Kluftinger, Udo und der Tote in der Grube
In „Affenhitze“lassen Volker Klüpfel und Michael Kobr ihren Kommissar in die Welt der Paläontologen eintauchen – In Pforzen gibt es neben den Überresten des ersten aufrecht gehenden Menschenaffen nämlich eine weitere Leiche
PFORZEN - Matsch ist nicht gleich Matsch. Wer in Gummistiefeln in der Grube Hammerschmiede an den Baggern vorbeistapft, und wer dazu noch kurz zuvor den neuen Kluftinger-Krimi gelesen hat, dem könnte kurz unwohl werden. Denn das Mordopfer im neuen Roman des Autorenduos Volker Klüpfel und Michael Kobr bleibt mit seinen Gummistiefeln in ebendiesem Lehm stecken, und der ist zäh wie Kleister. Der arme Mann kommt nicht mehr von der Stelle und wird von einem Bagger überrollt.
Kein schöner Tod. Da tröstet es auch nicht, dass unweit des Tatorts schon einmal ein Mensch, nun Halbmensch, sein Leben lassen musste. Zumal das 11,6 Millionen Jahre her ist. In der Grube der Gemeinde Pforzen bei Kaufbeuren wurden nämlich die Überreste von Udo, dem Steinzeitmenschen gefunden. Als die Funde 2019 veröffentlicht wurden, war das eine wissenschaftliche Sensation. Denn Udos X-Beine beweisen, dass der erste aufrecht gehende Mensch wohl aus dem Allgäu kam.
„Wir haben es immer schon geahnt, konnten es aber nie beweisen, dass die Wiege der Menschheit im Allgäu ist“, sagt Volker Klüpfel bei einer Begehung der Grube – mit nur einem leichten Augenzwinkern. Er und Michael Kobr stellen ihren zwölften Kluftinger-Krimi „Affenhitze“am Ort des Geschehens vor. Was gut funktioniert, denn mit dem Leiter der Ausgrabungsstätte, Thomas Lechner, haben sie einen an der Seite, der die Presseschar in seinen Bann schlägt. Der junge Paläontologe von der Universität Tübingen zeichnet mit nichts als Matsch unter den Füßen das Bild einer subtropischen, blühenden Landschaft an eben dieser Stelle: „Wir haben hier Tierarten, die relativ häufig sind, wie die Münchner Waldantilope Miotragocerus monacensis oder das Hirschferkel, das wir aus Asien kennen, oder eben Schnappschildkröten, die die Flüsse besiedelt haben.“Wohl keiner der Anwesenden hat je von einem dieser Tiere gehört. Doch Lechner erzählt von ihnen mit einer Begeisterung, dass aus den kleinen Lehmklumpen in seinen Händen im Geist der Zuhörer tatsächlich das seltsame Bild eines Hirschs mit Ferkelschnauze entsteht.
Auch Kommissar Kluftinger lässt sich in seinem neuen Fall von der Paläontologie faszinieren. Als Klüpfel und Kobr am 6. November 2019 im Radio von Udo – mit vollem Namen Danuvius guggenmosi –, hörten, war für sie gleich klar: Das ist unser Thema. „Eigentlich haben wir aber an einem anderen Projekt gearbeitet, keinem Kluftinger-Roman. Und so blieb Udo erst mal liegen“, sagt Klüpfel im Rückblick. Doch dann kam Corona,
Recherchereisen ins Ausland, die für das andere Buch nötig gewesen wären, wurden unmöglich. „Wir sind froh, dass uns niemand das Thema weggenommen hat. Es bietet sich ja wirklich an für einen Krimi“, sagt Kobr. Und so kam der Altusrieder Kommissar Kluftinger doch schneller als gedacht zu seinem zwölften Fall.
