quer durch die britische Hauptstadt; eine neue Sporttasche kaufte er statt beim Discounter im Nobelkaufhaus „Harrods“, wie der „Daily Mirror“notierte. Besonders interessiert zeigten sich die Medien am anderthalbstündigen Besuch einer unscheinbaren Wohnung in Notting Hill. Danach habe ein „überaus tätowierter Mann in schwarzer Weste“dem Reporter die Auskunft darüber, was der Besucher denn in der etwas spelunkenhaften Wohnung zu suchen hatte, verweigert, wie die „Times“naserümpfend feststellte.
Das große Interesse der britischen Öffentlichkeit am Tennis-Promi hatte gewiss auch mit Schadenfreude zu tun. Insgesamt überwog aber das Bedauern über den tiefen Fall eines stark gealterten Jünglings, den die sportbegeisterte Nation vom Tag seines Wimbledon-Triumphes ins Herz geschlossen hatte. Ausführlich blätterte die öffentlich-rechtliche BBC nicht nur die sportlichen Höhepunkte von „Bum-Bum-Boris“aus. Mit hoher sprachlicher Eleganz erinnerte der Moderator die Zuschauer auch an Beckers „Begegnung“mit einer Kellnerin im Nobelrestaurant Nobu. Das Resultat war seine Tochter Anna, deren zunächst in Abrede gestellte Vaterschaft Becker später nicht nur anerkannte, sondern auch ernst nahm.
Vom Gefängnis aus kann der Verurteilte sowohl gegen die Höhe seiner Strafe wie gegen das Urteil selbst Berufung einlegen. Allerdings konnte am Ende des Prozesses eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass die elf zufällig ausgewählten Frauen und Männer die insgesamt 24 Vorwürfe gegen Becker gründlich abgewogen hatten. Immerhin sprachen sie ihn in 20 von 24 Einzeldelikten frei. „Schuldig“aber lautete der Urteilsspruch der Geschworenen in Bezug auf vier schwerwiegende Punkte der Anklage
von Kronanwältin Rebecca Chalkley: Nach seiner Insolvenz 2017 hatte der Bankrotteur hohe Summen auf private Konten transferiert, offenbar im naiven Glauben, dies vor der Insolvenzbehörde geheim halten zu können; zudem verschwieg er den Besitz seines Elternhauses in Leimen und ein darauf liegendes Darlehen in Höhe von 825 000 Euro sowie den Besitz lukrativer Aktien.
Am Freitag blätterte Chalkley noch einmal das Sündenregister des Verurteilten auf, referierte ausführlich Beckers mondänen Lebensstil und dessen lässigen Umgang mit seinen Trophäen und den vielen Millionen von Preisgeldern. Verteidiger Jonathan Laidlaw räumte zwar das „kriminelle“Verhalten seines Mandanten ein, beteuerte aber wortreich, dies sei „nicht in böser Absicht geschehen“. Die Verurteilung habe Becker „öffentlich gedemütigt“und ihn mit leeren Händen zurückgelassen: „Das ist nichts weniger als eine Tragödie.“Sein Plädoyer für eine Bewährungsstrafe aber stieß bei Richterin Taylor auf taube Ohren.
Und so übergab sein sichtlich geschockter Sohn Noah seinem Vater nach der Urteilsverkündung noch im Gericht eine Tasche mit den wichtigsten Dingen für den Gang hinter Gitter. Vorbereitet war Boris Becker.