In dem findet Kluftingers bester Feind, Dr. Martin Langhammer, bei einer Bürgergrabung in der Hammerschmiede eine frische Leiche. Es stellt sich heraus, dass der (fiktive) UdoEntdecker Professor Brunner, der nicht nur einen Feind hatte, vom Bagger überrollt wurde. Verdächtig sind gleich mehrere Personen, vor allem auch die Mitglieder der Sekte nebenan. Die im Buch beschriebene habe viel von der auch im Allgäu ansässigen Anastasia-Bewegung, antwortet Volker Klüpfel auf die Frage, wer hier als Vorbild diente. Gerade auch das Bestreben, die Kinder in eigenen Schulen zu unterrichten. Nun, sie kommt nicht gut weg, diese Öko-Gemeinschaft mit ihren verschwurbelten Ideen. Aufgelockert wird die Handlung mit Szenen, die Kluftis Kampf mit der Technik zeigen: Drohnen, die ein Eigenleben entwickeln, Facebook-Freunde, die schnell mal lästig werden.
Es finden sich in „Affenhitze“also die üblichen Scharmützel im Kollegium und in der Familie. Was diesen Kluftinger besonders macht, ist die Location, wie Kollege Richard Maier sagen würde. Man erfährt viel über die Arbeit an einer Ausgrabungsstätte. Die Autoren durften bei Grabungen dabei sein, waren begeistert, wie Thomas Lechner ein winziges Teil, das auch die Scherbe einer Bierflasche hätte sein können, sofort als Stück des Panzers einer Schnappschildkröte
identifizierte. „Wir bewegen hier jährlich 60 bis 70 Kubikmeter Material mit Skalpellen und kleinen Messern, was dazu führt, dass wir ungefähr 3500 Funde im Jahr bergen können“, so Lechner.
Die fitzelige Arbeit im Lehm, die Bürgergrabungen, bei denen tatsächlich allein im letzten Jahr 85 HobbyPaläontologen wochenlang und oft im Regen den Lehm von winzigen Teilchen kratzten – all dies sieht Lechner im Krimi gut getroffen. Auch, dass es realistischerweise meist nicht den einen großen Fund gibt, sondern sich erst Teil für Teil zusammenfügen muss, erfährt man im Krimi. Wie bei Udo eben auch. Zwischen 2015 und 2018 entdeckte das Forscherteam um die Professorin Madelaine Böhme von der Universität Tübingen Arm-, Bein- und Wirbelknochen, die belegen, dass der Danuvius guggenmosi aufrecht gegangen ist – und das rund sechs Millionen Jahre früher, als bisherige Funde in Afrika und Kreta nahelegten. Es sei eine „Sternstunde der Paläoanthropologie“sagte die Professorin, als sie 2019 ihre Ergebnisse veröffentlichte.
Dass nicht alle Wissenschaftler Böhmes Begeisterung teilten, dass es ernsthafte Dispute und auch Eifersüchteleien unter Wissenschaftlern gab, wird im Krimi ebenso thematisiert wie die unterschiedlichen Interessen, wenn es um Lehmabbau geht. Denn natürlich fahren die Bagger nicht, um den Paläontologen eine schöne Spielwiese zu bereiten, sondern um Geld zu verdienen. Lehm braucht es zur Herstellung von Ziegeln, bis 1983 stand bei der Hammerschmiede eine eigene Ziegelei. Die gibt es inzwischen nicht mehr, aber der Lehm wird von dem Bauunternehmen Geiger dort noch mindestens in den nächsten zehn Jahren abgebaut.
„Die Interessen sind ja doch unterschiedlich, und Wissenschaftler können schon auch besitzergreifend sein“, sagt Christoph Heim, Leiter des Genehmigungsmanagements bei der Firma Geiger. Und fügt hinzu: „Natürlich findet man auch mal einen Knochen im Gebüsch neben der Straße. Aber mehrheitlich hat Paläontologie stark mit irgendeiner Art von Abbau, einer Wunde in der Landschaft zu tun.“Ohne Abbau also auch keine Knochenfunde. Man habe sich inzwischen gut arrangiert, so die gegenseitigen Beteuerungen. Die Bekanntheit der Hammerschmiede jedenfalls dürfte mit dem neuen Kluftinger-Krimi noch zunehmen. Die Paläontologen freut’s. Und die Bagger werden sicher auch mit neugierigen Fans fertig, so oder so.